01.07.2003 19:03
Ein Denkfallensteller im Namen der Kunst
Sämtliche Medien wie Spielarten der Kunst schor der Belgier Marcel
Broothaers über seinen postsurrealistischen Kamm. Einen Teil seines dichten
Werkes stellt die Kunsthalle Wien im Museumsquartier in den Mittelpunkt. - Foto
Wien - Ungerecht kann sie manchmal sein, diese Kunstgeschichte.
Da geht einer nicht in sie ein, nur weil er nicht aus den USA oder Deutschland
stammt und noch dazu mit einem komplizierten Namen versehen ist. Marcel
Broothaers (1924 - 1976) stammt aus Belgien, und ihm ist über ein
Vierteljahrhundert nach seinem Tod beschieden, doch in die Geschichte
einzugehen. Seine Universalkunst zwischen surrealistischem Nonsense und
intellektuellem Witz mauserte sich vom Geheimtipp zu staatstragender Größe.
Selbst seine Miesmuschel-Objekte bieten die Auktionshäuser laufend an und
zeigen, dass vieles am Markt endet, was diesen unterlaufen wollte.
Aber
Broothaers wusste immer wieder sein lustvolles Täuschungsspiel zu betreiben -
als ideologischer Nachfolger vom Stamme Duchamp. Er analysierte, kommentierte
und karikierte - auch auf durchaus bildhaft-sinnliche Weise - das
"Betriebssystem Kunst", lange bevor berufene Konzeptartisten es bis zum Abwinken
zerpflücken wollten. Entfernte Verwandschaften hegt Broothaers Werk zu Warhol
und Beuys. Magritte, "der mich viel soziologischer als künstlerisch fand"
(Broothaers) lernte er 16-jährig kennen, auf Kurt Schwitters berief sich der
Dichter-Künstler ebenso wie auf Poeten wie Mallarmé, welcher in seinem Gedicht
Würfelwurf Worte buchstäblich verräumlichte.
Obwohl bei der documenta 7
sowie Cathrin Davids documenta X maßgebend präsent, schafft es nun erst die
Kunsthalle Wien erstmals in Österreich zu einer kleinen, feinen Ausstellung. Sie
fokussiert auf die Themen Reise und "Bilder des Fremden". Die mehrteilige Arbeit
Wintergarten, bestehend aus Zimmerpalmen, Sinnbild kolonialistischer Exotik im
19. Jahrhundert, und je zwei 80-teiligen Diasätzen mit gesammelten historischem
Material zum Thema. Broothaers, so etwas wie ein genialer Generaldilettant, war
manischer Sammler Wort-und Ideenverwerter, seine Gabe war Beobachtung und Witz,
nicht große Zeichen- oder Malkunst.
So wie sich heute
Modejournalistinnen von einem Moment zum anderen entschließen, selber ein Label
zu entwerfen, so entschied sich der mit seinen Büchern kaum reüssierende Dichter
Broothaers im Alter von 40 Jahren, also nicht mehr in jugendlichem
Idealismus-Überschwang und Glauben an die Kunst, endlich etwas Anständiges zu
machen und Künstler zu werden. Gleich ordentlich mit eigenem (zum Teil natürlich
erfundenen) Museum und staatstragender Signatur, zuweilen meterlang als Bild
präsentiert. Aus dem Museum, "Abteilung Adler. Sektion Werbung" stammt die in
Wien gezeigte Adler-Bildersammlung.
Politique, poétique
Die einzige große Skulptur in der Ausstellung, das Relikt einer
neodadaistischen Performance, illustriert des Broothaers Gratwanderung zwischen
der faktischen, realen Welt, bei ihm "politique" genannt, und der schwer
fassbaren "poétique": Auf der einen Seite bleibt das Objekt ein nüchterner
Bankschalter, auf der Rückseite stehen sinnlose Kryptogramme, Hinweise auf die
unverkäufliche, sperrige Qualität von Poesie.
Broothaers bezweifelte, so
der Katalogtext, "die Legitimität der magischen Praktiken im Dienste einer
Sozialen Plastik, da Kunst und Politik letztlich nie zusammengehen könnten, ohne
sich gegenseitig zu korrumpieren". Auch hier bleibt er aktuell kontrovers,
dieser Fallensteller im Namen der Kunst. (Doris Krumpl/DER STANDARD,
Printausgabe, 2.07.2003)