Autodidakten und Berufene

168 Bilder kongolesischer Künstler offenbaren Ein/An/sichten in/auf das Leben im bürgerkriegs-
geschüttelten Zentralafrika.
Von Thomas Haunschmid.


"Viele Maler sind Autodidakten, manche empfinden ihre Kunst als Berufung, andere betreiben sie als Handwerk", erklärt die Afrika-Kuratorin im Wiener Museum für Völkerkunde, Barbara Plankensteiner. Die Bilder der AN/SICHTEN bestechen durch ihre narrative Qualität und ihre direkte ästhetische Kraft, durch das große künstlerische Talent der mit einfachsten Arbeitsmaterialien operierenden Künstler, zeigt sich die Ethnologin begeistert.


Allen gemeinsam ist die Nähe zur Straße, zum Alltag und dem Befinden ihrer Mitbürger und deren Beurteilung aktueller Ereignisse, die sie mit ihrer vitalen, zum Teil ironisierenden Bildersprache festhalten. "Einige populäre Maler, wie Chéri Samba aus Kinshasa und Tshibumba Kanda aus Lubumbashi, gelangten zu internationaler Bekanntheit, die meisten der hier vorgestellten Künstler sind jedoch im Westen noch weitgehend unbekannt", so Plankensteiner.

Moderne Malerei statt Masken

"Mit der Ausstellung AN/SICHTEN wollen wir einen Eindruck vom gegenwärtigen Afrika vermitteln und zeigen, dass es abseits von der bedeutenden so genannten "traditionellen" klassischen afrikanischen Kunst, wie den Skulpturen und Masken, rezente Kunsterzeugnisse gibt, denen eine besondere ästhetische Qualität zu eigen ist", erläutert die Ausstellungschefin. Für die große Zahl der urbanen afrikanischen Bevölkerung habe die populäre Malerei mehr mit ihrem gegenwärtigen Leben zu tun, als die bei uns so hoch geschätzten skulpturalen Kunstobjekte.

Medium und Moralkritik

Der bildliche Parcours durch die jüngste Geschichte des Kongo beginnt mit den letzten Regierungsjahren von Langzeit-Diktator Mobutu hin zum Machtwechsel durch den kürzlich erschossenen General Kabila und endet mit den Rebellionen in den verschiedenen Landesteilen.


Hintergründe des Geschehens werden in den Bildern erklärt, wie auch jene Entwicklungen im gesellschaftlichen Leben, mit denen die Kongolesen Tag für Tag konfrontiert sind - Transportprobleme in der Stadt, Benzinmangel, "Verfall der Sitten" und Ähnlichem. Die populäre Malerei dient gleichzeitig als Medium der Berichterstattung und als moralisierende Kritik gesellschaftlicher Veränderungen.

Urbane Kunstproduktion

AN/SICHTEN gibt einen umfassenden Überblick über die rezente Kunstproduktion dreier urbaner Zentren: der Hauptstadt Kinshasa, Lubumbashi, der größten Stadt im Zentrum des Kupferabbaugebietes, und Bunia, einer Kleinstadt an der Grenze zu Uganda, die vom Goldbergbau und -handel lebt. Regionale Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Themenwahl und im Stil werden auf diese Weise gezeigt. Gleichzeitig gibt die Schau Einblicke in die Materialien und Techniken der populären Maler.

Unvergleichlicher Cheri Cherin

Einer der Künstler, deren Werke in der Ausstellung zu sehen sein werden, ist Cheri Cherin. Sein Künstlername "Cheri" ist eine Abkürzung von "Créateur Mars - Expressionniste - Remarquable - Inégalable - Incomparable - Naturaliste", Schöpfer Mars, Expressionist, Bedeutender, Einzigartiger, Unvergleichlicher, Naturalist. "Cheri" bezieht sich auf die Liebe, denn jemand, der sein Publikum ernst nimmt, wird auch von diesem geschätzt und geliebt. Er hat sich diesen Namen gegeben, als ihm bewusst wurde, ein großer Künstler zu sein; dies war im Jahre 1968.

Alltag und Popmusik

Cherin betont, dass die populäre Malerei ihre Themen dem gesellschaftlichen Leben entlehne. Manchmal lässt er sich auch von Songs der kongolesischen Popmusik inspirieren. Die Malerei reflektiere das Leben, das sich in Kinshasa abspielt: "Wir Künstler dringen in die Tiefe des Menschen ein, um das Wesen ihres Daseins darzustellen", formuliert Cherin seine künstlerische Berufung. Wenn er etwa beauftragt sei, die Außenwand einer Boutique zu gestalten, frage er die zahlreich vorhandenen Schaulustigen, was ihnen gefallen würde und verwirkliche dann ihre Vorschläge.


Kein akademischer Sklave

Einmal wurde er angeregt, Edingwe, einen bekannten Ringer Kinshasas, zu malen, wie er seinen Gegner zum "Tanzen" bringt. Anhand dieses Beispiels macht Cherin den Unterschied zu akademischen Malern und sich selbst klar: "An der Akademie haben wir gelernt, dass der Künstler etwas ausdrücken muss, er ist frei sich auszudrücken, er ist der König, weil er bestimmt. Das stimmt auch. Aber ich selbst kann nicht Sklave des Akademismus sein". Er setzte sich bewusst von den akademischen Malern ab und arbeite nach dem Geschmack des Publikums - denn nur auf diese Art könne er das "Publikum durch seine Werke erziehen."

Tipp:

Höhepunkt des Rahmenprogramms zur Ausstellung, mit einer Vortragsreihe, Filmabenden und Galeriegesprächen, bildet die Anwesenheit eines populären Malers aus Lubumbashi, der über zwei Wochen in der Ausstellung malen wird. Besucher können sich nach ihren Passfotos Porträtmalereien kongolesischen Typs bestellen.

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