Solidarischer Umzug

Neue Kommunikations-
netzwerke in alten Häusern sollen Mietern den Umzug erleichtern.
Von Andreas Wolf.


Blickt man bei Fönwetter von den Gipfeln des Alpenvorlandes in Richtung Linz, findet man die Stadt an Hand zweier Orientierungspunkte. Der eine sind die qualmenden Schlote der ehemaligen Voest. Der zweite sind die beiden 20-stöckigen Hochhäuser des Harter Plateaus. Anfang der 70er Jahre wurden die Türme im Linzer Vorort Leonding als Testbauten für eine neue Generation von Plattenbau-Hochhäusern mit Stahlrahmenkonstruktion errichtet.

Das von der Voest erwartete Exportgeschäft in die ehemalige Sowjetunion blieb allerdings aus. Die beiden Bauten sind die einzigen ihrer Art geblieben. Seither rosten die Stahlskelette langsam aber sicher hinter der schmutzig-weiß-blauen Fassade vor sich hin. Inzwischen gelten die Häuser als abgewohnt. Eine Generalsanierung ist zu teuer. Was in den vergangen 30 Jahren den Hauch von Nostalgie an die Linzer Peripherie zauberte, soll ab Herbst 2002, Stockwerk um Stockwerk, abgetragen werden. Freie Wohnungen werden schon heute nicht mehr nachbesetzt. Von den ursprünglich über 2000 Menschen in den beiden Stahlklötzen leben derzeit noch etwas mehr als 1.500 dort.

Die kollektive Absiedlung ist innerhalb weniger Wochen für den Sommer 2002 geplant. Bis dahin müssen die in cirka 500 Metern Entfernung projektierten Ersatzwohnungen bezugsbereit sein.

Ein interdisziplinäres Projekt

"Dead-House-Walking" nennt sich ein Projekt von Künstlern und Soziologen, das sich mit Bewohnern und Häusern des Harterplateaus beschäftigt.


Als Sterbebegleiter der Hochhäuser werden die Initiatoren des Projekts, Harald Schmutzhard, Werner Mair und Roland Lehner, die Veränderungen von Menschen und Gebäuden während der nächsten Jahre dokumentieren.


Ziel des Projekts ist die Errichtung eines hausinternen Kommunikationsnetzwerkes, das die Basis einer Solidargemeinschaft der Mieter bilden soll. Die sozial und kulturell heterogene Interessensgemeinschaft soll aber auch den Alltag der Bewohner erleichtern helfen und Verständnis für die Notwendigkeit gegenseitiger Hilfe in einer immer kälter werdenden Gesellschaft wecken.

Der Wert sozialer Netzwerke

Soziale Netzwerke aufzubauen heißt aber vor allem: Deren Wert muss den Mietern erst vermittelt werden. Durch Briefsendungen und Info-Abende sollen die Hausparteien über das Projekt informiert und zum Mitmachen animiert werden.

Am Anfang soll die Vertrauensbasis zwischen Bewohnern, Soziologen und Künstlern durch ein Fotoprojekt gefestigt werden. Ein Fotograf lichtet die Hausparteien in ihrer derzeitigen Wohnumgebung ab. Die Bilder werden dann in einer Ausstellung im Foyer der Häuser gezeigt. So soll der Grundstein für die künftigen Kommunikationsnetzwerke gelegt werden.

Damit diese tatsächlich funktionieren, erforschen derzeit Soziologen die Sozialkontakte der Menschen. Wer kennt wen von wo? Wer trifft wen wo? Worüber spricht wer mit wem? Aus diesen Grundsatzfragen wird ein soziologisches Beziehungsgeflecht gefiltert, die Basis für den nächsten Schritt in Richtung Solidargemeinschaft.

Kommunikationssysteme

Die möglichen Kommunikationsmittel reichen von SMS-Nachrichten, über
E-Mails bis zu Chat-Foren für die jüngeren Hausbewohner. Während den Älteren Zettelboxen, Anschlagtafeln oder eine Zeitung zur Verfügung stehen könnten. Auch ein Hausradio ist im Gespräch. Welche Kommunikationsmittel am Ende tatsächlich gewählt werden, müssen die Bewohner selbst entscheiden.

Wichtig ist vor allem die Durchlässigkeit der Systeme. Schnittpunkte zwischen den High- und Low-Tech Kommunikationsmitteln sind eingeplant. Während zum Beispiel ältere Menschen ihre Nachrichten in die Zettelbox werfen, tippen andere diese für das Chat-Forum ab. Antwort bekommt der Low-Tech Zettelschreiber dann entweder über die Zeitung oder über eine Nachricht am Anschlagbrett.

Gemeinsam geht's besser

Am Ende von "Dead house walking" soll für alle Bewohner der Wert sozialer Netzwerke spürbar sein. Durch die Etablierung von Einkaufsgemeinschaften, Tauschbörsen und gemeinsamer Nutzung von Fahrzeugen wird der Umzug für jeden Mieter billiger sein. Neben den ökonomischen, sollen vor allem auch die sozialen Vorteile der neuen Gemeinschaft genutzt werden. Zum Beispiel das gegenseitige Aufpassen auf Kinder während des Umzuges.

Zum Abschluss des Projekts wird noch einmal der Fotograf ins Haus kommen. Dann aber schon in die neue Wohnung. 2002 ist es dann Zeit für eine Rückschau und einen Vergleich, denn irgendwo wird das Foto aus der alten Wohnung doch noch hängen.

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