Eine "Trosttüte"? Im Wiener Palais Harrach hängt das Bild
einer Trosttüte. Was darin ist? Ein Marienkäfer, eine Blume, ein
Kleeblatt, gezeichnet von Friederike Mayröcker. Dieses berührende Blatt
und andere Arbeiten der Dichterin sind derzeit in einer Schau zu sehen,
die nicht nur das bildnerische Werk vorstellt, sondern auch Einblick in
den Schaffensprozeß gewähren: Von den ersten Notizen über die erste
Fassung bis zur Reinschrift.
Das Herzstück der von KHM-Generaldirektor Wilfried Seipel
höchstpersönlich kuratierten Ausstellung ist freilich der
poetisch-malerische Zyklus, den Friederike Mayröcker gemeinsam mit dem in
Chemnitz geborenen Künstler Andreas Grunert schuf: 13 Texte und 25 Bilder.
Der Titel "1 Nervensommer" ist der letzten dieser flirrenden, am Bild
haftenden und doch von ihr wegführenden Kunstbetrachtungen entnommen. Die
Schau öffnet morgen, Dienstag, ihre Pforten.
DIE PRESSE: Sie haben ein Jahr hindurch gemeinsam an
diesem Zyklus gearbeitet. Wie hat man sich diese Zusammenarbeit
vorzustellen?
Friederike Mayröcker: Es war eine Art
Ping-Pong-Spiel. Ein Bild von Andreas Grunert wurde von mir umgesetzt in
Sprache. Aus meinen Texten hat Grunert wiederum ein Wort oder einen Satz
oder einen Gedanken herausgenommen und dazu ein Bild geschaffen. Ich habe
immer sehnlichst auf die nächste Sendung gewartet - und wenn dann ein Bild
angekommen ist, habe ich mich darauf gestürzt. Ich habe wie im
Rauschzustand gearbeitet und während dieser Zeit auch nichts anderes
gemacht.
Gedankencollagen
Wie sind Sie aufeinander gestoßen?
Andreas Grunert: Friederike Mayröcker ist eine
Karte von einer meiner Ausstellungen in die Hände geraten - darauf hat sie
mir geschrieben. Wir haben lange Briefe gewechselt und irgendwann reifte
die Idee, etwas gemeinsam zu machen.
Frau Mayröcker, Sie haben immer wieder die
Zusammenarbeit mit anderen Künstlern gesucht.
Mayröcker: Unbedingt! Diese Technik des Arbeitens
kommt mir sehr entgegen. Ich sauge mich fest an einem Bild und ziehe ihm
die Sprache heraus. Ich bin ja ein sehr visueller Mensch. Wenn ich nicht
schreiben könnte, würde ich gerne malen.
Wenn man den Zyklus betrachtet, entdeckt man
Wesensverwandtschaft. Woran liegt das? Können Sie das benennen?
Mayröcker: Den Arbeiten Andreas Grunerts fühle ich
mich sehr nahe: Ich könnte mir vorstellen, daß ich das eine oder andere
auch so gemalt hätte - natürlich nicht in einer so tollen Ausführung. Was
an Andreas Grunerts Bildern so wunderbar ist, das ist diese
Gleichzeitigkeit von Konkretem und Nicht-Konkretem. So arbeite ich ja
auch.
Grunert: Friederike Mayröcker schaut in ihren
Texten zurück und gleichzeitig nach vorn. Es sind Gedankencollagen. Das
wirkt oft locker dahingeschrieben, ist es aber nicht.
Frau Mayröcker, in der Ausstellung sind auch
Zeichnungen von Ihrer eigenen Hand zu sehen. Sie wirken heiter, manchmal
fast ungestüm.
Mayröcker: Manchmal habe ich das Gefühl, ich kann
etwas nicht in Sprache umsetzen, aber ich kann es zeichnen. Beim Schreiben
bin ich ja sehr akkurat. Die letzte Fassung muß tadellos sein. Da lege ich
einen hohen Maßstab an, während ich beim Zeichnen gar keinen Maßstab habe.
Ich schmeiße etwas aufs Papier und das bleibt auch so. Ich bessere nichts
mehr aus.
Viele Ihrer Zeichnungen entstanden zu konkreten
Anlässen, für konkrete Personen.
Mayröcker: Häufig. Die Buchstabenbilder etwa habe
ich für ein ganz bestimmtes Kind gezeichnet. Der Zyklus Poesia ist für
Klaus Kastberger entstanden. Das "Blutbild" habe ich meiner
Internistin geschenkt. Sie war so stolz, als ich es ihr gebracht habe, und
hat es in ihrer Praxis aufgehängt.
Wahnwitz, geträumt
Woran arbeiten Sie derzeit?
Mayröcker: Vor allem an Gedichten und ein paar
Auftragsarbeiten. Im Frühjahr erscheint im Suhrkamp-Verlag ein neuer
Gedichtband. Der Titel: "Mein Arbeitstirol".
Verbindet Sie denn irgend etwas mit Tirol?
Mayröcker: Nichts. Gar nichts. Ich muß das
geträumt haben. Bei Tageslicht kommt man ja selten auf so wahnwitzige
Ideen.
Und weshalb haben Sie diesen Titel schließlich
ausgewählt?
Mayröcker: Ich weiß es nicht. Manches kann man
nicht wissen. Das bleibt eben ein Geheimnis.
Geöffnet 10. bis 29. September täglich 10 bis 18 Uhr.
Friederike Mayröcker liest im Palais Harrach am 16. September (19 Uhr) aus
ihrem Werk.
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