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Wie bekommt man Erwachsene ins Museum?

01.10.2011 | 18:03 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

Auch abseits der "Langen Nacht der Museen" bieten Wiener Kunstmuseen originelle Programme an: Belvedere, KHM, Mumok sind zurzeit führend.

Die Sonne strahlte, das Thema war nicht gerade sonderlich einladend („Fade Geschichten“), und das feine Mittagsmenü im neuen Mumok-Café hat sich wohl noch nicht herumgesprochen. Jedenfalls stand ich am Freitag allein im schicken neuen Mumok-Foyer und wartete auf die Mittagsführung, die hier jetzt – wie im Kunsthistorischen Museum – neu angeboten wird. Schade eigentlich. Eine halbe Stunde Kunst, dann essen füllt genau die Mittagspause. Gusto bekommen? Kommenden Freitag steht auf der Karte: „Scharfe Trennungen“, dann folgen „Rohkost“ und „Fast Food“.

Wie man Kinder zur Kunst bekommt (oder wie man sie ins Museum kurz ein bisschen abschieben kann), darüber lassen sich mittlerweile Bände bzw. Artikel füllen (siehe die „Presse“ von 30.9.). Aber wie Erwachsene animiert werden sollen, auch abseits der niederschwelligen „Langen Nacht der Museen“ die Bilder zu stürmen, diese Frage scheint in vielen österreichischen Institutionen ziemlich konservativ beantwortet zu werden: Themenführung. Kunstgespräch. Überblicksführung. Schnarch.

Yoga im Museum. Es muss ja nicht gleich Yoga im Museum sein, wie es das Museum of Modern Art in New York eine Zeit lang angeboten hat. Manchmal reicht schon ein kleiner Witz, um das Angebot attraktiv zu machen. „Die Führung für Faule war ein voller Erfolg“, erzählt Mumok-Vermittlungsleiterin Claudia Ehgartner. Auch wenn der größte Unterschied zu einer klassischen Führung nur die Hocker waren, auf die sich die „Faulen“ vor die Werke setzen konnten.

Aber warum eigentlich kein Yoga im Museum? Noch dazu, wo es im MoMA praktisch noch Teil der damaligen Ausstellung, einer meditativen Videoinstallation von Pipilotti Rist, war. „Es ist immer die Frage – wo ist die Grenze?“, beschreibt Ehgartner ihre Erfahrung aus 20 Jahren Vermittlungsarbeit. „Bin ich eine Animateurin, rede nur zehn Minuten über Kunst und dann geht es schon zum Cocktail – oder kann ich meine Qualitätskriterien erfüllen?“

Gruppenschmusen im Museum. Gewagte Grenzgänge zwischen Vermittlung und Marketing sind in Wien sicher die Partnerschaft zwischen Kunsthistorischem Museum und der Online-Partnerbörse „parship“ und Aktionen wie „Kiss at the Belvedere“, wo sich am 22.Juli 2010 3000 Menschen im Belvedere-Garten küssten, als Zeichen ihrer Solidarität mit Aids-Kranken. Für die ersten Tausend gab es auch noch ein T-Shirt geschenkt.

„Man merkt dem Vermittlungsprogramm an, welcher Abteilung es unterstellt ist“, so Ehgartner. Im Mumok ist das die wissenschaftliche Abteilung. Im Belvedere gibt es mit Patrick Breynick einen Querdenker zwischen Marketing und Vermittlung. Seit zwei Jahren tüftelt er an einer neuen „Mischung aus Führung und Unterhaltung, um ein breites Publikum anzusprechen“, erklärt er. Zuletzt wurde etwa in der Makart-Ausstellung zum Aktzeichnen vor lebenden Modellen gebeten („Wir mussten mehrere Zusatztermine ansetzen!“). Das aktuelle Projekt wirkt im ersten Moment abgekupfert vom Natur- und vom Kunsthistorischen Museum, die beide schon Führungen im Dunkeln angeboten haben. Im Belvedere allerdings dürfen die mit Taschenlampen ausgerüsteten Besucher auch tatsächlich in die Sammlung, also vor die Kunst, nicht „nur“ aufs Dach oder ins Stiegenhaus. Vor einzelnen Werken sind Forschungsstationen aufgebaut, wo ein Bild etwa mit UV-Licht auf Retuschen untersucht werden kann oder die Unterschiede zwischen der originalen „Judith“ von Klimt und der in der Nähe hängenden Fälschung erklärt werden. Zum Schluss gibt's noch das obligate Glas Sekt.

Mit dem Baby im Tragetuch. Eine Marktlücke für kunstsinnige Jungmütter wird ebenfalls im Belvedere geschlossen: Ab sofort werden für Mütter mit Babys zwischen null und einem Jahr Extraführungen, die eine halbe Stunde vor der regulären Museumsöffnung beginnen, angeboten: Empfohlen wird, das Baby ins Tragetuch zu packen, Wickeltisch, Fläschchenwärmer und Abstellplätze für die Kinderwagen stehen bereit. Vor allem braucht einem in dieser Gruppe aber eines nicht peinlich zu sein: wenn das Baby plötzlich losbrüllt. Das Einzige, was noch fehlt, sind eigentlich nur noch die Krabbeldecken, wie sie im Budapester Ludwig-Museum für solche Jungmütterführungen aufgelegt werden.

