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Kultur
13.02.2004

Der strenge Duft von Berlin

Auch die dritte Kunst-Biennale der Hauptstadt setzt vor allem auf soziokulturelle Phänomene. Ein Streitfall

Von Nicola Kuhn

Ein dunkler Raum, Suchscheinwerfer blitzen auf, in ihrem Licht reflektieren die Rotationsblätter eines Hubschraubers. Doch es handelt sich nur um einen Spielzeug-Helikopter, der unter einer Zimmerdecke seine Runden dreht; das Szenario spielt im Schonraum der Kunst, projiziert auf sechs Leinwände. Hinter der nächsten Stellwand dann eine Reihe Fotografien, verwaschen, unscharf, Häuser und Menschen im Irgendwo, am Ende eine kaum lesbare Liste mit winzig gedruckten Begriffen. Der Betrachter darf sich seine eigene Geschichte erfinden. Und noch ein Werk: Hemden, Hosen, ein Kleid, alles ordentlich gefaltet auf Ausstellungstischen und doch grob verschmutzt, denn der Künstler Bojan Šarcevic hat leibhaftige Arbeiter gebeten, in ihrer Lieblingskleidung ihrem Job nachzukommen. Die Spuren schwerer körperlicher Arbeit sind nun für den staunenden Ausstellungsbesucher konserviert. Das Leben kann hart sein, mag er denken. Sollte es nicht wenigstens die Kunst leicht nehmen?

Nein, sagt die dritte Berlin-Biennale mit jedem ihrer fünfzig Beiträge. Wer an Kunst vor allem Vergnügen haben will, der kann zu Hause bleiben. Oder ab nächste Woche in die Neue Nationalgalerie zu den Meisterwerken des Museum of Modern Art pilgern und dort einfach genießen. Diese Berliner Kunst-Biennale ist in der Wirklichkeit angekommen: Das Spiel der ersten Biennale 1998, auf der Künstler unter dreißig mit Wohnsitz Berlin sich produzieren durften, das Kuscheln der zweiten Schau 2001, als internationale Gäste einen Schmusekurs der Kunst mit echten Massagen praktizierten, ist zu Ende.

Kuratorin Ute Meta Bauer, Professorin für Theorie, Praxis und Vermittlung an der Wiener Akademie der Künste, lehrt das Publikum Mores. Bei ihr beginnt die Kunst mit dem Denken, und wenn der Ausstellungsbesucher Glück hat, kommen Momente von Schönheit hinzu. Malerei also Fehlanzeige, obwohl die junge Generation gerade so herrlich pinselt. Doch diesen „Neo-Konservativismus“ lehnt die Biennale-Macherin strikt ab. Stattdessen freudlose Fotos, zahllose Videos und wieder Fotos, die sich im gängigen Besucherlaufschritt nicht mitnehmen lassen; „zwei Tage“ sollte der Besucher planen, lautet die luxuriöse Empfehlung der Organisatoren. Dann könne er etwas lernen, so das Versprechen, über sich und die Stadt.

Die dritte Berlin-Biennale ist wieder am Ausgangspunkt von vor sechs Jahren angekommen; durch finanzielle Unwägbarkeiten konnte sie bisher nur alle drei Jahre stattfinden. Damals hatte Klaus Biesenbach, Begründer der Kunst-Werke in der Auguststraße, zusammen mit den beiden Kuratoren Nancy Spector und Hans Ulrich Obrist das Berlin der Neunzigerjahre mit all seinen Vernetzungen zu den Clubs, zu Musik, Mode und Design ins Zentrum gerückt. Auch Ute Meta Bauer fasst diese Querverbindungen ins Auge – doch nicht mehr als selbstverliebte Performance einer jeunesse d'orée der Auguststraßen-Kunst, sondern als harte Arbeit am Pflasterstrand. Gängige Namen, die üblichen Verdächtigen der Biennalen rund um den Globus, wird der Besucher deshalb vermissen; stattdessen ein paar alte Berliner Bekannte wiedertreffen wie Piotr Nathan, Sissel Tolaas, Stephen Willats, Aura Rosenberg oder Ulrike Ottinger. Denn auch die dritte Biennale stellt die Frage nach dem spezifischen Nährboden der Stadt, sucht jedoch die Bezugspunkte bereits in der Vorwendezeit: unter anderem beim DDR-Film und den West-Berliner Frauenbands.

