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09.09.2002 - Ausstellung
Ping-Pong zwischen Malerei und Dichtkunst
Mayröcker: "Ich sauge mich fest an einem Bild"
Zeichnungen und Collagen von Friederike Mayröcker gilt eine Ausstellung im Palais Harrach. Ein Gespräch mit der Dichterin - im Beisein ihres Kunst-Partners.
VON BETTINA STEINER


Eine "Trosttüte"? Im Wiener Palais Harrach hängt das Bild einer Trosttüte. Was darin ist? Ein Marienkäfer, eine Blume, ein Kleeblatt, gezeichnet von Friederike Mayröcker. Dieses berührende Blatt und andere Arbeiten der Dichterin sind derzeit in einer Schau zu sehen, die nicht nur das bildnerische Werk vorstellt, sondern auch Einblick in den Schaffensprozeß gewähren: Von den ersten Notizen über die erste Fassung bis zur Reinschrift.

Das Herzstück der von KHM-Generaldirektor Wilfried Seipel höchstpersönlich kuratierten Ausstellung ist freilich der poetisch-malerische Zyklus, den Friederike Mayröcker gemeinsam mit dem in Chemnitz geborenen Künstler Andreas Grunert schuf: 13 Texte und 25 Bilder. Der Titel "1 Nervensommer" ist der letzten dieser flirrenden, am Bild haftenden und doch von ihr wegführenden Kunstbetrachtungen entnommen. Die Schau öffnet morgen, Dienstag, ihre Pforten.

DIE PRESSE: Sie haben ein Jahr hindurch gemeinsam an diesem Zyklus gearbeitet. Wie hat man sich diese Zusammenarbeit vorzustellen?

Friederike Mayröcker: Es war eine Art Ping-Pong-Spiel. Ein Bild von Andreas Grunert wurde von mir umgesetzt in Sprache. Aus meinen Texten hat Grunert wiederum ein Wort oder einen Satz oder einen Gedanken herausgenommen und dazu ein Bild geschaffen. Ich habe immer sehnlichst auf die nächste Sendung gewartet - und wenn dann ein Bild angekommen ist, habe ich mich darauf gestürzt. Ich habe wie im Rauschzustand gearbeitet und während dieser Zeit auch nichts anderes gemacht.

Gedankencollagen

Wie sind Sie aufeinander gestoßen?

Andreas Grunert: Friederike Mayröcker ist eine Karte von einer meiner Ausstellungen in die Hände geraten - darauf hat sie mir geschrieben. Wir haben lange Briefe gewechselt und irgendwann reifte die Idee, etwas gemeinsam zu machen.

Frau Mayröcker, Sie haben immer wieder die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern gesucht.

Mayröcker: Unbedingt! Diese Technik des Arbeitens kommt mir sehr entgegen. Ich sauge mich fest an einem Bild und ziehe ihm die Sprache heraus. Ich bin ja ein sehr visueller Mensch. Wenn ich nicht schreiben könnte, würde ich gerne malen.

Wenn man den Zyklus betrachtet, entdeckt man Wesensverwandtschaft. Woran liegt das? Können Sie das benennen?

Mayröcker: Den Arbeiten Andreas Grunerts fühle ich mich sehr nahe: Ich könnte mir vorstellen, daß ich das eine oder andere auch so gemalt hätte - natürlich nicht in einer so tollen Ausführung. Was an Andreas Grunerts Bildern so wunderbar ist, das ist diese Gleichzeitigkeit von Konkretem und Nicht-Konkretem. So arbeite ich ja auch.

Grunert: Friederike Mayröcker schaut in ihren Texten zurück und gleichzeitig nach vorn. Es sind Gedankencollagen. Das wirkt oft locker dahingeschrieben, ist es aber nicht.

Frau Mayröcker, in der Ausstellung sind auch Zeichnungen von Ihrer eigenen Hand zu sehen. Sie wirken heiter, manchmal fast ungestüm.

Mayröcker: Manchmal habe ich das Gefühl, ich kann etwas nicht in Sprache umsetzen, aber ich kann es zeichnen. Beim Schreiben bin ich ja sehr akkurat. Die letzte Fassung muß tadellos sein. Da lege ich einen hohen Maßstab an, während ich beim Zeichnen gar keinen Maßstab habe. Ich schmeiße etwas aufs Papier und das bleibt auch so. Ich bessere nichts mehr aus.

Viele Ihrer Zeichnungen entstanden zu konkreten Anlässen, für konkrete Personen.

Mayröcker: Häufig. Die Buchstabenbilder etwa habe ich für ein ganz bestimmtes Kind gezeichnet. Der Zyklus Poesia ist für Klaus Kastberger entstanden. Das "Blutbild" habe ich meiner Internistin geschenkt. Sie war so stolz, als ich es ihr gebracht habe, und hat es in ihrer Praxis aufgehängt.

Wahnwitz, geträumt

Woran arbeiten Sie derzeit?

Mayröcker: Vor allem an Gedichten und ein paar Auftragsarbeiten. Im Frühjahr erscheint im Suhrkamp-Verlag ein neuer Gedichtband. Der Titel: "Mein Arbeitstirol".

Verbindet Sie denn irgend etwas mit Tirol?

Mayröcker: Nichts. Gar nichts. Ich muß das geträumt haben. Bei Tageslicht kommt man ja selten auf so wahnwitzige Ideen.

Und weshalb haben Sie diesen Titel schließlich ausgewählt?

Mayröcker: Ich weiß es nicht. Manches kann man nicht wissen. Das bleibt eben ein Geheimnis.

Geöffnet 10. bis 29. September täglich 10 bis 18 Uhr. Friederike Mayröcker liest im Palais Harrach am 16. September (19 Uhr) aus ihrem Werk.



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