Nicht zu Hause und doch daheim | |
Der Artikel von Gabriele Kaiser erschien in der Originalfassung in architektur aktuell.
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Ein Wohnmobilist bezieht sein
Urlaubszimmer schon zu Hause. Er startet in der köstlichen Gewissheit,
unterwegs - wo immer das auch sei, in seinem eigenen Bett zu schlafen und
an seinem eigenen Frühstückstisch sitzen zu können. Er wird auf die Frage:
"Und wie war das Zimmer?" antworten können: Großartig! Wir hatten es
mitgebracht!
Der freie und spontane Ortswechsel ohne Tapetenwechsel sowie die
gesuchte Nähe zur Natur mit allen wetterbedingten Launen gehören zu den
Grundmerkmalen des Campings. Naturverbundenheit und Bewegungsfreiheit
kollidieren aber unweigerlich mit der gesetzlich verordneten Wirklichkeit
und haben bereits in der ersten Blüte des Campings in den 1950er Jahren
überall in Europa eigene Regelungssysteme hervorgebracht, die "wildes
Campen" in der sogenannten freien Natur untersagen. Camping-Kunst Diese Spannung zwischen reglementierter Mobilität, Häuslichkeit,
Naturnähe und normiertem Landschaftskonsum ist ein Thema, das den Künstler
und Fotografen Andrew
Phelps angeregt hat, eine Serie von österreichischen Campingplätzen
aufzunehmen. Das Projekt mit dem Titel "Nature de luxe" ist eine
Erweiterung seiner fotografischen Auseinandersetzung mit den diversen
Vermischungsgraden zwischen Stadtraum, Natur und "Wildnis", (wobei
letzteres hauptsächlich in seinen amerikanischen Bildern - Andrew Phelps
stammt aus Arizona - zum Ausdruck kommt.)
Im vorliegenden Set eines österreichweiten Campingplatz-Zyklus treten
zwei Aspekte dieser Mensch-Umwelt-Beziehung besonders deutlich hervor: Das
ambivalente und künstliche Verhältnis der Camper zu Natur und Landschaft
sowie die diversen Tendenzen der Sesshaftigkeit einer in seinen
Materialeigenschaften durch und durch auf Mobilität ausgerichteten
Behausung. Drinnen und draußen
Die meisten der rund 500 in Österreich angelegten Campingplätze
befinden sich - von den Etappenplätzen an den Autobahnen abgesehen - in
landschaftlich privilegierter Lage am Ufer eines Sees oder am Fuß eines
Gebirgszugs. Ein Campingplatz liegt "schön", wenn man von jedem seiner
Stellplätze einen schönen Blick auf die Landschaft genießt. Für dieses
Privileg der freien Sicht vergibt jeder Campingführer zwei Piktogramme:
weißes Auge im weiß grundierten Ring - schön gelegener Campingplatz;
weißes Auge im schwarzen Kreis - außerordentlich schön gelegener
Campingplatz. Genau genommen liegen diese Plätze nicht in, sondern an der schönen
Landschaft, denn die parzellierte, terrassierte, von Erschließungswegen
durchzogene und gärtnerisch gepflegte Anlage ist schon aufgrund ihrer
strukturellen Normiertheit davon entrückt und bildet in Bezug auf den
Landschaftskonsum lediglich die dicht besiedelte Plattform für den schönen
Ausblick. Die domestizierte Landschaft Seestück und Bergrücken bilden auch auf den Aufnahmen von Andrew Phelps
immer wieder jene Bühnenprospekte, in deren Zentrum die Accessoires des
Campings stehen, die für den Blick-Genuss und die "Domestizierung" dieser
Landschaften geschaffen zu sein scheinen. "Der wunderbare Blick durch das Heckfenster auf den See inspiriert uns
beim Zaubern von schnellen, aber köstlichen Urlaubsrezepten", sagt eine
glückliche, in einem funkelnagelneuen Wagen residierende Wohnmobilistin
für einen Testbericht einer Fachzeitschrift. Am rechten Rand an der
Fassade des Caravans ist ein Dekorstreifen in Form eines Piktogramms von
Wellengang und Bergkette erkennbar, dazwischen der Schriftzug "Hobby".
Hier wohnt also jemand, dessen Hobby teilmobiles Wohnen ist. Ob ihr wohl
die Ausübung ihres zweiten Hobbys, die Pflege des Gartens, vergönnt
ist?
Nicht daheim und doch zu Hause Auch wenn manche Campingplätze mit Dauerbelegung äußerlich
Ähnlichkeiten mit Schrebergärten aufweisen, sind in der Praxis eines
durchschnittlichen Campingplatzes eher Vergleiche mit all
inclusive-Ferienanlagen (mit Animation) oder aber mit schlichten
Parkplätzen angebracht. Trotz liebevoll gesetzter äußerer Zeichen der Sesshaftigkeit
(Holzverschalung, Blumentröge am Fenster, Zwerge im Rasen), die größere
Bodenhaftung vermuten lassen - das Haus steht auf Rädern, und nach
Demontage des Hauskleids würde erkennbar, wofür es gebaut ist: fürs
Daheimsein unterwegs in den dafür vorgesehenen Bahnen. Links: Tipp: Die Foto-Ausstellung "Nature de luxe" von Andrew Phelps wird von 17.
Mai bis 16. Juni 2001 in der Galerie der Stadt Wels
gezeigt. Die Originalfassung dieses Essays erschien in architektur aktuell. Österreichs größte
Architekturzeitschrift von internationalem Rang präsentiert zehnmal
jährlich die wichtigsten neuen Bauten sowie Interviews und Essays von
renommierten Kritikern. | ||||||||||