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Ausstellungen 
   
   
  72  Junge Szene  Ruth Maurer  
    Secession, von 09.07.1998 bis 30.08.1998
   
   
»Attention – the floor in the exhibition room is uneven« – warnt ein Schild am Eingang zur »Jungen Szene«-Ausstellung, die heuer zum achten Mal die Wiener Secession aufrührt und erstmals internationale Positionen junger Kunst zeigt. Draußen ist das Gerüst errichtet, um Markus Geigers roten Anstrich wieder in eine denkmalschutzgerechte Jahrhundertwende- Fassade überzuführen, drinnen hingegen hat die Baustelle noch kritisches Potential, das auf eine Konfrontation mit dem White Cube angelegt ist. Monica Bonvicini (I) hat die gesamte Bodenfläche des Hauptraums mit Rigipsplatten auslegen lassen, die so präpariert waren, daß sie unter dem Besucheransturm des Eröffnungsabends einbrachen. Bonvicini setzt der männlich determinierten Konstruktion Dekonstruktion entgegen, regt sie an, aber läßt sie von anderen ausführen. Wie sie in ihrem Katalogbeitrag mit einem Verweis auf Charles Jencks verrät, intendiert sie mit Bezug auf das »Ende der Moderne« eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Ausstellungshaus. Gleichzeitig bündelt sie damit die ambivalente Stimmung, die in der Ausstellung herrscht: spürbare Leidenschaft für produktionsorientierte Kunst oder doch Auflehnung gegen die autoritären Strukturen des Kunstbetriebs? Letzteres verbalisiert Wally Salner mit dem kompromißlosen Hinweis im Katalog, den sie geschickt als verbindliches Rollendisplay instrumentalisiert, indem sie ihn mit »Kinderarbeit« betitelt. Von Salner gegen die ungenügende Honorierung eingesetzt – es stellt sich die Frage, ob das wirklich nur die »Kinder« betrifft –, kann die aggressive Anklage aber auch in harmlose Kritik an jenen Positionen der Ausstellung umschlagen, die diese als junge Szene erkennbar machen. Jonathan Meese (D) zum Beispiel hat sich in einer trashigen Materialschlacht im Untergeschoß ein sentimentales Jugendzimmer eingerichtet und versammelt dort Erinnerungen (s)einer Generation, die keine Typologie entwerfen konnte, weil sie zwischen Siebziger-Jahre-Revival und Technomusik, zwischen selbstaufgenommenen Kassetten und den ersten CDs aufgewachsen ist, zwischen Huckleberry Finn und »Clockwork Orange«, der eigenen Gitarre zu »Nina Hagen – Unbehagen«. Eine Autobiografie für Jonathan, ein Trivial-Pursuit für die ZuschauerInnen, die ständig am Dechiffrieren und damit auf der Suche nach der eigenen Jugend sind.

Auf die Adaption vorgefundener Strukturen baut auch das Video von Roland Rust und Johannes Schweiger. »Fifty Ideas of the 1990s«, eine aus »The Face« übernommene Aufzählung verschiedenster Alltagsphänomene eines Jahrzehnts, war die Basis für ein Sampling von Commercials und Filmausschnitten. Selbst über alle Trends erhaben, beantworten Rust und Schweiger damit die Frage nach dem »Where Do You Want to Go Today« (Microsoft) so detailliert, daß sich den BetrachterInnen die eigene unvermeidbare KonsumentInnenrolle ins Bewußtsein drängt. Während das Video zwar kollektiven Bedürfnissen nachkommt, aber keine zusätzlichen Anmerkungen des Kollektivs mehr duldet, forciert Johannes Grenzfurthners Zeitschrift »monochrom« das offene Diskursfeld: Texte, Zeichnungen, Fotos und vieles mehr sind redaktionell und grafisch kaum aufbereitet, sondern werden als »Hochdichtheitsdruckwerk«, als unvorhersehbare (»monochrom erscheint: plötzlich«) und uneingeschränkte Compilation herausgegeben. (www.monochrom.at)
Für die Veränderbarkeit vorhandener Strukturen plädieren Michael Elmgreen und Ingar Dragset (DK), die in einer ausgezeichneten Eröffnungsperformance einen Glaskubus mit Wandfarbe und Wasser bearbeiteten und damit wiederum die Aufmerksamkeit auf den White Cube lenkten. Daß an den tatsächlichen Strukturen dann doch nicht zu rütteln ist, mußte Anita Witek einsehen, deren großformatige Fotografien nicht mit der Platzregie zu ver-
einbaren waren – ausgerechnet, handeln doch ihre Arbeiten von Platznot beziehungsweise Platzbeschaffung (trotzdem zu sehen im Ausstellungskatalog, Seite 61/62).

Als Branchenmix ist die Ausstellung insgesamt zu sehen: Das Sortiment reicht von feinen Bleistiftzeichnungen bis zu aufwendigen Installationen und von hedonistischen Geständnissen bis zum sozialpolitischen Engagement. Als Verantwortliche für die Auswahl peilte Kathrin Rhomberg eine flächendekkende Rollenverteilung an, setzte gleichermaßen auf aktionistische und konzeptuelle Entwürfe und schuf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Produktionen und Reflexionen über deren Bedingungen. Die Präsentation möglichst vieler Herangehensweisen sollte die Erwartungen einlösen, die an die (junge) Kunst gestellt werden, nämlich gesellschaftliche Veränderungen zu registrieren. Daß damit einzelne Positionen auf ein Gesamtbild »Junge Szene« reduziert werden, ist das Risiko einer demokratischen Kuratorin.
 
     

© 1997-99 springerin