Kunst Sammler auf Brautschau Private Kunstschätze wollen gezeigt werden. Aber wohin mit der
zeitgenössischen Kunst, wenn die öffentliche Hand leer ist? Friedrich Christian Flick ist ein sehr wohlhabender Mann. In,
wie man so sagt, den besten Jahren. Ein Deutscher mit vielen Wohnsitzen, seit
langem vor allem in der Schweiz lebend. Seit 15 Jahren sammelt er Kunst, Tendenz
steigend. Das tun andere wohlhabende Männer und Frauen auch: Maja Oeri, Ingvild
Goetz, Frieder Burda, Udo Brandhorst zum Beispiel, die Liste ließe sich
fortsetzen. Lauter Namen, die eines verbindet: Sie sammeln nicht Nolde oder
Liebermann, Impressionisten oder alte Holländer. Sie kaufen die Kunst ihrer
Zeit, ihrer Zeitgenossen. Und nur deshalb kennen wir ihre Namen, die durch die
Zeitungen gehen. Abb.: Computersimulation/Emanuel Hoffmann-Stiftung / © Herzog
& de Meuron Denn anders als der bleiche Herr Einsiedler, den wir uns gerade imaginieren,
der still und konzentriert wie ein Raubvogel das Markt- und Auktionsgeschehen
beobachtet und dann, endlich ist es so weit, inkognito bei einer Skizze des heiß
geliebten Präraffaeliten Edward Burne Jones zuschlägt, sind die Sammler des
Zeitgenössischen sichtbar, wollen es, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen,
auch sein. Man sieht sie auf der Kasseler Documenta und der Biennale in Venedig
– natürlich nicht als normales Publikum, sondern bei den „Preview“ genannten
Voreröffnungen und Empfängen –, bei Vernissagen und anderen Kunst-Events, bei
denen man übrigens die Kunst vor lauter Kunstfreunden kaum sehen kann Die Sammler, die übrigens weitgehend dieselben Künstler präferieren und sich
nur selten Ausreißer leisten, beliefern aber nicht nur die Klatschspalten des
Kunstbetriebs und die Konterfeibedürfnisse der Magazine. Sie sind vor allem auch
deshalb Figuren der Öffentlichkeit geworden, weil die Museen, ähnlich wie die
Theater und Opernhäuser, bei geschrumpften Etats den Betrieb zwar noch
aufrechterhalten können, aber keine Bewegungsfreiheit mehr haben. Und vor allem:
keinen Ankaufsetat. Zwei Zahlen beschreiben die Situation: Im letzten Jahr wurde
bei Christie’s in London eine Fotoarbeit von Andreas Gursky für knapp 550000
Dollar verkauft. Das sind rund 100000 Euro mehr als den drei Münchner
Pinakotheken zusammen als Jahresankaufsetat zur Verfügung steht. Und hier kommt
der Sammler, der nach Herzenslust einkaufen kann, ins Gruppenbild. Als
Leihgeber, Stifter, Mäzen – die juristisch abgesicherten Varianten zwischen
Großmut und Schlaumeierei, Philantropie und Egomanie sind zahlreich und
schillernd. In Berlin, wo man, vor dem historischen Hintergrund einer blühenden und
expandierenden Sammlungskultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, mit
diesem Thema durch den Umgang mit den Sammlern Berggruen, Marx und Marzona seit
einigen Jahren intensive, wenn auch naturgemäß nicht immer ungetrübte
Erfahrungen hat, sah dieses Gruppenbild am 9. Januar 2003 so aus: Auf einem
Podium im Hamburger Bahnhof, der Dependance für Gegenwartskunst der Neuen
Nationalgalerie, saßen der Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer
Kulturbesitz, die Staatsministerin für Kultur, der Präsident der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz, Berlins Regierender Bürgermeister, der Kurator des
Hamburger Bahnhofs und der Sammler Friedrich Christian Flick. Alle waren
sichtbar und hörbar glücklich, verkünden zu können, dass die Sammlung von Flick
„für zunächst sieben Jahre ihr Domizil in Berlin haben wird“. Das Domizil ist
eine ehemalige Speditionshalle mit einer Fläche von 12000 Quadratmetern. Sie
liegt gleich neben dem Hamburger Bahnhof und wird auf Kosten von Flick renoviert
und für die Kunst tauglich gemacht. Wann wird eine Ansammlung von Kunstwerken zu einer Sammlung? Der Sammler
Frieder Burda, er spricht aus Erfahrung, beschreibt es kurz und einleuchtend:
„Eine Sammlung beginnt dann, wenn sie nicht mehr ins Haus passt.“ Die Zahl der
Kunstwerke, die zur Sammlung Flick gehören (der Name Flick Collection birgt die
schöne Gefahr, bei undeutlicher Aussprache mit der klassischen New Yorker Frick
Collection verwechselt zu werden), liegt irgendwo zwischen 2000 und 2500, je
nachdem, ob man nun bei grafischen Serien oder mehrteiligen Werken jedes Blatt,
jedes Stück zählt. Warum so ausschweifend? Die Kunst, sagt Flick, sei ihm zur
Obsession geworden, mit seinen Ankäufen habe er „den Rubikon überschritten“.
