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vom 07.05.2007 - Seite 011
WIEN: Uraufführung von Jelineks "Über Tiere"

Über Sexsklavinnen

VON REINHOLD REITERER

Vor zwei Jahren veröffentlichte die Wiener Stadtzeitung "Falter" Polizeiprotokolle eines gerichtlich angeordneten Lauschangriffs gegen eine so genannte Begleitagentur. Unverblümt sprechen Kriminelle wie Frauenhändler, Zuhälter und betuchte Sexkäufer über das Stück weibliche Menschenfleisch, das geliefert werden und zu Diensten sein soll. Die Sprache auf dem Schlachthof ist weniger brutal als in den Geschäftszentralen des Sexsklavinnenmarkts ¼

Elfriede Jelinek montierte aus diesem Branchenklartext das Stück "Über Tiere", das am Freitag in der Regie des Schweizer Musikers und Theatermannes Ruedi Häusermann im Burgtheater-Kasino seine Uraufführung erlebte. Jelinek verwebt in ihrer Textfläche nicht nur diesen brutalen Originalton. Sie beginnt mit einem unbarmherzigen, sehnsuchtsvollen Liebesmonolog einer (alternden) Frau und hört mit Erinnerungen an Anneliese Michel auf, eine junge deutsche Katholikin, die 1976 an Unterernährung starb, nachdem sie zwei Mal dem Großen Exorzismus unterzogen wurde.

Häusermann lässt den gesamten Text von der Schauspielerin Sylvie Rohrer sprechen: eine phänomenale Leistung. An 12 Pianinos sitzen, spielen und summen Musiker, die Mozarts d-Moll-Fantasie in einzelne Thementeile dekonstruieren. Die Musik führt ein, begleitet die Sprache des Begehrens und zieht sich dann, je grauslicher der Text wird, immer mehr zurück. Ein 90-minütiger Intensiv-Theaterabend mit höchstem Kunstanspruch und Konzentrationserfordernis. Beeindruckend.

Info: 01 / 513Ê15Ê13; www.burgtheater.at

Phänomenale Leistung von Schauspielerin Sylvie Rohrer Foto: apa


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