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Kunstberichte
Sentimentale Reise zum neuen Institute of Science and Technology (I.S.T. Austria) in Klosterneuburg-Gugging

Gugging: In dem Haus I.S.T. Austria

Neu neben Alt: Heinz Tesars "Lecture Hall" in Gugging (links). Zur Nachnutzung empfahl sich wertvoller Altbestand (rechts, Baustelle vom Herbst 2008). Foto: Hans Heider

Neu neben Alt: Heinz Tesars "Lecture Hall" in Gugging (links). Zur Nachnutzung empfahl sich wertvoller Altbestand (rechts, Baustelle vom Herbst 2008). Foto: Hans Heider

Aufzählung In nur eineinhalb Jahren Bauzeit wurde die Nervenklinik Klosterneuburg-Gugging in das 2006 gegründete Institute of Science and Technology (I.S.T. Austria) umgemodelt. Die um 1880 gebaute "Anstalt" war der Nachnutzung empfohlen, weil das Land Niederösterreich die Psychiatrie in Tulln konzentrierte. Nun wurde der 18-Hektar-Campus eröffnet – nur 750 Meter von Franz Kafkas Sterbehaus entfernt.

Ein Geistes-"Schloss" im Wienerwald? Jeder bringt nach Gugging seine eigene Vorstellung davon mit, in welcher Gestalt ihm ein Forschungscampus vor Augen kommen wird. Dass sich ein Gelehrsamkeitsaggregat hinter hohen Mauern versteckt, ist keine abwegige Erwartung. Dieses Leitbild geht auf eremitische Selbstgenügsamkeit zurück und auf den von der Welt abgeschirmten Hortulus (Garten) der Denker und Künstler an italienischen Renaissancehöfen.

Ebenso generiert die von Michel Foucault ("Wahnsinn und Gesellschaft") am Leben gehaltene Ikonographie des Irrenhauses Nachbilder von Aussonderungen in geschlossenen Arealen. Die grausamsten davon verfügte in Gugging die NS-Verwaltung; daran erinnert im Park eine vom I.S.T. in Auftrag gegebene Kunstinstallation von Dorothee Golz – ein schräg aufgestellter Transportcontainer.

Darum mag die schrankenlose Offenheit jeden überraschen, der Gugging als Krankenhaus noch nicht kannte. Schon seit vielen Jahrzehnten waren Zugang und Zufahrt frei, Türhüter und Festungsmauern fehlten. Der gute Geist der "demokratischen Psychiatrie" in den bewegten Siebzigerjahren hieß Leo Navratil. In seinem "Haus der Künstler" gewannen Patienten wie Johann Hauser, Oswald Tschirtner, August Walla, Ernst Herbeck, Edmund Mach und andere Ansehen und Autonomie.

Namhafte Künstlerkollegen wie Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Reinhard Priessnitz, Gerhard Roth und André Heller unterstützten Navratils Werben für die "zustandsgebundene Kunst". Gugging wurde dank Navratil ein Merkwort für den denkbar behutsamsten und förderlichsten Umgang mit außerordentlichen Menschen.

Der Wahl Guggings als Standort für das beachtliche Investment der öffentlichen Hand und österreichischen Industrie war lauter politischer Streit vorangegangen. Die Stadt Wien bot in Aspern oder St. Marx totale Neubauten an. Doch schon der englische Soziologe und Historiker C. N. Parkinson ("Parkinson’s Law") hat dargelegt, dass neue Großgruppen ihre produktivste Arbeit in notdürftig adaptierten Räumen leisten; und sich zuvorderst um Selbsterhaltung bemühen, sobald sie ein auf ihre Bedürfnisse hin maßgeschneidertes Haus bauen dürfen.

Ein Neubau und ein Park mit Laubbäumen

Der einzige Neubau auf dem Campus ist schreibtischfrei: Heinz Tesar gestaltete die Vortragshalle als ein sichtbares Zeichen jener Geistes-Moderne, die ab sofort von den ehemaligen Krankensälen und Schwesternzimmern des autarken Spitaldorfs (samt eigener kleinen Kirche) Besitz ergreift. Für Klosterneuburg hat er schon die Evangelische Kirche und das Essl-Museum entworfen.

Seine "Raiffeisen Lecture Hall" überragt ein Glasturm, der mehr in die Breite als gen Himmel strebt. In den Putz der Hauptwand im zweigeschoßigen Foyer prägte Tesar mit gelber Farbe ein Symbolbild. Man kann es als das starke Eine gegenüber viel Kleinzeug interpretieren, oder als plumpen Mainstream, der sich durch tausend Blüten drängt.

Im Auditorium (200 Plätze) sind die Wände, der Boden und die Decke mit rosa Ahorn aus Kanada ausgekleidet. Das Tageslicht von oben – auf das Rednerpult oder Diskussionspanel – wird durch Klappen jedwedem Stimmungswunsch angepasst. Der zum Wienerwald ansteigende Park voll alter Laubbäume hüllt die Büros und Labors anmutig und lieblich ein; an der tiefsten Stelle fließt der Marbach, in einem Teich schwimmen Enten.

Das Denkmalamt schrieb die Erhaltung der besten Teile des Altbestands vor. Das waren Gründerzeitfassaden, ein Hörsaal und ein Vier-Pfeiler-Treppenhaus. Leider verschwand bei der Krankenhaus-Räumung die originale Thonet-Bestuhlung der zum Krankenhaus-Café verkommenen Jugendstilkulisse.

Abgeschirmt hinter einem Wäldchen blieb Leo Navratils Haus der Geborgenheit bestehen, mit seinen bemalten Außenmauern, ergänzt um ein Art-brut-Museum. Was haben die irren Maler und Dichter auf dem Hügel mit den Forschern (bis 2016 sollten es 500 sein) unten am Teich zu schaffen? Selbstverständlich nichts.

Aber ein Zuruf in Kafkas Roman "Das Schloss" könnte auf die Künstler gemünzt sein: "Das Schloss ist an sich unendlich mächtiger als ihr, trotzdem könnte noch ein Zweifel daran sein, ob es gewinnen wird, das aber nützt ihr nicht aus, sondern es ist, als ginge euer ganzes Streben dahin, den Sieg des Schlosses unzweifelhaft sicherzustellen."

Printausgabe vom Freitag, 03. Juli 2009

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