Eine überraschende Ausnahme im konservativen Museums-Europa. Vorreiter auf dem Feld der Kunstvermittlung sind wenig überraschend die USA. Wie das MoMA Jugendliche anzulocken versucht – mit Gratispizza und Künstlerfilmen –, ist zwar ein wenig erbärmlich, aber wohl effektiv. Besonders interessant aber ist die Konzentration auf eine der größten Besuchergruppen von Museen im Allgemeinen, auf die ältere Generation. Speziell für Demenzkranke hat das MoMA ein mehrfach ausgezeichnetes Programm entwickelt: „Meet Me at MoMA ... and make memories!“ Einmal im Monat gibt es dieses Angebot mit speziell ausgebildeten Führern.

Pensionisten führen Kinder. Eine Kooperation zwischen dem Wiener Mumok und der Secession dreht sich um eine äußerst engagierte Gruppe von Pensionisten: Diese erarbeiten bei einem Ausstellungsbesuch ein eigenes Vermittlungsprogramm für Kinder, beim nächsten Besuch der Damen und Herren wird dieses dann mit Kindern umgesetzt. Ein Einzelprojekt wie hin und wieder die eher unentschlossenen Ansätze, die große türkische oder serbokroatische Community ins Museum zu bringen. Während in England die Besucherströme von Museen genau analysiert werden und von der Regierung immer wieder eine „Migrantenquote“ eingefordert wird, wird das in Österreich nicht einmal ignoriert. Zwar werden Führungen in den einzelnen Sprachen angeboten (etwa von der Kunsthalle), doch das allein reicht wohl nicht.

Es reicht ebenso nicht, einen aufwendigen Multimedia-Guide für Hörbehinderte zu entwickeln, wie es einmal das Mumok tat – wenn dieses Angebot nicht zum Standard in allen Bundesmuseen wird. So zählen im MoMA etwa „Touch-Tours“ für sehbehinderte Besucher zum regulären Programm, bei denen man u.a. auch Modelle von wichtigen Werken „begreifen“ kann. Was im Übrigen seit einem Jahr auch im Kunsthistorischen Museum in Wien möglich ist: Bilder wurden dank einer speziellen Technologie in Reliefs umgesetzt, die ertastet werden können. Außerdem steht eine Broschüre in Brailleschrift zur Verfügung.

Es überrascht dann doch, dass gerade das Kunsthistorische Museum neben dem Belvedere das mutigste Vermittlungsprogramm aufzuweisen hat. Die Theaterintervention „Ganymed Boarding“ etwa ist ein Musterbeispiel: Österreichische Autoren verfassten Texte zu bestimmten KHM-Gemälden, die dann von Schauspielern vor den Werken vorgetragen wurden.

Im Herbst steht eine Neuauflage der extrem erfolgreichen Kooperation mit dem Wiener Nobelhutmacher Mühlbauer auf dem Programm: Gemeinsam geht man auf die Suche nach originellen Kopfbedeckungen durch die Sammlung, spricht über Pilgerhut, Lorbeerkranz, Spitzenhäubchen, Barett, Hörnerhaube, Turban oder Narrenkappe.

Ein wenig närrisch kann man sich zurzeit auch noch in der Kunsthalle Krems fühlen. Bis Ende der Ausstellung „Lucas Bosch Gelatin“ am 6.November darf man jeden Sonntag in ziemlich drolligen Pferdekostümen das Gesamtkunstwerk aus mittelalterlichem und zeitgenössischem Wahnsinn erforschen.

Das allerdings ist momentan der Gipfel der Exzentrik. Ansonsten geht es in der Erwachsenenbildung von Kunstinstitutionen wie der Albertina, dem MAK, der Kunsthalle Wien, dem Essl oder dem Leopold Museum fast schon schockierend langweilig zu.

Romantische Führung for two. Dabei scheint doch gerade die recht allgemein verträgliche Romantikschiene einen ziemlichen Faktor in der Kunstbetrachtung zu spielen. Nicht umsonst kann man im Leopold-Museum seit Kurzem auch heiraten und gibt es in Museen in ganz Europa immer wieder Single-Führungen (wie etwa schon im KHM oder in der Wiener Kunsthalle). Die Tate Modern in London bietet zum Beispiel eine „Tour for two“ an, eine Privatführung mit anschließendem Champagnerdinner etwa. Und voriges Jahr schien der internationale Ausstellungsbetrieb überhaupt unter dem Motto „Schlaf“ im Museum zu stehen: In gleich mehreren Ausstellungen konnte man in eigens von Künstlern gestalteten Umgebungen übernachten. Und zwar nicht während der „Langen Nacht der Museen“.

Mumok
Führungen für Faule, Eilige und andere, samstags, 16 Uhr, freitags, 13 Uhr: Mittagskurzführungen mit Lunch, 14,50 Euro.

Belvedere
Kunst im Dunkeln: 10.11. und 12.1., 19–20.30h: Schönheit in Ultraviolett. Retuschen und Übermalungen auf der Spur. 24.11., 26.1., 19–20.30h: Tatort Kunst: Original, Kopie oder Fälschung? 19 Euro, Anmeldung: 01/79557-134 oder public@belvedere.at.

Mit Baby bei Hans Makart: 5.Oktober, 9.30 Uhr. Mit Baby bei Curt Stenvert: 19.Oktober, 9.30 Uhr. Exklusive Eintritt: 4 Euro.

Kunsthistorisches Museum

Führung mit Hutmanufaktur Mühlbacher: 18. November, 19 Uhr. Mittagskurzführungen: dienstags und donnerstags, 12.30 Uhr.


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