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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
01. Dezember 2006
19:28 MEZ
Kunsthaus Bregenz, Bis 28. 1. '07
Karl Tizian Platz, 6900 Bregenz, (05574) 485 94-0.  
Foto: Cindy Sherman
Blondbezopft: Die heilige Mutter der Provokation, die Amerikanerin Cindy Sherman, zeigt ihre Arbeiten in seltener Vollständigkeit in Bregenz.

Das inszenierte Desaster
250 Werke aus drei Jahrzehnten, von 1975 bis heute, mithin die bisher größte Retrospek­tive der amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman im Kunsthaus Bregenz

Bregenz – Vier europäische Museen haben sich zusammengetan, um die umfangreichste und vollständigste Retrospektive der amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman zu organisieren. Über 250 Werke aus drei Jahrzehnten waren erst in Paris und sind nun für zwei Monate in Bregenz zu sehen, bevor sie nach Kopenhagen und Berlin weitergereicht werden.

Wenn man die Arbeiten der Cindy Sherman nebeneinander betrachtet, weil also ein Vergleich möglich ist, springt die strikte Konsequenz dieses Lebenswerks ins Auge. Alle ausgestellten Bilder sind Fotografien, aber man kann die Künstlerin unmöglich als Fotografin bezeichnen. Sie ist Regisseurin, Ausstatterin, Darstellerin und Fotografin in Personalunion. Von 1975 an bis heute – stets inszeniert sie sich selbst in wechselnden Rollen und Situationen. In einer ihrer ersten Werkgruppen, Bus Riders von 1976, mimt sie alle 20 Passagiere eines Linienbusses. Weiblich, männlich, breitbeinig, kokett, bepackt, verhärmt etc. Als Kulisse diente nicht etwa ein Fahrzeug, sondern ein etwas abgewohntes Stadtappartement. Die frühen Bilder sind kleinformatig und schwarz-weiß, später expandieren ihre Arbeiten, werden farbig, technisch aufwändiger, tendieren aber nach wie vor in Richtung Maskerade und Rollenspiel.

Falsche Zähne

In ihren jüngsten Arbeiten, den Clownbildern etwa, sind Figur und Hintergrund penibel durchgestylt. Mit dicker Schminke und falschen Zähnen bastelt sie ein happy-peppy Hippieambiente. Vordergründig lustig, beim zweiten Hinsehen aber grauslig wie ein Roman von Stephen King. Skurril auch ihre Modefotos (Fashion). Da wagten tatsächlich renommierte Haute-Couture-Labels (u.a. Dolce & Gabbana), der Sherman Aufträge zu geben. Und was kam dabei raus? Der High-Society-Fummel wird von menschlichen Wracks, von Alkoholikern oder Gewalttätern zerdrückt und befleckt.

Für ihre Serie Centerfolds von 1981 zeichnete sie amerikanische Frauentypen, die sich in einem gelangweilten Wartezustand befinden. Unselbstständige Häschen, Bunnys wie etwa auf der Mittelseite des Playboy (daher der Name), völlig auf den (unsichtbaren) starken Begleiter angewiesen. Aber immer züchtig angezogen, denn die Sherman zeigt sich prinzipiell nicht unbekleidet. Diese Serie befeuerte in den USA den feministischen Diskurs und damit die Karriere der Cindy Sherman.

Obwohl sich die Frau also nie nackt fotografiert, gibt es trotzdem Sexbilder (Sex Pictures) von ihr. Übelster Porno, abstoßende Vergewaltigungsszenen, die mit einer Unisexpuppe namens "Patient Michael" gestellt wurden, einem Demonstrationsobjekt für Lehrzwecke mit austauschbaren Genitalien. Auch hier ist alles sichtbar unecht, dennoch wirken die Bilder geradezu ekelerregend, interpretierbar als feministische Anklage gegen das Sexgewerbe.

Ein Jahr lang, erzählt der sichtlich begeisterte Kurator Rudolf Sagmeister, habe er sich über die Hängung der Exponate Gedanken gemacht. Das hat sich anscheinend gelohnt, denn er fand ganz eigenwillige Lösungen. Mit den History Portraits (nachgestellte historische Gemälde) imitierte er etwa die dicht gestaffelten Bilderwände barocker Wunderkammern. Cindy Sherman konnte er damit überraschen und überzeugen. Die beiden richteten vergangene Woche die Ausstellung gemeinsam ein. Doch obwohl die Künstlerin in Bregenz anwesend war, weigerte sie sich mit folgendem Argument bei der Pressekonferenz zu erscheinen: "Ihr werdet fürs Sprechen bezahlt, das müsst ihr jetzt selbst machen." Und fotografiert worden ist sie nun auch schon recht häufig. (Michael Heinzel/ DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.12.2006)


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