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Der strenge Duft von BerlinAuch
die dritte Kunst-Biennale der Hauptstadt setzt vor allem auf
soziokulturelle Phänomene. Ein Streitfall
Von
Nicola Kuhn
Ein dunkler Raum, Suchscheinwerfer
blitzen auf, in ihrem Licht reflektieren die
Rotationsblätter eines Hubschraubers. Doch es handelt sich
nur um einen Spielzeug-Helikopter, der unter einer
Zimmerdecke seine Runden dreht; das Szenario spielt im
Schonraum der Kunst, projiziert auf sechs Leinwände. Hinter
der nächsten Stellwand dann eine Reihe Fotografien,
verwaschen, unscharf, Häuser und Menschen im Irgendwo, am
Ende eine kaum lesbare Liste mit winzig gedruckten
Begriffen. Der Betrachter darf sich seine eigene Geschichte
erfinden. Und noch ein Werk: Hemden, Hosen, ein Kleid, alles
ordentlich gefaltet auf Ausstellungstischen und doch grob
verschmutzt, denn der Künstler Bojan Šarcevic hat
leibhaftige Arbeiter gebeten, in ihrer Lieblingskleidung
ihrem Job nachzukommen. Die Spuren schwerer körperlicher
Arbeit sind nun für den staunenden Ausstellungsbesucher
konserviert. Das Leben kann hart sein, mag er denken. Sollte
es nicht wenigstens die Kunst leicht nehmen?
Nein, sagt
die dritte Berlin-Biennale mit jedem ihrer fünfzig Beiträge.
Wer an Kunst vor allem Vergnügen haben will, der kann zu
Hause bleiben. Oder ab nächste Woche in die Neue
Nationalgalerie zu den Meisterwerken des Museum of Modern
Art pilgern und dort einfach genießen. Diese Berliner
Kunst-Biennale ist in der Wirklichkeit angekommen: Das Spiel
der ersten Biennale 1998, auf der Künstler unter dreißig mit
Wohnsitz Berlin sich produzieren durften, das Kuscheln der
zweiten Schau 2001, als internationale Gäste einen
Schmusekurs der Kunst mit echten Massagen praktizierten, ist
zu Ende.
Kuratorin Ute Meta Bauer, Professorin für
Theorie, Praxis und Vermittlung an der Wiener Akademie der
Künste, lehrt das Publikum Mores. Bei ihr beginnt die Kunst
mit dem Denken, und wenn der Ausstellungsbesucher Glück hat,
kommen Momente von Schönheit hinzu. Malerei also
Fehlanzeige, obwohl die junge Generation gerade so herrlich
pinselt. Doch diesen „Neo-Konservativismus“ lehnt die
Biennale-Macherin strikt ab. Stattdessen freudlose Fotos,
zahllose Videos und wieder Fotos, die sich im gängigen
Besucherlaufschritt nicht mitnehmen lassen; „zwei Tage“
sollte der Besucher planen, lautet die luxuriöse Empfehlung
der Organisatoren. Dann könne er etwas lernen, so das
Versprechen, über sich und die Stadt.
Die dritte
Berlin-Biennale ist wieder am Ausgangspunkt von vor sechs
Jahren angekommen; durch finanzielle Unwägbarkeiten konnte
sie bisher nur alle drei Jahre stattfinden. Damals hatte
Klaus Biesenbach, Begründer der Kunst-Werke in der
Auguststraße, zusammen mit den beiden Kuratoren Nancy
Spector und Hans Ulrich Obrist das Berlin der Neunzigerjahre
mit all seinen Vernetzungen zu den Clubs, zu Musik, Mode und
Design ins Zentrum gerückt. Auch Ute Meta Bauer fasst diese
Querverbindungen ins Auge – doch nicht mehr als
selbstverliebte Performance einer jeunesse d'orée der
Auguststraßen-Kunst, sondern als harte Arbeit am
Pflasterstrand. Gängige Namen, die üblichen Verdächtigen der
Biennalen rund um den Globus, wird der Besucher deshalb
vermissen; stattdessen ein paar alte Berliner Bekannte
wiedertreffen wie Piotr Nathan, Sissel Tolaas, Stephen
Willats, Aura Rosenberg oder Ulrike Ottinger. Denn auch die
dritte Biennale stellt die Frage nach dem spezifischen
Nährboden der Stadt, sucht jedoch die Bezugspunkte bereits
in der Vorwendezeit: unter anderem beim DDR-Film und den
West-Berliner Frauenbands.
