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18.06.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Durchwegs cool im Blick
VON WOJCIECH CZAJA
"Architektur im Ringturm" gibt Einblick in die weibliche Avantgarde der 20er Jahre.

A
ndrogyn, eine elegante Autobrille auf der Nase, sportlich geturnt und durchwegs cool im Blick: Die Frau der 20er Jahre oder - wie Franz Hessel in seinem Roman "Spazieren in Berlin" 1928 schrieb: "Sie gehen so hübsch in ihren Kleidern ohne Gewicht, herrlich ist ihre Haut, die von der Schminke nur erleuchtet scheint, erfrischend das Lachen um die gesunden Zähne und die Selbstsicherheit, mit der sie paarweise durch das nachmittägliche Gewühl der Tauentziehnstraße und des Kurfürstendamm treiben. ( . . .) Scharf und glatt steuern sie an die Schaufenster heran."

Letztes Jahr widmete sich das BA-CA-Kunstforum der polnisch-französischen Malerin Tamara de Lempicka. Interpretierte Lempicka die Epoche damals in erster Linie als einen hedonistischen Life Style, üppig dargestellt in zeitgemäßem Art Déco, so ist in der Ausstellungshalle des Wiener Ringturms die Zeit der 20er Jahre nun aus einem etwas anderen Blickwinkel zu sehen. Wieder ist es die Frau der 20er Jahre, doch nicht die strotzende Freizeit und das kultivierte Nichtstun stehen im Vordergrund, sondern das Berufsleben, mit dem klar gerichteten Fokus auf die architektonische Avantgarde.

"Heute ist es der ,Girls Day', der Mädchen mit Unterstützung der Politik zu technischen Berufen animieren soll", erzählen die Kuratorinnen Ute Maasberg und Regina Prinz, "in den 20er Jahren gab es diese Kampagnen nicht und dennoch haben sich viele Frauen für den Beruf der Architektin und ganz allgemein für die Technik, das Planen und Bauen interessiert." Offensiv und zielstrebig, so lautet auch das Motto der Ausstellung: "Die Neuen kommen!"

Von den vielen Avantgardistinnen, die am Mythos der Männerdomäne rüttelten, sind nur wenige Namen bekannt. Die meisten standen im medialen Schatten der großen Namen. Bis heute ausstehende Dokumentationen machen es nahezu unmöglich, die Werke einzelner Autorinnen posthum zusammenzuklauben, zumal im Zuge einer Heirat der eigene Name mitunter auch noch abgelegt wurde. Maasberg und Prinz ist es dennoch gelungen, einen repräsentativen Querschnitt von 30 Künstlerinnen zu erfassen. Zwischen Hochschul-Absolventinnen und Bauhaus-Schülerinnen sind Namen vertreten wie Liane Zimbler, die 1938 als erste Österreicherin die Ziviltechniker-Prüfung absolvierte, Ella Briggs-Baumfeld, Architektin des Wiener Gemeindebaus Pestalozzihof (1925), Carmela Haerdtl-Prati, Frau des weitaus bekannteren Oswald, Friedl Dicker, die in Wien mit ihrem Partner Franz Singer ein exklusives Atelier für Architektur und Design leitete, oder etwa die kürzlich verstorbene Anna-Lülja Praun.

Als Highlight und begehbares Stück Architektur haben die Kuratorinnen eine Leihgabe der Stuttgarter Gesellschaft für Kunst und Denkmalpflege nach Wien übersiedelt: Die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky aus 1926. Im Gegensatz zur Rekonstruktion, die im MAK zu sehen ist, handelt es sich um ein Original, das aus einer der 10.000 bestückten Wohnungen wieder ausgebaut wurde. Der feine Unterschied liegt im Detail: Die Mehllade etwa ist aus Eichenholz, denn die Gerbsäure der Eiche verhindert Mehlwürmer.

Haben wir in den letzten Jahrzehnten wieder etwas verlernt? In einem Interview, etwa ein Jahr vor ihrem Tod, als Schütte-Lihotzky bereits 102 Jahre alt war, habe ich gewagt, sie auf diese Küche anzusprechen. Margarete Schütte-Lihotzky ist aus der Haut gefahren, als sie schon den Begriff Frankfurter Küche gehört hat: "Ich habe in meinem Leben sehr viel mehr gemacht. Wenn ich gewusst hätte, dass alle immer nur davon reden, hätte ich diese verdammte Küche nie gebaut!" Im Ringturm besteht nun die Möglichkeit, das vage Bild der einen oder anderen Architektin ein wenig zu ergänzen.

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