Die Sonne strahlte, das Thema war nicht gerade sonderlich einladend („Fade Geschichten“), und das feine Mittagsmenü im neuen Mumok-Café hat sich wohl noch nicht herumgesprochen. Jedenfalls stand ich am Freitag allein im schicken neuen Mumok-Foyer und wartete auf die Mittagsführung, die hier jetzt – wie im Kunsthistorischen Museum – neu angeboten wird. Schade eigentlich. Eine halbe Stunde Kunst, dann essen füllt genau die Mittagspause. Gusto bekommen? Kommenden Freitag steht auf der Karte: „Scharfe Trennungen“, dann folgen „Rohkost“ und „Fast Food“.
Wie man Kinder zur Kunst bekommt (oder wie man sie ins Museum kurz
ein bisschen abschieben kann), darüber lassen sich mittlerweile Bände
bzw. Artikel füllen (siehe die „Presse“ von 30.9.). Aber wie Erwachsene
animiert werden sollen, auch abseits der niederschwelligen „Langen
Nacht der Museen“ die Bilder zu stürmen, diese Frage scheint in vielen
österreichischen Institutionen ziemlich konservativ beantwortet zu
werden: Themenführung. Kunstgespräch. Überblicksführung. Schnarch.
Yoga im Museum. Es
muss ja nicht gleich Yoga im Museum sein, wie es das Museum of Modern
Art in New York eine Zeit lang angeboten hat. Manchmal reicht schon ein
kleiner Witz, um das Angebot attraktiv zu machen. „Die Führung für
Faule war ein voller Erfolg“, erzählt Mumok-Vermittlungsleiterin
Claudia Ehgartner. Auch wenn der größte Unterschied zu einer
klassischen Führung nur die Hocker waren, auf die sich die „Faulen“ vor
die Werke setzen konnten.
Aber warum eigentlich kein Yoga im Museum? Noch dazu, wo es im MoMA
praktisch noch Teil der damaligen Ausstellung, einer meditativen
Videoinstallation von Pipilotti Rist, war. „Es ist immer die Frage – wo
ist die Grenze?“, beschreibt Ehgartner ihre Erfahrung aus 20 Jahren
Vermittlungsarbeit. „Bin ich eine Animateurin, rede nur zehn Minuten
über Kunst und dann geht es schon zum Cocktail – oder kann ich meine
Qualitätskriterien erfüllen?“
Gruppenschmusen im Museum. Gewagte
Grenzgänge zwischen Vermittlung und Marketing sind in Wien sicher die
Partnerschaft zwischen Kunsthistorischem Museum und der
Online-Partnerbörse „parship“ und Aktionen wie „Kiss at the Belvedere“,
wo sich am 22.Juli 2010 3000 Menschen im Belvedere-Garten küssten, als
Zeichen ihrer Solidarität mit Aids-Kranken. Für die ersten Tausend gab
es auch noch ein T-Shirt geschenkt.
„Man merkt dem Vermittlungsprogramm an, welcher Abteilung es
unterstellt ist“, so Ehgartner. Im Mumok ist das die wissenschaftliche
Abteilung. Im Belvedere gibt es mit Patrick Breynick einen Querdenker
zwischen Marketing und Vermittlung. Seit zwei Jahren tüftelt er an
einer neuen „Mischung aus Führung und Unterhaltung, um ein breites
Publikum anzusprechen“, erklärt er. Zuletzt wurde etwa in der
Makart-Ausstellung zum Aktzeichnen vor lebenden Modellen gebeten („Wir
mussten mehrere Zusatztermine ansetzen!“). Das aktuelle Projekt wirkt
im ersten Moment abgekupfert vom Natur- und vom Kunsthistorischen
Museum, die beide schon Führungen im Dunkeln angeboten haben. Im
Belvedere allerdings dürfen die mit Taschenlampen ausgerüsteten
Besucher auch tatsächlich in die Sammlung, also vor die Kunst, nicht
„nur“ aufs Dach oder ins Stiegenhaus. Vor einzelnen Werken sind
Forschungsstationen aufgebaut, wo ein Bild etwa mit UV-Licht auf
Retuschen untersucht werden kann oder die Unterschiede zwischen der
originalen „Judith“ von Klimt und der in der Nähe hängenden Fälschung
erklärt werden. Zum Schluss gibt's noch das obligate Glas Sekt.
Mit dem Baby im Tragetuch. Eine
Marktlücke für kunstsinnige Jungmütter wird ebenfalls im Belvedere
geschlossen: Ab sofort werden für Mütter mit Babys zwischen null und
einem Jahr Extraführungen, die eine halbe Stunde vor der regulären
Museumsöffnung beginnen, angeboten: Empfohlen wird, das Baby ins
Tragetuch zu packen, Wickeltisch, Fläschchenwärmer und Abstellplätze
für die Kinderwagen stehen bereit. Vor allem braucht einem in dieser
Gruppe aber eines nicht peinlich zu sein: wenn das Baby plötzlich
losbrüllt. Das Einzige, was noch fehlt, sind eigentlich nur noch die
Krabbeldecken, wie sie im Budapester Ludwig-Museum für solche
Jungmütterführungen aufgelegt werden.
Eine überraschende Ausnahme im konservativen Museums-Europa.
Vorreiter auf dem Feld der Kunstvermittlung sind wenig überraschend die
USA. Wie das MoMA Jugendliche anzulocken versucht – mit Gratispizza und
Künstlerfilmen –, ist zwar ein wenig erbärmlich, aber wohl effektiv.
