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Kunstberichte
Wie verarbeiten bildende Künstler in einer hektisch beschleunigten Welt das Thema Zeit?

Die Unbarmherzigkeit der Zeiger

Die Zeit ist nicht zu fassen, das wusste schon Salvador Dalí. Auch Peter Sandbichler verformt für die Ausstellung in der Ankerbrotfabrik die Zeit, respektive die Würfeluhr. Foto: Normalzeit

Die Zeit ist nicht zu fassen, das wusste schon Salvador Dalí. Auch Peter Sandbichler verformt für die Ausstellung in der Ankerbrotfabrik die Zeit, respektive die Würfeluhr. Foto: Normalzeit

Von Christof Habres

Aufzählung Der Topos Zeit als wesentlicher Faktor künstlerischen Schaffens.
Aufzählung Künstler sind mitnichten "aus der Zeit gefallen".
Aufzählung Die Ausstellung "Normalzeit" liefert neue Blickwinkel auf den Zeitbegriff in der Kunst.

Wien. "Ticktack, ticktack..." Diese Website kann ganz schön auf die Nerven gehen. Ohne Unterlass ist dieses Ticken im Hintergrund zu hören und der Sekundenzeiger rotiert natürlich auch unaufhaltsam. Das ist eben das Wesen der Zeit, mag man ins Treffen führen, keiner kann sie stoppen und sie ist immer gegenwärtig.

Gerade bei dem Kunstprojekt "normalzeit" ist sie mehrfach präsent. Auf der einen Seite waren und sind die Wiener Würfeluhren so etwas wie ein Wahrzeichen. Über Jahrzehnte waren diese öffentlichen Uhrzeitvermittler, die kurz nach 1900 entwickelt und produziert wurden, prominent in die Stadtarchitektur Wiens integriert und waren für viele an ihnen vorbeigehende Bewohner eine Richtschnur, ob man nun, auf dem Weg zu einer privaten Verabredung oder einem beruflichen Termin, in der Zeit ist oder sich beeilen muss. Auf der anderen Seite steht ein Kunstprojekt der international tätigen Kunsthandelsfirma "lichterloh", die vor einigen Jahren die originalen, historischen Würfeluhren von der Stadt erworben hat. Und nun zum 20-jährigen Jubiläum des Unternehmens von Dagmar Moser, Christof Stein und Philipp-Markus Pernhaupt ein Kunstprojekt zum Themenblock "Kunst und Zeit" ins Leben gerufen hat.

Unter Zeitdruck geht in der Kunst gar nichts

Es wurden zwölf international renommierte österreichische Künstlerinnen und Künstler wie Franz Graf, Gelitin, Peter Sandbichler oder Eva Chytilek eingeladen, Arbeiten, unter Einbeziehung oder Verwendung dieser Würfeluhr, zum Begriffsfeld "Zeit" zu konzipieren und zu realisieren.

Was wieder zur angesprochenen Website führt. Denn auf dieser – http://www.normalzeit.at – wird dem Besucher, neben den Informationen zu diesem Projekt, eben auch sehr nachdrücklich das Vergehen der Zeit in Erinnerung gebracht. Da kommt man nicht umhin, sich Gedanken zu machen, in welchem (Spannungs-)Verhältnis denn Künstler oder generell die Kunst zum Faktor Zeit stehen. Woran man dieses komplizierte Verhältnis festmachen könnte.

Unter Zeitdruck geht in der Kunst gar nix. Auf jeden Fall kann der kreative Schaffensprozess diesem Druck nicht unterworfen werden. In einer zeitgenössisch-kapitalistisch geprägten Welt, die im alltäglichen Berufsleben danach ausgerichtet scheint, dass Aufgaben, Auf- und Verträge schon am Vortag hätten erledigt sein müssen, wird im krassen Gegensatz dazu das Berufsbild des Künstlers als eine Oase zeitlicher Unabhängigkeit beschrieben. Als eine Insel der Zeitlosigkeit in einer von Hektik, Tempo und Geschwindigkeit definierten Umwelt. Ein Bild, das Künstler als kreative Müßiggänger charakterisiert. Entweder durchwandern sie aufmerksam verschiedene Erfahrungswelten und sammeln Ideen für Kunstwerke. Oder sie sitzen nachdenklich in ihren Ateliers und überlegen, welcher weitere künstlerische Schritt nun zu setzen ist, um ein Kunstwerk "weiterzubringen" oder beenden zu können.

In beiden Fällen spielt Zeit anscheinend keine wesentliche Rolle. Zugegeben, ein sehr klischeebehaftetes Bild vom Leben einer künstlerischen Boheme. Aber interessanterweise noch immer weit verbreitet in den Köpfen der Menschen. Wahrscheinlich darin begründet, dass das Künstlersein – und dabei geht es nicht nur um bildende Künstler, sondern auch um Schauspieler, Schriftsteller und Musiker – für viele Normalsterbliche ein idealisiertes Traum- und Fluchtbild darstellt. Ein hypothetischer Ausweg für gestresste Jobhamster aus dem ungesunden, teilweise irrsinnigen Wettlauf gegen die Zeit.

