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Kunstberichte

Des Jagdschlosses zuckersüßer Ursprung im Kuchenteig

Baukunst oder Leckerbissen? Eine Schau im Leopold-Museum zieht überraschende Parallelen. Leopold-M.

Baukunst oder Leckerbissen? Eine Schau im Leopold-Museum zieht überraschende Parallelen. Leopold-M.

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Wer möchte, kann sich im Leopold-Museum neben den Impressionisten ganz anderen Gelüsten hingeben: Kuchenbacken darf hier zur Kunst erklärt werden, auch Sandburgen oder Eiswelten halten sich zuweilen vom Kitsch fern.

Es gibt Backformen, die an die Stufenpyramiden in Ägypten erinnern, oder aber an das Jagdschloss Castel del Monte von Kaiser Friedrich II. Aber auch die Architektur der Moderne wie die Petronas Twin Towers von Kuala Lumpur oder die Oper von Sidney kamen Kurator Michael Fuhr in den Sinn.

Luftschlösser

Die Gegenüberstellung von historischen bis gegenwärtigen Architekturen, die sich an das kristalline Gefüge utopischer Luftschlösser annähern, mit alten metallenen Backformen ist eine originelle Idee. Die Gebilde aus Kupfer und Weißblech führen uns jedenfalls vor Augen, dass lange bevor Vladimir Tatlin und Kasimir Malewitsch zum Konstruktiven schritten und ungewöhnliche Lösungen für kubische Architekturen in Modellen vorschlugen, schon sehr ähnliche Kuchenformen auf den Tischen des Adels existierten. Ob sie nun in weiten Bögen für weiche Gelees oder mit spitzen Türmchen für härtere Backteige dienten, ist eigentlich egal: Geometrie war sehr beliebt.

Eine Parallele zwischen den kristallinen Architekturutopien der Romantiker, später der Expressionisten, mit diesen all-sonntäglichen Gebrauchsgegenständen ist jedenfalls bis jetzt in der Kunstgeschichte noch nicht erahnt worden. 50 Küchenutensilien der besonderen Sorte hat Sammler Rudolf Leopold zusammen getragen, meist sind sie aus dem 19. Jahrhundert, wirken zuweilen aber wie Schmuckstücke des Art déco. Pyramidenformen und kühne Schwünge in allen möglichen und unmöglichen Kombinationen, da kann schon auch so etwas wie die Form einer Reichskrone auftauchen.

Eine Geschichte der Backkultur bis zurück in die römische Antike tut sich nebenbei auf: kultur- und sozialgeschichtliche Details sind zur sinnvollen, friedlichen Beschäftigung für kleine und große Kinder kombiniert. Wer denkt schon beim Kuchenverzehr an die Ursprünge der Kathedrale oder des Jagdschlosses im süßen Teig?

Türkische Vorreiter

Es muss nicht immer die Verbeugung vor einem steinernen Meisterwerk sein. Die Türken gelten natürlich nicht nur als die Inspirationsgeber für unsere Kipferln, sondern auch als erste Hersteller eines Napfkuchens. Seine Form soll einem Turban nachempfunden sein, bei den pyramidalen Kuchen könnte vielleicht doch bis zum Turmbau von Babel zurück gegangen werden? Die Form dieses Bauwerks auf den Bildern der Familie Brueghel kann jedenfalls durchaus niederländische Süßigkeiten des Barock zum eigentlichen Vorbild haben.

"Kugelhopf" hieß schon in der Renaissance ein Backgemisch, das in Rundform mit ausgesparter Mitte, gegossen wurde. Besonders formenreich aber waren die im 18. und 19. Jahrhundert geschaffenen Backformen: Höfische und später bürgerliche Konditoren breiteten sich über ganz Europa und natürlich auch Konstantinopel und alle anderen großen türkischen Städte aus – auch der Rohrzucker kam damals immer noch vom vorderen Orient. Scheint aber, als wäre da zum Kaffee und Flieder auch noch das Süße mit nach Wien gelangt: eine Eroberung, die unseren Körperformen immer noch zu schaffen macht.

Was Wer Wo Wie

Geometrische Gelees und kubistische Kuchen
(Michael Fuhr, 2005)
Leopold-Museum
Bis 13. März 2006

Geniale Backformen.

Freitag, 23. Dezember 2005


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