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Das Atlantis-Minimundus

12.12.2007 | 12:09 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Coop Himmelb(l)au blickt im MAK zurück. Ohne es zu wollen. Nach langen mageren Jahren zählt Wolf D. Prix heute aber zumindest in Europa zu den arriviertesten Architekten.

Mit ihren kontrolliert zerborstenen Formen, ihren raumschiffhaften Konstruktionen und ihren futuristisch gebündelten Zacken waren sie die verzweifelten Stacheln im satten müden Biedermeierfleisch der Wiener Bauherren. 40 Jahre schon produzieren „Coop Himmelb(l)au“ mittlerweile das, was das nunmehr einzig übrige Gründungsmitglied Wolf D. Prix gerne seinen Studenten auf der Angewandten konstatiert: „Rock over Barock.“

Nach langen mageren Jahren zählt Prix heute aber zumindest in Europa zu den arriviertesten Architekten, mit dicker Zigarre im Mundwinkel und dem legendären Dekonstruktivisten-Riff „Architektur muss brennen“ von 1980 im Rücken. Und in der Warteschleife des Büros leidet man noch immer gemeinsam mit Keith Richards („Gimme Shelter“). Die Europäische Zentralbank, die Zentrale von BMW – die Zeit der Ernte scheint gekommen. Zum „Brennen“ bringt das kanonisierte Himmelb(l)ausche Formenspiel aber höchstens noch die Finanziers. Ein fieser Preis dafür, mit einem charakteristischen Stil Erfolg zu haben. In der Architektur ist diese kreative Einbahnfalle noch verführerischer als in der bildenden Kunst. Und, vor allem, überlebensnotwendig. Für all jene Architekten, die ihre Utopien verwirklichen wollen. Sie müssen sich eben für eine einzige entscheiden.

Derart vom Himmel auf den Boden der Tatsachen vermag einen auch die gestern eröffnete Retrospektive im MAK zu holen, die im Sinne des visionären Prixschen Anspruchs natürlich eine „Retroperspektive“ zu sein hat. Nachdem man noch – das alte Brennen, Reißen, Beben, Explodieren im Ohr – erwartungsvoll in den großen MAK-Saal getrabt ist, unter einer simplen Zuschauertribüne durch, im Bauch das gewisse leichte Kribbeln, trifft einen das Erwartbare einer Architekturausstellung umso brutaler. Weil frontal auf Augenhöhe. Erhoben auf bühnenhaftem Podest: lauter Modelle. 170 (Pressetext), nein 300 (Noever), nein 395 (Prix) sind es, arrangiert zu einer riesigen Stadt, einer sunken City in Himmelb(l)au.


New York verstaut in Türmen

Teils kennt man die Projekte – den Gasometer, die gerade in Bau befindliche Europäische Zentralbank, die viel publizierte frühe „Wolke“. Teils sind es weniger geläufige, wie das allererste Projekt von 1964, zwei Jahre vor der offiziellen Geburtsstunde der Kooperative: Ganz New York sollte damals in Türmen verstaut werden, verbunden von gewagt durch die Lüfte schwingenden Highways, ähnlich, wie man es aus dem viel späteren Film „Das fünfte Element“ kennt. Ein System, das sich, wie Prix erklärt, heute in variierter Form in den EZB-Towers wiederholt.

Was aber stellt sie in ihrer massiven Gesamtheit dar, diese manifeste Installation hybrider Träume? Ist es ein geheimnisvolles Atlantis, das per – an das Geländer der Tribüne gekettete – Feldstecher auf seine Entdeckung wartet? Oder doch das finale kitschige Minimundus einer endgültig musealisierten Avantgarde?

Letzteren Eindruck verstärkt die teils schon wieder skurril dramatisch und plakativ überbebilderte 15-minütige Videobotschaft von Prix, projiziert auf die Rückwand, den Horizont der Stadt-Fantasie. Inklusive veritabler Lightshow: Muss die Architektur etwa wieder einmal brennen, wird alles allen Ernstes plötzlich sehr apokalyptisch sehr rot. Dazu blinken immer abwechselnd die von unten beleuchtbaren Module des schachbrettartigen Podestes auf (das noch dazu besucherfreundlich geteilt wurde, wie das Rote Meer durch biblische Hand), was einen fast an die 70er-TV-Kindersendung „Eins, zwei oder drei“ erinnert: „Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.“

Dabei sollte es hier doch um aufgelöste Hierarchien gehen, darum, dass laut Prix das Schwarz-Weiß des Schachbretts gegen das „weiße Rauschen der Informationsgesellschaft“ getauscht wurde. Eine Metapher, die mit Yoko Onos „White Chess“, lauter weißen Figuren auf einem weißen Brett, bereits 1966 ihre radikalste Form gefunden hat. Und vielleicht ist es genau dieses Schicksal der selbsternannten Visionäre von damals wie heute, das einen so nachdenklich machen kann. Sie müssen künstlerische Radikalität in der Vergangenheit suchen, nicht mehr in der Zukunft. Ob sie wollen oder nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2007)


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