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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
27. Oktober 2008
17:19 MEZ

Bis 22. 1.

 

Fotografie aus den National Archives in Washington: GIs stellen im Mai 1945 Gemälde aus dem Raubkunstdepot des Einsatzstab-Reichsleiters Rosenberg in Schloss Neuschwanstein sicher.


"Alte Sachen lieber in Kisten lassen"
Die Ausstellung "Raub und Restitution" - Nach dem Ende des Dritten Reichs herrschte mangelndes Unrechts­bewusstsein, in Deutschland wie in Österreich

Louis von Rothschild war eine Doppelbegabung. Er hatte Kunstgeschichte studiert, arbeitete aber vornehmlich als Direktor der Bank S. M. v. Rothschild in Wien. Als Österreich 1938 an das nationalsozialistische Deutschland angeschlossen wurde, war Louis von Rothschild ein prominentes Opfer. Er blieb über ein Jahr lang im berüchtigten Hotel Metropol, dem Quartier der Gestapo, gefangen. Während dieser Zeit wurden die Besitztümer der Wiener Familie Rothschild "arisiert": die Bank, das private Vermögen und die Kunstwerke, die teilweise noch von Albert von Rothschild, dem Vater von Louis, gekauft worden waren.

Wiener Museen stritten sich dabei mit den Beauftragten des Sonderauftrags Linz, die ein "Führermuseum" einrichten sollten. Wie wichtig diese Angelegenheit war, zeigt der sogenannte "Führervorbehalt" , der dafür Sorge tragen sollte, dass bei der Verteilung der beschlagnahmten Werke die neue Institution bevorzugt zu behandeln war, und dass diese Maßnahme "sich ganz besonders auf das Vermögen Rothschilds beziehe".

Der entsprechende Inventurzettel, auf dem bis 1948 die neuesten Nachrichten über den Verbleib von Bildern von Frans Hals oder Tintoretto eingetragen wurden, ist nun ein wichtiges Dokument in der ausgezeichneten Ausstellung Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute im Jüdischen Museum Berlin.

Die für Linz bestimmten Gemälde wurden immer wieder, je nach Kriegslage, an neue Orte gebracht. 1946 waren sie wieder in Kremsmünster. Der Antrag auf Restitution, den Louis Rothschild stellte, war aber nur teilweise erfolgreich. Die Behörden erpressten im Gegenzug für eine Ausfuhrgenehmigung die "Widmung" bedeutender Werke - zum Beispiel von Frans Hals - für das Kunsthistorische Museum.

Im Februar 1998 recherchierte der Standard den Fall, in der Folge wurde das Kunstrückgabegesetz beschlossen: Im Jahr darauf erhielt die Familie Rothschild hunderte Kunstobjekte zurück.

Der Fall ist zu Recht besonders prominent. Im Zusammenhang der Ausstellung wird aber deutlich, wie viele Fälle ähnlicher Art es damals gab und welche Objekte betroffen waren: Gemälde, jüdische Alltagsgegenstände, religiöse Artefakte, Bibliotheken, Handschriftensammlungen (wie die von Arthur Schnitzler), Miniaturmöbel (die Carl von Weinberg in Frankfurt sammelte), Silberschmuck, historische Musikinstrumente - alles konnte als "herrenloses jüdisches Gut" zu Beute werden, wurde vielfach in alle Winde zerstreut und ist nicht selten bis heute unwiederbringlich.

Mit jedem der Objekte in der von Inka Bertz und Michael Dorrmann kuratierten Ausstellung im Jüdischen Museum verbinden sich zwei Geschichten: die des Gegenstands und die der ursprünglichen Besitzer und ihrer Nachkommen. Fünfzehn Fallbeispiele dienen als Leitfaden, die Geschichte des NS-Regimes wird parallel geführt.

Kein Unrechtsbewusstsein

Ein Gemälde von Lovis Corinth steht für den bekanntesten Aspekt von Raub und Restitution: für die Malerei. Herrn Silberstein zur Erinnerung October 1923 befand sich bis 1942 im Besitz der Witwe des Besitzers, dessen Porträt des Bild darstellte. Als Ada Silberstein deportiert wurde, geriet das Werk in den Besitz des Berliner Bauunternehmers und Sammlers Carl Doebbeke, der wenige Jahre nach dem Krieg ein besonders eindrucksvolles Dokument von mangelndem Unrechtsbewusstsein hinterließ. Er wollte 1950 das Bild nicht ausgestellt sehen, denn es bestehe "die Gefahr, dass irgendein Herr Silberstein es wiederhaben will" . Doebbeke hatte dabei schon eine Verjährungsfrist im Auge: "Ich glaube, diese Gefahr hört in einem Jahr auf. Bis dahin wollen wir die alten Sachen lieber in den Kisten lassen."

Es ist allgemein bekannt, dass er sich geirrt hat. Die Restitution geraubter Güter beschäftigt Erben, Anwälte, Institutionen, Gerichte und Behörden bis heute intensiv. Die Ausstellung im Jüdischen Museum, deren zentrale Gestaltungsidee geöffnete Kisten sind, gibt zu diesem Thema einen detailreichen und hochinteressanten Überblick, zu dem es allerdings angeraten ist, sich auch mit dem Katalog zu versehen - denn es gibt viel zu lesen in dieser Angelegenheit. (Bert Rebhandl aus Berlin, DER STANDARD/Printausgabe, 28.10.2008)

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