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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Sommer der Kunst 
02. Juni 2007
17:09 MESZ
Foto: APA/Fohringer

"Schneller, größer, schlampiger"
Georg Schöllhammer im STANDARD-Interview über Kunst als Lifestyle-Industrie

Vor zehn Jahren gab es eine ähnliche Situation: Gleichzeitig eröffneten die zehnte documenta, die 47. Biennale Venedig, die dritten Skulptur Projekte Münster und die 28. Art Basel. Damals galt aber noch die strenge Unterteilung zwischen Kommerz und Kunst - keiner wäre auf die Idee gekommen, die Art Basel in einem Atemzug mit den drei Ausstellungen zu erwähnen. Es interessierte sich weder die lokale Presse noch ein weltweites Publikum für Kunst. Die Besucherzahlen der documenta kamen in ihren 100 Tagen nur knapp über 600.000 hinaus, die Art Basel hat erst im Jahr 2000 die magische Grenze von 50.000 überschritten, und die Skulptur Projekte galten noch als Geheimtipp für eine kleine Schar Kunstbegeisterter.

Ausstellungen waren eine Angelegenheit von hauptsächlich westlichen Nationen, und Catherine David gab als Leiterin der zehnten documenta einen derartig streng-intellektuellen Kanon vor, dass keinerlei Spaß und Entertainment zu erwarten waren. Dieses Jahr ist alles anders - warum, darüber gibt Georg Schöllhammer Auskunft, Herausgeber der Kunstzeitschrift Springerin und Leiter des documenta-Magazin-Projektes, an dem weltweit über 90 Kunstzeitschriften beteiligt sind, die insgesamt über 500 Beiträge zu den zentralen Themen der documenta verfasst haben.

STANDARD: In diesem ,Kunstsommer' werden Besucherrekorde erwartet - warum interessieren sich plötzlich so viele Menschen für zeitgenössische Kunst?

Georg Schöllhammer: Zum einen ist dieser Ereignissommer die Konsequenz einer Spektralisierung der Kunstwelt, an der nicht mehr nur westliche Länder beteiligt sind. Zum anderen ist es jetzt anders als im großen Markt der 1980er-Jahre, als man in den USA und Nordeuropa erstmals Kunst als hängende Aktie erfuhr - als Aktien an der Wand -, Kunst ist zum wesentlichen Teil der Lifestyle-Industrie geworden, wie es die Architektur schon länger ist.

STANDARD: Und wieso interessiert die zeitgenössische Kunst plötzlich nahezu jede Lokalredaktion?

Schöllhammer: Alle ja nicht. Ich denke, das Interesse hängt eben mit dem Entstehen einer neuen globalen Klasse zusammen, deren ästhetische Fantasien von einer auf wenige Mode-Konzerne konzentrierten Stil-Industrie befriedigt werden. Diese Klasse nährt den Boulevard und tauscht sich über Design, Mode, Architektur aus. Damit ist ein Raum entstanden, in den hinein sich Kunst über internationale Sammler- und Künstler-Stars projiziert.

STANDARD: Der Kunstsommer 2007 kündigt sich als Massenveranstaltung an - ist das ein neues Phänomen?

Schöllhammer: Die Türen zu Massenveranstaltungen sind einerseits durch solche Großausstellungen wie Kunst aus dem MoMa im Vorjahr in Berlin schon weit aufgestoßen. Dazu kommt in diesem Jahr ein weltweiter Interessentenkreis, stark aus Südamerika und Asien. Die Eliten der Metropolen dort suchen über ästhetische Repräsentationen von Kunst nach Anschlüssen an eine kulturelle Modernität. Die Diskussionen etwa in Schanghai über "Chineseness" oder der Singapurboom sind eng verbunden mit einer jungen Kunstszene, die nicht politisiert, sondern Lebensstile ausbildet - und daher auch politisch geduldet wird. Die Kunst oder besser Ausstellungen wie die Biennalen in Ländern wie z. B. in Singapur oder Südkorea sind dafür ein wichtiges Ventil.

STANDARD: Sehen Sie denn keine Gefahr in diesem Besucherboom?

Schöllhammer: Ich weiß nicht, was Sie unter Gefahr verstehen. Wenn man Kunst als ein Feld denkt, in dem noch etwas jenseits der Banalität, der Trivialität und der Brutalität der täglichen kapitalistischen Lebenswelt wachsen kann - das ist schon noch immer da. Das bestärkt auch den Boom dieses Sommers: die Erwartung der Begegnung mit einer anderen Utopie, die über das reine Dabeisein und das Präsentieren von Glamour hinausgeht.

STANDARD: Sie sehen also keine Gefahr darin, wenn etwa die "Grand Tour" (siehe Artikel oben, Anm.) schon von 25.000 Menschen gebucht ist?

Schöllhammer: Für wen bestünde die Gefahr? Doch nur für jene, die zu viele Hoffnungen in dieses Feld projizieren. Für die Künstler? Eine latente Gefahr für die ästhetische Produktion liegt sicher in dem vielen Geld, das um sie kursiert und gänzlich ungleich verteilt ist. Die großen Produktionen werden schneller, schlampiger, größer, wiederholen sich. Waren in den 1980er-Jahren die Galerien für die Beschleunigung von Produktion und Umschlag verantwortlich, so sind es heute paradoxerweise die Verantwortungsvollen unter ihnen, die bremsen. Das zweite Problem ist der Hunger des Ausstellungszirkus nach Kunstwerken, der Geschwindigkeit provoziert - nicht nur in den glücklichen Situationen wie Kassel, die lange Vorlaufzeiten haben, sondern in vielen Events und weltweiten Biennalen, die eine Hastigkeit hervorrufen, wie man sie sonst nur vom belletristischen Markt her kennt.

STANDARD: Kunst als Lifestyle-begleitende Maßnahme für das Publikum, als Investitionsversprechen für Sammler und als Füllmasse für gehetzte Künstler-Karrieren: Wird dieser Kunstsommer also ein großes Fest des Scheiterns wegen überzogener Erwartungen nach Qualität, Erlebnis und Entdeckungsfreuden?

Schöllhammer: Wenn die Veranstalter an den Ansprüchen der anderen scheitern, um ihre eigenen Ansprüche behaupten zu können, wäre das produktiv - ein bewusstes, präzis gesetztes Ins-Leere-laufen-Lassen der Erwartungen. Dieses Spiel mit Erwartungen funktioniert medial ja im Vorlauf dieses Sommers zu gut, als Hoffnung auf Revolte etwa, darauf, dass der ewigen Ereignis-Fadesse doch der Widerstand eines Anderen entgegengehalten werden kann, der verstört.

STANDARD: Liegt vielleicht eine Chance dieses Kunstsommers darin, dass hier und jetzt eine globale, erdumspannende Kunstgeschichte begründet wird?

Schöllhammer: Die beiden Leiter der letzten beiden documentas haben davon geträumt. Catherine David, indem sie vorführte, wir in Europa hätten ein Modell, wie so eine Kunstgeschichte aussehen und geschrieben werden könnte; Okwui Enwezor, indem er die kulturelle Produktion der Welt ausstellte, und dabei bewusst marktgängig postmodern und multikulturell argumentierte. Daraus haben alle gelernt. Es könnte der Beginn einer translokalen Kunstgeschichte werden. (Sabine B. Vogel/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 02./03.06.2007)


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