Doch es ist tatsächlich nur ein idealisiertes Bild. Zeitgenössische Künstler, speziell wenn sie am Anfang ihrer Karriere stehen, können sich aus der globalisierten, dynamischen Karrierewelt kaum mehr ausklinken. Der romantischen Idee, in seinem künstlerischen Elfenbeinturm entdeckt zu werden, ohne die verschiedensten, modernen Kommunikationsmittel, wie Aufbau einer Datenbank, Versendung von Newslettern oder die Platzierung einer eigenen Website, zu bedienen, hängen kaum mehr Künstler an. Die oft beschriebene und von vielen Politikern geforderte Leistungsgesellschaft, die sich durch sichtbare Präsenz am Arbeitsplatz, einem Kalender mit Terminkaskaden und individuellen, vermarktbaren Erfolgserlebnissen zusammensetzt, ist auch im Künstlerleben angekommen. Etwas abgemildert natürlich, aber doch.

Es gilt ebenso für Künstler, den Ablauf eines Tages genau zu planen, die Stunden im Atelier, die telefonischen Terminvereinbarungen mit Kuratoren oder Galeristen oder die Treffen mit potenziellen Käufern. All das muss organisiert werden. Das Eigenmarketing ist gerade für junge Künstler, die noch keine fixe, vertraglich geregelte Galerienvertretung haben, zu einer bedeutenden zeitlichen Größe herangewachsen. Da kann es schon passieren, dass die grundlegende kreative Arbeit aufgrund heillos überzogener Zeitbudgets ins Hintertreffen gerät. Und so à la longue die Qualität der Arbeiten darunter leidet. Und leidet die Qualität, die Einzigartigkeit der Arbeiten, dann muss – etwas provokant formuliert – das Marketing noch mal intensiviert werden. Wie es bei vielen werbewirksam aufgefetteten Produktlinien für die Konsumgesellschaft zu beobachten ist. Damit das nicht geschieht und der Künstler ausgewogen zwischen Schaffen und Vermarktung agieren kann, werden an den meisten Kunst-Hochschulen seit einigen Jahren Seminare und Kurse für Kunstmanagement angeboten und von vielen Studenten auch gerne in Anspruch genommen.

Wichtige Erfahrungen brauchen ihre Zeit

Abseits der aktuellen Verschränkungen zwischen Kunst und deren Vermarktung spielt der Faktor Zeit im künstlerischen Schaffensprozess natürlich noch immer eine bedeutende Rolle. Das Gefühl, die Sicherheit und Erfahrung zu besitzen und erkennen zu können, wann und wie man Kunstwerke, Werkserien einer Öffentlichkeit präsentiert, ist ein langwieriger Lernprozess. Es kann für einen Künstler mitunter schmerzlich enden, auf einen lukrativen Zug der Zeit zu früh aufgesprungen zu sein. Auf verlockende Angebote von Galerien oder Ausstellungshäuser vorschnell eingegangen zu sein, weil der eine oder andere Werkblock Gefallen bei Galeristen, Kuratoren und Sammlern gefunden hat. Es kann schon passieren, dass man sich innerhalb kürzester Zeit in den Mühlen des Kunstbetriebs wiederfindet. Die Arbeiten durch einen gepushten Hype zum Renner werden und man durch die Erwartungen des Marktes und persönliche Zeitnot gezwungen ist, eine gefragte Stilistik immer und immer wieder zu wiederholen und auszureizen. Dann verkommt die Kunst zur leicht vermarktbaren Fließbandarbeit und finanzielle Anreize korrumpieren die Kreativität massiv.

Es gibt aber auch Zukunft abseits vom Jugendwahn

Um aus dieser geistig ermüdenden Redundanz herauszukommen, wieder eine originäre künstlerische Position für sich zu entdecken und zu entwickeln, ist meist ein steiniger Weg zurückzulegen. Oder man bleibt in dieser "Und täglich grüßt das Murmeltier"-Kunstproduktion stecken.

Diese Tendenzen sind untrügliche Zeichen unserer schnelllebigen Zeit, verbunden mit einem kruden Jugendlichkeitswahn. Künstler, aus welchem Bereich auch immer, können nicht jung genug sein, um sehr schnell auf ein mediales, finanziell gut gepolstertes Podest gehoben und abgefeiert zu werden. Es steht aber zu erwarten, dass sich das Gros der Künstler auf das Wesentliche ihrer Arbeit konzentrieren kann. Sich ernsthaft und professionell ihrer Arbeit widmen kann. Wenn nicht ausschließlich, dann doch zu einem großen Teil.

Und es gibt ausreichend Beispiele, dass man keine Krise bekommen muss, wenn man nicht schon als Mittzwanziger ein Hot-Shot der internationalen Kunstwelt ist. Klingende Namen wie Louise Bourgeois, Maria Lassnig oder Franz West machen deutlich, dass kontinuierliches, unaufhaltsames Arbeiten auch im fortgeschrittenen Alter zu internationaler Anerkennung und Erfolg führt. Ohne sich ständig von einer tickenden Uhr im Kopf terrorisieren zu lassen.

Wenn dieses Ticken aus dem Computer kommt, ist es relativ einfach, ihm zu begegnen: Ton aus, die Website wegklicken, Computer ausschalten und sich die Zeit nehmen, die Ausstellung "normalzeit" zu besuchen. Um zu erfahren, was denn Künstler tatsächlich zur "Zeit" zu sagen haben.

Ausstellung "Normalzeit":
Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik. 17. bis 26. Juni
"Website:http://www.normalzeit.at

 

Printausgabe vom Mittwoch, 15. Juni 2011
Online seit: Dienstag, 14. Juni 2011 17:49:24

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