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20.06.2005 - Kultur&Medien / Kultur News
Diskussion: Zulehner sieht "neue Freiheitsverunsicherung"
VON ANNE-CATHERINE SIMON
Theologen und Künstler stritten über "das Kreuz mit der Kunst" - oder "das Kreuz mit der Kirche?"

Meinl, das hat mit Wiener Kaffeehaus zu tun, Kaffeehaus wieder mit Diskussion, Kontroverse, Auszeit: Und so veranstaltet das Unternehmen neuerdings "Frühstücks"-Diskussionen mit Prominenten zu aktuellen Themen. Beim ersten "Meinl Coffee Talk" vergangenen Samstag in der Albertina diskutierte man über das Verhältnis von Kunst und Religion. Teilnehmer: Pastoraltheologe Paul Zulehner, der steirische Diözesanbischof Egon Kapellari, Karikaturist Gerhard Haderer und Schriftsteller Robert Menasse. "Das Kreuz mit der Kunst", lautete der Titel, in der Begrüßung wurde daraus "Das Kreuz mit der Kirche" - ein Lapsus? Eher Ansichtssache, zeigte die Diskussion, die sich an Gerhard Haderers Beinahe-Verurteilung in Griechenland wegen seines Buchs "Das Leben Jesu" entzündete. "Die Frage lautet doch: Darf man sich zu einem Thema Karikaturen leisten?", meinte Haderer: Selbst zu Auschwitz könne man sich mit den Mitteln von Comic und Cartoon äußern, es komme allein auf die Sensibilität des Künstlers an. "Warum sind Sie nicht aufgestanden und haben gesagt, das wollen wir nicht - oder wollten Sie es doch?", wollte ein auch als Moderator wenig moderater Menasse von Bischof Kapellari wissen.

"Ich sehe keine Bringschuld, wenn eine andere, orthodoxe Kirche Probleme macht", konterte dieser. Die katholische Kirche in Österreich jedenfalls sei in Kunstfragen sehr "plural". Kunst habe Grenzen, der Humor aber auch besondere Gesetze. Persönlich fühle er sich nicht provoziert. "Es ist nicht mehr die kirchliche Position, Fragen der Moral mit Hilfe des Strafrechts auszuhandeln", ergänzte Zulehner, das beweise auch die Haltung der Kirche in Abtreibungsfragen. Die eigentliche Irritation hätte auch nicht die Kirche, sondern bestimmte Gruppen und Kreise der Gesellschaft betroffen. Zulehner sieht die Aufregung um Haderers Buch als Symptom einer neuen "Freiheitsverunsicherung": Die Freiheit werde zunehmend als unübersichtlich und riskant erlebt. "Die entscheidende Frage lautet: Wie viel Provokation verträgt heute die Kultur?" Fortschritt gebe es nur mit Grenzüberschreitungen, so Zulehners Plädoyer. "Noch nie war das Verhältnis von Kunst und Religion so interessant." Dennoch verwies der Theologe auch auf die "Grenzen der Kränkbarkeit eines Menschen": Die beträfen nicht nur, aber auch religiöse Gefühle.

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