Insofern hat auch die dritte Biennale viel von Feldforschung; die Hälfte der Teilnehmer nennt als Wohnsitz Berlin. Als neuer Zweitstandort ist der Martin-Gropius-Bau hinzugekommen; das marode Postfuhramt, der bisherige Schauplatz, hat ausgespielt. Der feine Gropius-Bau wäre eigentlich eine Chance für das nunmehr von der Bundeskulturstiftung unter seine Fittiche genommene Ziehkind zeitgenössischer Kunst. Nach den Jugendjahren im Off muss es sich fortan nicht nur dem Vergleich mit den anderen Institutionen der Hauptstadt, sondern auch den Biennalen von Venedig bis São Paulo stellen. Aber gerade angesichts eines solchen Anspruchs befällt den Besucher jetzt Ungeduld, ja zunehmend Überdruss angesichts der flüchtigen Fotos und verwackelten Videos. So jung die Kunst, und doch tritt sie in den verschachtelt zugebauten Räumen der Kunst-Werke muffig und im Gropius-Bau vermessen auf. Selbst sympathische Beobachtungen wie die „Horseman's story“ der Finnin Fanni Niemi-Junkola, die einen rumänischen Trabrennfahrer mit seiner Tochter bei der Arbeit filmt, oder die von der Norwegerin Maria Bustnes stammende Video-Dokumentation einer Mädchenband wirken banal. Auch die von Bert Neumann, dem Bühnenbildner Frank Castorfs, aufgebauten Volksbühnen-Kulissen (aus vier Inszenierungen) erscheinen wie Schießbuden. Selbst Sissel Tolaas' „Berlin-Parfüms“ entlocken kaum ein Schmunzeln: Wer den angeblichen Kiez-Düften aus Reinickendorf oder Neukölln dennoch traut, kann einen Flacon der Berliner Lüfte als Multiple für 220 Euro erwerben.

Ute Meta Bauer traute ihnen jedenfalls. Denn sie folgt auch Stephen Willats Recherche Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre im Märkischen Viertel und im Gropiusstadt. Der Brite fotografierte die Enge der Sozialwohnungen und kombinierte sie mit Zitaten ihrer Bewohner zu Tableaux, die heute allzu didaktisch, aber immerhin authentisch wirken. „Das Letzte, was ich hatte, war Wasser, das von oben kam, durch die Lichtschalter und aus der Steckdose raus“, steht da unfreiwillig komisch zu lesen. Bei der jungen Fotografin Christine Fenzl wiederum blicken die in einem ramponierten Danziger Wohnblock abgelichteten Kinder nur müde zurück, ganz ohne Worte.

Der Ausflug über die polnische Grenze ist eine Ausnahme im Gropius-Bau, in dem man vornehmlich Berlin umkreist und „urbane Konditionen“ und „Migration“ in Gestalt sogenannter Hubs untersucht, eingerichtet von eigenen Kuratoren. Hub heißt so viel wie Drehkreuz, ein Begriff aus der Computersprache und dem Flugverkehr, was die Sache für den Besucher keineswegs klarer, geschweige denn sinnlicher macht.

Der Betrachter soll hier immerzu lernen, einen ganzen Theorieteil stemmen, das heißt: in den Hub-Räumen lesen, lesen, lesen und Videos gucken. Ute Meta Bauer hat sich einem strapaziösen Anspruch gestellt: den Erweis für die „Relevanz“ von Kunst in der heutigen Zeit, und das am Beispiel Berlin. Doch die Verbeugung vor dem Biennale-Standort ist zu tief geraten, zumal die Beiträge aus der „alternativen, subkulturellen und kulturkritischen Praxis“ im Martin-Gropius-Bau anachronistisch wirken: alternative DDR-Mode in Plastikfutteralen, Malerei auf der ehemaligen Stadtschloss-Plane überzeugen nicht wirklich.

Die dritte Berlin-Biennale ist so erneut eine Selbstvergewisserung: auf eher theoretischem als ästhetischem Niveau. Mit der Betonung des „Soziokulturellen“ setzt sich ein Trend fort, der seit den beiden letzten „documentas“ für Diskussionsstoff sorgt.

Kunst-Werke, Auguststr. 69, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 18. April; Mi. bis Mo. 10-20 Uhr. Katalog 30 €. Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, ab 18. 2. Filmprogramm. www.berlinbiennale.de



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