L'Express schwärmt bereits von der "Ausstellung des Jahrhunderts", Le Figaro spricht immerhin noch von einer "Expo jenseits jeder Norm". Was durchaus zutrifft: 200 Gemälde bieten Grand Palais, Louvre und Quai d'Orsay ab Mittwoch unter dem Motto Picasso und die Meister. Da die Veranstalter mit einem gewaltigen Publikumsansturm rechnen, bleiben die Tore gleich fünfmal pro Woche für Nocturnes bis 22 Uhr offen; sogar am Dienstag, in Frankreich sonst der museumsfreie Tag, ist die Ausstellung an einzelnen Tagen offen.
Ziel der Ausstellung ist es, täglich 10.000 Besucher durch die drei Ausstellungen zu schleusen, fast das Doppelte herkömmlicher Werkschauen. Umso erstaunlicher ist es, dass es die Organisatoren nicht einmal geschafft haben, ein einziges Ticket zu einem Einheitspreis abzugeben. So zahlt man im Grand Palais 12 Euro, jeweils neun im Musée d'Orsay und im Louvre - zusammen also den stolzen Preis von 30 Euro.
Die Konservatorin des Pariser Picasso-Museums, Anne Baldassari, verteidigt sich, es sei eben auch die teuerste Ausstellung dieser Art, die in Paris jemals auf die Beine gestellt worden sei. 4,3 Millionen Euro kostete sie, obwohl Meisterwerke aus der ganzen Welt vor allem im Tauschverfahren an die Seine gekommen sind. Baldassari stellte einen regelrechten Bilderversand auf die Beine, um die Picasso-Schau zu ermöglichen. Diese erfordert von ihrem Ansatz her den Vergleich mit den größten Werken der Malerei. Kranach, Rembrandt, Courbet, Degas, Cézanne, Renoir - um nur ein paar zu nennen - waren schlicht unerlässlich für das Gelingen der Ausstellung. Baldassari gelang es, aus dem Prado sieben Bilder von El Greco, Velasquez oder Zurbaran zu erhalten, die Madrid sonst nie verlassen. Ohne Goyas Maja Desnuda wäre der Höhepunkt der Ausstellung, der Saal mit den Aktbildern, gar nicht zustande gekommen.
Malerei der Malerei
Die Französin hatte die spanischen Museen drei Jahre lang bewusst
mit ihrem reichen Picasso-Bestand eingedeckt; da das Pariser
Picasso-Museum ab 2009 renoviert wird, kann sie ihre Meisterwerke dann
überall herumbieten. Um Ingres' Gemälde Madame Moitessier von
der Londoner National Gallery zu erhalten, müssen in den nächsten
Jahren gleich zwanzig Picassos aus Paris über den Ärmelkanal verliehen
werden. Auch Manets Olympia konnte in dem Saal mit Picassos Abhandlungen berühmter Aktbilder nicht fehlen.
Das
einstige, heute im Orsay ausgestellte Skandalwerk musste zwar nur über
die Seine in den Grand Palais gebracht werden, doch erforderte dies
jahrelange Verhandlungen. Hingegen verweigerte das Musée d'Orsay
genauso wie Amsterdam ein Van Gogh-Portrait. Dafür erreichten
Baldassari und ihre Ko-Organisatorin, die Louvre-Konservatorin
Marie-Laure Bernadac, dass die Hamburger Kunsthalle ausnahmsweise
Manets Nana zur Verfügung stellte - was erklärt, dass die Elbestadt
bald einmal in den Genuss einer Picasso-Schau kommen wird. Die einzige
Lücke der Ausstellung ist die Absenz der Meninas von Velasquez - doch dass die im Prado bleiben, war von Anfang an klar.
Neben den Aktbildern gilt das Hauptaugenmerk vor allem Picassos "Vorbildern" wie einem Portrait Gauguins, einem Reiterbild El Grecos oder Goyas Fleischgemälden. Breiten Raum offeriert die Ausstellung auch der Art, wie Picasso Altwerke von Conquistadores und Corridas direkt in die Modernität übersetzte. Ebenso wirkungsvoll die Annäherung der kubistischen Phase an Zurbarans Klassiker. Der Minotauros Picasso habe diese Werke "wie ein Kannibale verdaut", meint Baldassari; damit habe er "die Malerei der Malerei zum System erhoben".
Unfreiwillig oder nicht, vermittelt allein schon der gewaltige Umfang der Schau einen Eindruck von der Vitalität und der Phantasie, des Genies und des Humors eines nimmersatten Malers, der sich die halbe Kunstgeschichte in seine eigenen Bilder einverleibte. Die Besucher werden sich nach 200 Gemälden allerdings voll und ganz sattgesehen haben. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD/Printausgabe, 07.10.2008)