Mut zum Risiko
Die Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst
Hohe künstlerische Qualität und die Möglichkeit, 50
Positionen aus 30 Ländern zu entdecken, das ist das Angebot der
zweiten Berlin-Biennale, die am vergangenen Wochenende ihre Tore
geöffnet hat. Mit Saskia Bos, der Leiterin der De Appel Foundation
in Amsterdam, konnte eine international angesehene Kuratorin für ein
Projekt gewonnen werden, das mit hohen Erwartungen befrachtet
ist.
Ein als gesichtsloser Teufel kostümierter Mann tanzt zu tiefen
Bässen. Er schwingt die Arme, krümmt sich im Rhythmus, holt aus,
streckt seine Glieder, stampft und zuckt mit dem ganzen Körper. Mit
bald ausgelassener, bald verhaltener Energie bewegt er sich über dem
Pentagramm, das den Boden des kargen Raumes ziert. In der
Installation des Mexikaners Carlos Amorales ist das Böse zum
schillernden Disco-Emblem mutiert. Stimulation statt Inferno heisst
die Devise, die darauf angelegt ist, das Publikum zum Tanzen zu
animieren. Tatsächlich bleibt es fraglich, ob die vielen Menschen,
welche die Berlin-Biennale in den kommenden zwei Monaten besuchen
werden, ihre Befangenheit überwinden und dem Angebot tatsächlich
Folge leisten werden. Gleichwohl besticht die kuratorische Idee,
eine vornehmlich von filmischen Installationen bestimmte
Ausstellungsdramaturgie mit konkreten Handlungsangeboten zu
durchsetzen.
Beteiligung, Anteilnahme, Verbundenheit
Die Holländerin Saskia Bos, welche mit der künstlerischen Leitung
der zweiten Berlin-Biennale betraut wurde, ist denn auch eine
erfahrene Kuratorin, die sich einer schwierigen Aufgabe mit ebenso
viel Neugierde wie Engagement genähert hat. Es ist ihr hoch
anzurechnen, dass sie der Versuchung, einfach nur den aktuellen
Markt zu spiegeln, widerstanden hat. Statt sich mit einer einfachen
Lösung zufriedenzugeben, hat sie eine persönliche Perspektive
entwickelt und Kunstwerke zu einer weltoffenen Schau
zusammengetragen, die Differenzen zulässt und theoretische
Überfrachtung vermeidet. Leitplanken ihres Konzeptes sind die
Begriffe «Beteiligung», «Anteilnahme» und «Verbundenheit». Eine
Kontur, in der so unterschiedliche Positionen Platz finden wie die
dekorativen Pillenmuster der Bilder eines Fred Thomaselli oder die
Massage-Lounge des Thailänders Surasi Kusulwong. Das
überzeugendeGros der Schau bilden jedoch Film- und Videoarbeiten,
die ein Interesse an der Welt, ihren Fragen und Problemen
entwickeln.
Die erste Berlin-Biennale stand ganz unter dem Motto, die Stadt
als neues kulturelles Zentrum zu etablieren. Was damals unter der
Ägide von Klaus Biesenbach, Initiator des Projektes und seines
Zeichens Leiter der Kunst-Werke Berlin, sowie den auswärtigen
Kuratoren Hans UlrichObrist und Nancy Spector präsentiert wurde,
vermochte jedoch trotz Lautstärke und Selbstbewusstsein wenig zu
überzeugen. Die Kritik fiel negativ aus, und man war sich darüber im
Klaren, dass der Bezug auf eine unbestritten faszinierende Stadt
nicht ausreichen kann, um sich innerhalb der stetig wachsenden Zahl
von Biennalen und ähnlichen Grossausstellungen durchzusetzen. Sei es
nun die Biennale von Venedig, die Manifesta oder die Documenta, dem
Anspruch, den Zeitgeist auf den Punkt zu bringen oder zumindest
Repräsentatives zu formulieren, können sich die Verantwortlichen
kaum entziehen.
Die Qualität der zweiten Biennale liegt denn auch weniger in
einer thematischen Stringenz als vielmehr in einer sorgfältigen
Auswahl, die den einzelnen Künstlern viel Raum lässt. So ist das
Alte Postfuhramt, das über eine Vielzahl von kleineren Räumen
verfügt, der gelungenste Part der Ausstellung, die in den nahen
«Kunst-Werken», unter den S-Bahn-Bögen der Janowitzbrücke und im
Allianz-Hochhaus eingerichtet wurde.