Besonders interessant aber ist die Konzentration auf eine der größten
Besuchergruppen von Museen im Allgemeinen, auf die ältere Generation.
Speziell für Demenzkranke hat das MoMA ein mehrfach ausgezeichnetes
Programm entwickelt: „Meet Me at MoMA ... and make memories!“ Einmal im
Monat gibt es dieses Angebot mit speziell ausgebildeten Führern.
Pensionisten führen Kinder.
Eine Kooperation zwischen dem Wiener Mumok und der Secession dreht sich
um eine äußerst engagierte Gruppe von Pensionisten: Diese erarbeiten
bei einem Ausstellungsbesuch ein eigenes Vermittlungsprogramm für
Kinder, beim nächsten Besuch der Damen und Herren wird dieses dann mit
Kindern umgesetzt. Ein Einzelprojekt wie hin und wieder die eher
unentschlossenen Ansätze, die große türkische oder serbokroatische
Community ins Museum zu bringen. Während in England die Besucherströme
von Museen genau analysiert werden und von der Regierung immer wieder
eine „Migrantenquote“ eingefordert wird, wird das in Österreich nicht
einmal ignoriert. Zwar werden Führungen in den einzelnen Sprachen
angeboten (etwa von der Kunsthalle), doch das allein reicht wohl nicht.
Es reicht ebenso nicht, einen aufwendigen Multimedia-Guide für Hörbehinderte zu entwickeln, wie es einmal das Mumok tat – wenn dieses Angebot nicht zum Standard in allen Bundesmuseen wird. So zählen im MoMA etwa „Touch-Tours“ für sehbehinderte Besucher zum regulären Programm, bei denen man u.a. auch Modelle von wichtigen Werken „begreifen“ kann. Was im Übrigen seit einem Jahr auch im Kunsthistorischen Museum in Wien möglich ist: Bilder wurden dank einer speziellen Technologie in Reliefs umgesetzt, die ertastet werden können. Außerdem steht eine Broschüre in Brailleschrift zur Verfügung.
Es überrascht dann doch, dass gerade das Kunsthistorische Museum neben dem Belvedere das mutigste Vermittlungsprogramm aufzuweisen hat. Die Theaterintervention „Ganymed Boarding“ etwa ist ein Musterbeispiel: Österreichische Autoren verfassten Texte zu bestimmten KHM-Gemälden, die dann von Schauspielern vor den Werken vorgetragen wurden.
Im Herbst steht eine Neuauflage der extrem erfolgreichen Kooperation mit dem Wiener Nobelhutmacher Mühlbauer auf dem Programm: Gemeinsam geht man auf die Suche nach originellen Kopfbedeckungen durch die Sammlung, spricht über Pilgerhut, Lorbeerkranz, Spitzenhäubchen, Barett, Hörnerhaube, Turban oder Narrenkappe.
Ein wenig närrisch kann man sich zurzeit auch noch in der Kunsthalle Krems fühlen. Bis Ende der Ausstellung „Lucas Bosch Gelatin“ am 6.November darf man jeden Sonntag in ziemlich drolligen Pferdekostümen das Gesamtkunstwerk aus mittelalterlichem und zeitgenössischem Wahnsinn erforschen.
Das allerdings ist momentan der Gipfel der Exzentrik. Ansonsten geht
es in der Erwachsenenbildung von Kunstinstitutionen wie der Albertina,
dem MAK, der Kunsthalle Wien, dem Essl oder dem Leopold Museum fast
schon schockierend langweilig zu.
Romantische Führung for two. Dabei
scheint doch gerade die recht allgemein verträgliche Romantikschiene
einen ziemlichen Faktor in der Kunstbetrachtung zu spielen. Nicht
umsonst kann man im Leopold-Museum seit Kurzem auch heiraten und gibt
es in Museen in ganz Europa immer wieder Single-Führungen (wie etwa
schon im KHM oder in der Wiener Kunsthalle). Die Tate Modern in London
bietet zum Beispiel eine „Tour for two“ an, eine Privatführung mit
anschließendem Champagnerdinner etwa. Und voriges Jahr schien der
internationale Ausstellungsbetrieb überhaupt unter dem Motto „Schlaf“
im Museum zu stehen: In gleich mehreren Ausstellungen konnte man in
eigens von Künstlern gestalteten Umgebungen übernachten. Und zwar nicht
während der „Langen Nacht der Museen“.
Mumok
Führungen für Faule, Eilige und andere, samstags, 16 Uhr, freitags, 13 Uhr: Mittagskurzführungen mit Lunch, 14,50 Euro.
Belvedere
Kunst im Dunkeln: 10.11. und
12.1., 19–20.30h: Schönheit in Ultraviolett. Retuschen und Übermalungen
auf der Spur. 24.11., 26.1., 19–20.30h: Tatort Kunst: Original, Kopie
oder Fälschung? 19 Euro, Anmeldung: 01/79557-134 oder
public@belvedere.at.
Mit Baby bei Hans Makart: 5.Oktober, 9.30 Uhr. Mit Baby bei Curt Stenvert: 19.Oktober, 9.30 Uhr. Exklusive Eintritt: 4 Euro.
Kunsthistorisches Museum
Führung mit Hutmanufaktur Mühlbacher: 18. November, 19 Uhr. Mittagskurzführungen: dienstags und donnerstags, 12.30 Uhr.