Diese Überschreitung fing wohl zu dem Zeitpunkt an, als er, der in den siebziger
Jahren mit den Holländern des 17. Jahrhunderts und ähnlichem für die
Ausschmückung der privaten Wohnungen und Häuser begonnen hatte, Mitte der
achtziger Jahre die Kunst der Gegenwart entdeckte. Und mit zunehmender
Beschleunigung und in immer größeren Quantitäten kaufte. „Die bildende Kunst wurde mir nicht an die Wiege gelegt“, erklärt Flick, in
dessen Familie eher auf Literatur, den Sonntagsspaziergang und insgesamt auf
Disziplin geachtet wurde. Und sitzt froh auf einem dünnen Sofa von Franz West,
das er früher wohl eher als Sperrmüll eingeschätzt hätte. Es steht in seinem
Büro, dem Sitz der Flick Collection, die in einem Fabrikgebäude des ehemaligen
Escher-Wyss-Industrieareals von Zürich ihre Räume hat. Auch der Couchtisch, der
wie ein großer Schuhkarton aussieht, und der amöbenförmige Schreibtisch, der,
auf dem ästhetischen Umweg über ein Bild von Gerhard Richter, an einen Slip
erinnern soll, stammen von Franz West. Spätestens hier wird klar, für welche
Brüche und Neuanfänge Friedrich Christian Flick steht, dessen Großvater zwar
kein bekennender Nazi war, aber das Hitler-Regime im wahrsten Sinne des Wortes
munitionierte, dieses aber wahrscheinlich eher von furnierter Eiche aus. Dass er
nicht Schuld erben könne, wohl aber Verantwortung übernehmen müsse und wolle,
sagte Flick, als im Zusammenhang mit seinem ursprünglichen Plan, in Zürich von
Rem Koolhaas ein Privatmuseum für seine Sammlung bauen zu lassen, eine Debatte
über die Provenienz seines Vermögens losgetreten wurde. Die schließlich die für
alle Beteiligten unerwartete, erfreuliche Folge hatte, dass die Sammlung nach
Berlin kommen wird. Im Frühjahr 2004 soll dort die erste Tranche gezeigt werden,
nach sieben Jahren wird man einen wohl kompletten Überblick haben. Und was wird
dann mit der Sammlung geschehen? Das ist natürlich alles offen und schließlich
in das Belieben der Partner gestellt. Aber, so sagt Flick, „eine Verlobungszeit
ist dazu da, um sich kennen zu lernen.“ Übrigens verlobt man sich heute auch
sonst wieder gern. Friedrich Christian Flick, Dr. jur., der sich mit 31 Jahren aus dem
familiären Firmenverbund gelöst und, außer Geld zu erben, auch selber welches
verdient hat, ist gewiss nicht naiv. Aber er ist, wenn es um die Kunst geht,
offen, neugierig, lernbegierig und überwältigend begeisterungsfähig. In dem von
West möblierten Raum stehen, bestimmt nicht zufällig und zweifellos eine ideale
Rücklage für eine Aufbruchsstimmung, Duchamps Roue de Bicyclette, eine
halb hohe Bronze von Giacometti, Marcel Broodthaers Arzttasche mit Eiern
gefüllt; in der Ferne des nächsten Raumes sieht man durch die Glaswand
einen Picabia und ein Bild des immer noch unterschätzten Amerikaners Philip
Guston. Im großen Konferenzraum, der seinen Nutzen ebenso karikiert wie der
Schreibtisch, stehen Paul Mc Carthys matt goldiger Michael Jackson and
Bubbles, eine freundschaftliche Persiflage auf Jeff Koons’ Porzellanskulptur
gleichen Namens, Thomas Schüttes Konferenzköpfe und zwei seiner
Großen Geister. Wie verträgt sich Schüttes aufgeblasener Humor im
Silberlook und teuren Großformat mit dem zarten poetischen Irrwitz von
Broodthaers oder der Entmaterialisierung der Figuren von Giacometti? Oder mit
heiter-kritischen Zeitgenossen wie Pipilotti Rist und Fischli/Weiss, die auch
zur Sammlung gehören? Das weiß nur der Zeitgeist. Und der Galerist. Die Kunst habe ihn verändert, sein „Leben sinnvoll gemacht“, sagt Flick. Und
zwar die Kunst, „in deren Mittelpunkt die menschliche Existenz steht, auch mit