Gleich über sechs Räume erstreckt sich die Videoinstallation des
in Istanbul geborenen, mittlerweile aber in London lebenden Kutlug
Ataman, der einen türkischen Transvestiten porträtiert. In alten
Sesseln sich fläzend, kann man sich Teile des umfangreichen
Bildmaterials zu Gemüte führen, sich nicht anders als im wirklichen
Leben schrittweise an eine exzentrische Person herantasten, ihren
Erzählungen zuhören, sie beim Telefonieren belauschen, mit einem
ihrer Liebhaber beobachten oder ins Spital begleiten. Die kluge
Inszenierung mit parallel laufenden Sequenzen und intimer
Wohnzimmeratmosphäre macht deutlich, welche Möglichkeiten sich mit
der künstlerischen Umsetzung von dokumentarischem Filmmaterial
eröffnen. Ganz auf den Raum und damit auf das Publikum bezogen ist
auch die Arbeit des Litauers Arturas Raila. Auf einem Videoscreen
sind fünf Männer zu sehen. Sie sitzen unter einem faschistischen
Emblem, kommentieren Strassenszenen, die auf die gegenüberliegende
Wand projiziert werden. Ihre Aussagen sind widersprüchlich,
bisweilen wie erwartet rassistisch und menschenverachtend, bisweilen
aber auf irritierende Weise differenziert: eine mehrschichtige
Subversion, die mit der Fragwürdigkeit des eigenen Wertesystems
konfrontiert.
Leichtfüssige Gesellschaftskritik
Die Positionen sind heterogen und vielfältig, lassen sich kaum
auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Will man das Statement der
Kuratorin verstehen, dann gelingt dies am ehesten über die
Beobachtung, dass ironisierende Positionen - sieht man einmal von
Christian Jankowskis amüsanter Kunstmarktpersiflage «Rosa» ab -
ebenso fehlen wie glamouröse Selbstinszenierungen. Selbst die
plakative Spielzeugästhetik der «Baby Trucks», welche die
Amerikanerin Patricia Piccinini in der Eingangshalle des
Postfuhramtes eingerichtet hat, wird in der von Sorgfalt und
Konzentration geprägten Atmosphäre als eine zwar humorvolle, aber
durchaus ernsthafte Reflexion über die Konditionierungen einer von
Konsum geprägten Wirklichkeit empfunden. Macht- und
Gesellschaftskritisches kommt einmal mit grosser Deutlichkeit, ein
andermal als spielerisch verbrämter Subtext daher. Eine poetische
Gestimmtheit entwickelt sich zum Beispiel in dem zumMiniaturkino
umfunktionierten Raum des Portugiesen Joao Peralves: Eine
nebelverhangene Landschaft illustriert seine zu einem fernöstlichen
Märchen stilisierte Lebensgeschichte. Im Stakkato der japanischen
Sprechstimme werden die Unterschiede zwischen Traum und Wirklichkeit
ebenso nivelliert, wie sich die kulturellen Differenzen zwischen
West und Ost verunklären.
Während die am einzelnen Werk oder an grosszügigen Werkgruppen
orientierte Konzeption im Alten Postfuhramt auf ideale Bedingungen
trifft, verliert sich die Dichte der Ausstellung in den grossen
offenen Räumen der «Kunst Werke» in einem unmotivierten
Nebeneinander. Dies ist bedauerlich, die Sympathien für die
Kuratorin bleiben jedoch bestehen. Die eigentliche und nicht zu
unterschätzende Leistung der Ausstellung liegt darin, dass eine
ganze Reihe von neuen, hochinteressanten Positionen zu entdecken
ist. Fragen statt Antworten, Kommunikation und Diskurs sind denn die
wesentlichsten Punkte eines Konzeptes, das dezidiert für den
Einbezug des Publikums und damit statt für Endgültiges für Offenheit
und geistige Beweglichkeit plädiert. Diezweite Berlin-Biennale ist
ein eigenwilliger Versuch, mit den Anforderungen, die ein solches
Projekt mit sich bringt, fertig zu werden.
Claudia Spinelli
Bis
20. Juni. Der zweibändige Katalog kostet DM 50.-.