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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
16.03.2004
19:07 MEZ
"Eintritt frei. Kunst aus Bratislava, Budapest, Ljubljana, Prag und Wien" vom 17. März - 19. Juni in der Bawag Foundation, 1010 Wien, Tuchlauben 7a.

Öffnungszeiten: Mo - Sa 10.00 Uhr - 18.00 Uhr, So geschlossen.

Informationen: 01/534 53 226 55

Der Katalog zur Ausstellung erscheint als Extranummer der Kundenzeitung der BAWAG P.S.K.Gruppe.
 
"Eintritt frei": Gruppenausstellung der Bawag Foundation
Künstler der benachbarten EU-Beitrittsländer und der Konnex von Kunst und neuen Märkten

Wien - Die gemeine Salatgurke rotiert, das Chipssackerl knistert im am Boden abgestellten Billa-Plastiksackerl. Nicht nur das. Es schimpft vor sich hin und raunzt. Dieses potenzielle, vom Prager Künstler Kirstof Kintera angefertigte Wien-Porträt "I'm sick of it all" steht in der Bawag Foundation und ist Teil einer Gruppenschau Eintritt frei zu den benachbarten EU-Beitrittsländern Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien.

Mit Witz und Verve hat Foundation-Chefin Christine Kintisch höchst divergierende, auf den ersten Blick nicht dezidiert "politische" aktuelle Arbeiten versammelt, gespiegelt an hervorragenden, bis dato viel zu wenig bekannten Werken der 60er- und 70er-Jahre. Inwieweit dies alles die Ost-Exotisierung entkrampft oder aufrechterhält, steht auf einem anderen Blatt. Es steht jedenfalls zur Diskussion.

Da ist es nun wieder einmal, das emsig gesuchte Balkanien, das Mitteleuropa oder wie es sonst heißt, welches vom Pfui-Ostkunst-Thema zum beliebten Topos im fadisierten Westen wurde. Plötzlich ist etwa die Gegenwartskunstmesse kunst wien dabei, "den Osten" neu zu entdecken. Galeristen, so scheint's, haben ja diese Kunst immer geliebt.

Plötzlich interessieren sich vor allem Banken für diese Kunst, schon seit längerem. Neue Märkte erfordern neue Kunst - oder zumindest einen anderen, weniger arroganten Umgang mit ihr. Sie kann als Mittler funktionieren, Geschäfte in Gang zu bringen oder auch andere Arten von Netzwerken zu schaffen versuchen. Das macht die Erste Bank mit ihrem Langzeitprojekt tranzit. Oder man kann es, wie Peter Weibel an sieben österreichischen Bahnhöfen - als ideale Ausstellungsorte für diese kulturellen "Nomaden der Nachbarschaft" (Weibel) - ab Ende April vorführen. Was unter dem pfiffigen Titel EU & YOU - Kunst der guten Nachbarschaft läuft und laut Franz Morak "Aufbruch, Flexibilität, Mobilität und Neugierde" signalisiert. "Kultur als Standortbestimmung" steht bei derartigen Projekten gerne in den Konzeptpapieren.

Fiktiver Künstler

Nationalitätenbegriffe verschwimmen heute dennoch dank der "globalen Diaspora", der Künstler anheim fallen, freiwillig oder nicht; allein der Pass bestimmt das Herkunftsland. Wenn ihnen gar nichts einfällt, dann besuchen sie die Biennale Venedig, da ist sicher auch was für sie dabei. Erzählt zumindest der fiktive Künstler Josef in Pavlina Fichta Ciernas komischem wie todtraurigem Video.

Surrealer Witz durchwirkt viele Werke der 60er, etwa die Anti-Bilder des Julius Koller oder die poetisch-konzeptuellen, mittels Fotografie und Text dokumentierten 10 Aktionen (1976-78) des Tschechen Jirí Kovanda. Ihre Karriere wäre sicher anders verlaufen, stammten sie etwa aus den USA. Hier zeigt sich wieder einmal, dass Erfolg im Sinne des Marktes nicht immer eine Frage der Qualität ist. Das kann so weit gehen, dass jemand wie - der nicht in der Schau vertretene - Künstler Mladen Stilinovic in seinem "Lob der Faulheit", Künstler aus dem Westen nicht mehr als solche, sondern bloß als "Produzenten von irgendetwas" bezeichnet, weil sie nicht faul seien, sein könnten.

Kunst in Lebenspraxis zu überführen, das zeigen Werke der slowenischen Gruppe OHO sowie ein transportables Museum mit kopierten Bildausschnitten, Zeichnungen oder Manifesten von rund 70 Künstlern aus Ungarn aus der Zeit der 50er- bis 70er-Jahre.

Valie Exports frühe Videoinstallation schlägt eine Brücke zu dieser Zeit, während die Neowiener Marko Lulic und Markus Geiger Verwirrung ob des Kunstplatzes Bawag stiften. Lulic übernimmt eine in Kroatien aufgeschnappte, dem 60er-Modernismus entsprechende laminierte "Club"-Schrift und fingiert quasi die Kellerdisco im Kunsttempel. Secessions-Erröter Markus Geiger wiederum stapelt jeweils 50 in Bratislava, Budapest, Ljublana, Prag und Wien erstandene Innendispersionen - einen absurden wie völkerübergreifenden Anstrich. (Doris Krumpl//DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 3. 2004)


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