ihrem Elend, ihrer Zerrissenheit, ihren Ängsten und Trieben“. So hat er Gerhard
Richter gekauft und Baselitz, Polke und Kippenberger. „Ich muss eine Energie
spüren“, fügt er hinzu. Und hat auch die spröde, amerikanische Concept Art und
Minimal Art gesammelt, hat sich von der frühen Bauhaus-Fotografie über Video und
Installationen einmal durch das rasant veränderte mediale Angebot des
Jahrhunderts bewegt. 150 Namen soll die Sammlung umfassen, in Zürich waren zur
Zeit der Museumspläne vier junge Kunsthistoriker beschäftigt mit
Katalogisierung, Verwaltung, Ausleihe und dem, was sonst noch so dazugehört.
Aber auch Flick macht, wie er sagt, seine „Hausaufgaben und den eigenen
Research“. Wobei es ihm nicht nur um die Namen und die Kunstwerke geht. Ihm ist
der Kontakt mit dem Künstler, die Freundschaft wichtig, ein Privileg, wie er
sagt. Warum? „Vor allem Künstler haben mir den Weg zur Kunst gezeigt.“ Und, noch
wichtiger, „sie sind dem Schöpfungsprozess näher.“ Es ist die „Welle der
Beweglichkeit“, von der Tasso in Goethes Musterdrama zum Thema Mensch und Mäzen
spricht. Am Renaissancehof brach sie sich allerdings noch am „Fels“ des
Herrschers. Warum sammelt man en gros, Häuser und alle Kunstunterkünfte sprengend? Bei
Flick ist da zum einen der eher irdische und männliche Instinkt, der Jagd- und
Besitztrieb. Nicht einige wenige Werke eines Künstlers reichen aus, sondern so
viel wie möglich möchte er haben. Man nennt das gern „Werkgruppen“, Flick
spricht davon, dass er ein Werk in seinen Verästelungen besitzen und erfahren
möchte. Und so stolz wie ein Junge früher wohl nach dem Freischwimmerzeugnis
war, ist Flick heute darauf, einmal ein Viertel einer Ausstellung gekauft zu
haben. Ein seltsames Qualitätskriterium, aber ein Erfolgserlebnis, vor allem für
den Galeristenfreund Iwan Hauser. Auf der anderen Seite aber ist da, ganz im
Sinne der frühen Sammlungstypologie von Julius von Schlosser, die heilsbringende
Wirkung der Kunst, grade in unheiligen Zeiten. Ein Lebensgefühl wird hier
getroffen, das in der Kunst nicht den direkten Trost sucht oder Sublimierung
findet, wohl aber Metaphern und Widerspiegelungen persönlicher wie auch
gesellschaftlicher Irritationen und Depressionen. Bruce Nauman ist der Künstler, der die alteuropäische Feststellung, dass die
Welt aus den Fugen sei, mit einer von der amerikanischen Westküste geprägten
Wahrnehmung und neuen künstlerischen Mitteln modifiziert, trocken und pathetisch
zugleich, im Showdown zwischen Kopf und Körper, gern in der gnadenlosen
Endlosschleife der Videoskulptur. Fast alle sammeln Bruce Nauman, den, so
scheint es, rechtmäßigen Erben von Joseph Beuys. Ähnlich wie Ed Kienholz oder
Richard Serra, hat Nauman in Deutschland sehr viel mehr Aficionados als in den
USA. Für Friedrich Christian Flick aber ist er das Herzstück, das Zentrum seiner
Sammelpassion. Er besitzt die gesamten grafischen Editionen, zahlreiche
Zeichnungen, 29 skulpturale Arbeiten, acht frühe Videos und elf
Rauminstallationen. Jetzt ist er auf der Jagd nach der Skulptur South
American Circle. Und träumt davon, einmal mit Arbeiten von Nauman etwas
Ähnliches einrichten zu können wie die Rothko Chapel, die zur Sammlung de Menil
in Houston gehört, wahrhaft ein Tempel der reinen Malerei, und ein bevorzugter
Aufenthalt für Sinnsuchende aller meditierenden Fakultäten. Natürlich ist Bruce Nauman auch mit einem großen Werkkomplex in der Sammlung
von Maja Oeri vertreten, das heißt, in der Emanuel Hoffmann-Stiftung, deren
Präsidentin sie seit 1995 ist. Maja Oeri ist eine sehr wohlhabende junge Frau.