Insofern hat auch die
dritte Biennale viel von Feldforschung; die Hälfte der
Teilnehmer nennt als Wohnsitz Berlin. Als neuer
Zweitstandort ist der Martin-Gropius-Bau hinzugekommen; das
marode Postfuhramt, der bisherige Schauplatz, hat
ausgespielt. Der feine Gropius-Bau wäre eigentlich eine
Chance für das nunmehr von der Bundeskulturstiftung unter
seine Fittiche genommene Ziehkind zeitgenössischer Kunst.
Nach den Jugendjahren im Off muss es sich fortan nicht nur
dem Vergleich mit den anderen Institutionen der Hauptstadt,
sondern auch den Biennalen von Venedig bis São Paulo
stellen. Aber gerade angesichts eines solchen Anspruchs
befällt den Besucher jetzt Ungeduld, ja zunehmend Überdruss
angesichts der flüchtigen Fotos und verwackelten Videos. So
jung die Kunst, und doch tritt sie in den verschachtelt
zugebauten Räumen der Kunst-Werke muffig und im Gropius-Bau
vermessen auf. Selbst sympathische Beobachtungen wie die
„Horseman's story“ der Finnin Fanni Niemi-Junkola, die einen
rumänischen Trabrennfahrer mit seiner Tochter bei der Arbeit
filmt, oder die von der Norwegerin Maria Bustnes stammende
Video-Dokumentation einer Mädchenband wirken banal. Auch die
von Bert Neumann, dem Bühnenbildner Frank Castorfs,
aufgebauten Volksbühnen-Kulissen (aus vier Inszenierungen)
erscheinen wie Schießbuden. Selbst Sissel Tolaas'
„Berlin-Parfüms“ entlocken kaum ein Schmunzeln: Wer den
angeblichen Kiez-Düften aus Reinickendorf oder Neukölln
dennoch traut, kann einen Flacon der Berliner Lüfte als
Multiple für 220 Euro erwerben.
Ute Meta Bauer traute
ihnen jedenfalls. Denn sie folgt auch Stephen Willats
Recherche Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre im
Märkischen Viertel und im Gropiusstadt. Der Brite
fotografierte die Enge der Sozialwohnungen und kombinierte
sie mit Zitaten ihrer Bewohner zu Tableaux, die heute allzu
didaktisch, aber immerhin authentisch wirken. „Das Letzte,
was ich hatte, war Wasser, das von oben kam, durch die
Lichtschalter und aus der Steckdose raus“, steht da
unfreiwillig komisch zu lesen. Bei der jungen Fotografin
Christine Fenzl wiederum blicken die in einem ramponierten
Danziger Wohnblock abgelichteten Kinder nur müde zurück,
ganz ohne Worte.
Der Ausflug über die polnische
Grenze ist eine Ausnahme im Gropius-Bau, in dem man
vornehmlich Berlin umkreist und „urbane Konditionen“ und
„Migration“ in Gestalt sogenannter Hubs untersucht,
eingerichtet von eigenen Kuratoren. Hub heißt so viel wie
Drehkreuz, ein Begriff aus der Computersprache und dem
Flugverkehr, was die Sache für den Besucher keineswegs
klarer, geschweige denn sinnlicher macht.
Der
Betrachter soll hier immerzu lernen, einen ganzen
Theorieteil stemmen, das heißt: in den Hub-Räumen lesen,
lesen, lesen und Videos gucken. Ute Meta Bauer hat sich
einem strapaziösen Anspruch gestellt: den Erweis für die
„Relevanz“ von Kunst in der heutigen Zeit, und das am
Beispiel Berlin. Doch die Verbeugung vor dem
Biennale-Standort ist zu tief geraten, zumal die Beiträge
aus der „alternativen, subkulturellen und kulturkritischen
Praxis“ im Martin-Gropius-Bau anachronistisch wirken:
alternative DDR-Mode in Plastikfutteralen, Malerei auf der
ehemaligen Stadtschloss-Plane überzeugen nicht
wirklich.
Die dritte Berlin-Biennale ist so erneut
eine Selbstvergewisserung: auf eher theoretischem als
ästhetischem Niveau. Mit der Betonung des „Soziokulturellen“
setzt sich ein Trend fort, der seit den beiden letzten
„documentas“ für Diskussionsstoff
sorgt.
Kunst-Werke, Auguststr. 69,
Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 18. April; Mi.
bis Mo. 10-20 Uhr. Katalog 30 €. Kino Arsenal, Potsdamer
Str. 2, ab 18. 2. Filmprogramm. www.berlinbiennale.de
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