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vom 28.08.2007 - Seite 019
"Linz kämpft mit einer inneren Kränkung!"

Der Linz '09-Countdown läuft: Am 1. September kehrt Hubert von Goisern von seiner "Linz Europa Tour" in den Osten zurück und tritt um 18.30 Uhr im Donaupark auf. Die OÖN sprachen mit Kulturhauptstadt-Intendant Martin Heller darüber und seinen aktuellen Linz-Bezug.

VON BERNHARD LICHTENBERGER

OÖN: Nach zwei Jahren als Teilzeit-Linzer - wie hat sich Ihre Sicht der Stadt verändert?

HELLER: Ich verstehe tatsächlich viel mehr von dem, was um mich herum geschieht. Vor zwei Jahren musste ich lernen, was die Donaulände ist - mittlerweile weiß ich, welche Anlegestelle Wurm & Köck gehört und welche dem Brandner. Zugleich verstärkt sich ein Gefühl für den Wert dessen, was es heißt, hier sein zu dürfen mit einer solchen Aufgabe - und auch für das Risiko.

Schließlich verstehe ich die Beweggründe der Stadt viel besser, warum ihr die Kulturhauptstadt als Titel so wichtig ist. Denn damit verbindet sich ein grundlegendes Problem der Stadt: Sie will nach außen kundtun, dass ihre Entwicklung sie an einen ganz anderen Punkt gebracht hat als dahin, wo viele die Stadt nach wie vor vermuten.

Dieses Imageproblem von Linz schließt eine Art innere Kränkung ein - dass viele den Erfolg zwar wahrnehmen, aber ihn nicht wahrhaben wollen.

OÖN: Welchen Erfolg?

HELLER: Dass die Stadt es aus eigenen Kräften geschafft hat, sich aus einer ziemlich desolaten Situation zu befreien - als schmutzige Industriestadt mit einer Industrie, die vor dem Zusammenbruch stand, die sich an sich selbst hat aufrichten müssen zu einer jetzt prosperierenden, für österreichische Verhältnisse unglaublich modernen Region. Das war ein gigantischer Weg, hin auch zu einer sauberen Stadt. Nur reicht dieser Weg allein noch nicht aus, den Titel einer Kulturhauptstadt Europas wirklich auszufüllen.

OÖN: Geht es bei der Kulturhauptstadt um eine Korrektur des Bildes?

HELLER: Für die strategischen Köpfe hinter der Bewerbung stand sicher im Vordergrund, bei dieser Gelegenheit die realen Fortschritte, die Linz verbuchen kann, auch nach außen hin zu kommunizieren zum Nutzen der Stadt. Da geht es sehr wohl um ein Stück Anerkennung.

OÖN: Ist es naiv, sich von 2009 ein Ankurbeln des Kulturtourismus zu erwarten?

HELLER: Der Begriff des Ankurbelns trifft sehr gut, was möglich ist. 2009 bietet dazu optimale Möglichkeiten. Denn der entscheidende Punkt einer Kulturhauptstadt ist weniger das eigentliche Programm als das Gefühl, an einen interessanten Ort zu kommen, der mehr bietet, als ich in zwei Tagen sehen kann.

Das Schlimmste wäre eine Kulturhauptstadt, wo man nach einem Dreivierteltag mit einigen Prospekten auf dem Hauptplatz sitzen und mit dem Verdacht fertig werden muss, man hätte das Kaff gesehen.

OÖN: Es gibt noch immer Menschen, die sich fragen, was Kulturhauptstadt eigentlich ist.

HELLER: Das kann man vorweg auch nicht wirklich beschreiben. Das ist so etwas wie Schaurausch, so etwas wie Hubert von Goisern unterwegs, so etwas wie das Brucknerfest - aber mit hoffentlich mehr Gästen, die von auswärts kommen. Erfahren, was Kulturhauptstadt ist, werden wir alle erst 2009.

OÖN: Hubert von Goiserns "Linz Europa Tour" wird von anderen Künstlern - Walter Kohl, Attwenger-Hälfte Markus Binder, Kurt Palm - mit Häme überschüttet. Was sagen Sie dazu?

HELLER: Ich bin jemand, der die direkte Auseinandersetzung liebt. Den Attwengern habe ich nach dem Filmfestival Crossing Europe ein Mail geschickt, dass ich sie gerne treffen möchte - eine Antwort blieb aus. Anders Kurt Palm: Er hat sofort geantwortet - mal sehen. Nur im Gespräch kann ich darlegen, warum ich die Kritik, die Sie erwähnen, für kurzsichtig halte. Aber am bequemsten kritisiert's sich halt aus sicherer Distanz.

Zur Sache selbst: Wir tragen die "Linz Europa Tour" aus verschiedenen Gründen mit. Zum einen, weil es ein Risikoprojekt ist - Kulturhauptstadt muss etwas wagen! Zum anderen, weil alle Komponenten darin mir Vertrauen gegeben haben. Allen voran, dass jemand wie Hubert das stemmt, mit unglaublicher Leidenschaft, ja Verbissenheit. Auch die Idee war stimmig: mit Europa anzubandeln, auf eine Weise, die es so noch nie gegeben hat.

All das passt mir wunderbar in den Kram; so muss eine Stadt auf sich aufmerksam machen, die bisher kaum durch Internationalität aufgefallen ist. Die "Linz Europa Tour" hat mittlerweile einen immens hohen Bekanntheitsgrad.

OÖN: Ist Kulturhauptstadt mittlerweile inflationär und überholt, und birgt die Tatsache, dass Künstler, Kuratoren, Kollektive jährlich zwei Anlaufstationen für ihre Projekte haben, die Gefahr der Wiederholung?

HELLER: Man muss diese Frage innerhalb einer Häufung von Anlässen größeren Zuschnitts bedenken. Im Kunstbetrieb gibt es dieselbe Diskussion über Biennalen, die in der ganzen Welt boomen. Städte, die nicht primär zum Wohl der Kunst, sondern danach suchen, wie sie sich Kulturtouristen sichern können, und wie sich dabei auch die eigenen Kreativen einbinden und ins Weltgeschehen bringen lassen. Da ist dann "Biennale" das Zauberwort. Nur: Der Zauber funktioniert am Schluss dann halt doch nur bei wenigen, denn irgendwann schlägt die große Zahl zurück.

Bei Kulturhauptstädten allerdings ist die Konkurrenz überschaubar. Es ist zudem ironischerweise gut für das Format, dass es zwischendurch Kulturhauptstädte gibt, von denen man nicht viel hört - weil sie die Aufgabe nicht schaffen oder sie das Geld nicht zusammenkriegen. Schließlich: Die Programme der Städte unterscheiden sich wesentlich, und das ist für mich stärker als das summarische Label "Kulturhauptstadt Europas", weil jede Stadt die Gelegenheit hat, sich außerhalb des Alltags unübliche Fragen zu stellen und neue Energien zu mobilisieren.

OÖN: Wird unser Kulturhauptstadtjahr etwas?

HELLER: Aber sicher!

Martin Heller Foto: rubra


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