Selbstbewusst, aber öffentlichkeitsscheu. Zur Sammlerin musste sie nicht werden,
da sie, Baslerin in der Kunststadt Basel, in eine Familie von Kunstsammlern und
Mäzenen hineingeboren wurde. Kunst ist für sie eine freudige Pflicht, ein Erbe,
eine selbstverständliche Aufgabe. Und dass sie, wenn man so will, die wohl
größte Sammlung der zeitgenössischen Moderne in der Schweiz besitzt, wird
erfolgreich kaschiert hinter dem Wort Stiftung. Ihre Großmutter Maja Hoffmann
gründete 1933 zum Andenken an ihren bei einem Autounfall ums Leben gekommenen
Mann die Emanuel Hoffmann-Stiftung. Mit ihm, dem älteren Sohn des Gründers des
weltweit operierenden Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche, hatte sie während ihrer
kurzen Ehe die Kunst entdeckt, sich dafür begeistert, nicht nur als passive
Kunst-Konsumentin. Die Stiftung, so heißt es in den Statuten, solle „Werke von Künstlern
sammeln, die sich neuer, in die Zukunft weisender, von der jeweiligen Gegenwart
noch nicht allgemein verstandener Ausdrucksmittel bedienen“. Und, damals dachte
man allerdings noch im Wandbildformat, „die Ankäufe der Stiftung sollen durch
dauernde Ausstellung sichtbar gemacht werden“. Durch die Stiftung von Maja
Hoffmann, die in zweiter Ehe mit dem Musiker und Mäzen Paul Sacher verheiratet
war, gelangten Werke von Ensor bis Dalí, Permeke bis Rothko, Giacometti bis
Calder als Depositum ins Basler Kunstmuseum. Ihrer Initiative verdankt sich auch
das Museum für Gegenwartskunst, das 1980 eröffnet wurde, ein Geschenk von Maja
Sacher, der Familie und der Emanuel Hoffmann-Stiftung an die Stadt. Die
Dependance des Kunstmuseums wurde auf dem Gelände eines alten Mühlenbetriebs
gebaut und liegt direkt am Rhein. Im Jahr 1965 kaufte Maja Sacher die Filz-Holz-Skulptur Schneefall
von Joseph Beuys, die erste Arbeit von Nauman kaufte sie 1973. Den Vorschlag,
den ganzen Beuys-Bestand der in Auflösung befindlichen Sammlung Ströher zu
kaufen, lehnte sie mit der Begründung ab, dass es ihr nicht richtig erscheine,
von „einem lebenden Künstler eine fertige Gesamtansicht en bloc an einem Ort
zusammenzutragen“. Die Leidenschaft der Enkelin Maja Oeri macht sich, auch wenn
man im protestantischen Basel von Leidenschaften kaum spricht, wohl in erster
Linie am Werk von Dieter Roth fest, den sie lange kannte, großzügig unterstützte
und von dem eine große Installation auch in ihre privaten Räume Einzug gehalten
hat. Ihm wird auch die erste Ausstellung gewidmet, die Maja Oeri im Mai in quasi
eigenen neuen Räumen eröffnet, einer Schaulager genannten Institution, für die
es keinen Prototyp gibt. Wohin mit der Kunst? Auch die Emanuel Hofmann-Stiftung mit ihrer im Vergleich
zu anderen, neuen Sammlungen eher moderaten Stückzahl von circa 500, hat mehr,
als sie zeigen kann oder ausleihen mag. Die in den Statuten geforderte
Sichtbarkeit ist nicht mehr gegeben, 80 bis 90 Prozent der Bestände sind im
Depot. Wahrscheinlich hätte man sich auch noch ein neues Museum leisten können,
aber „ein neues Museum zu bauen, ist sinnlos“, sagt Maja Oeri. Und erfand das
Schaulager, in dem die Teile der Sammlung, die nicht ausgestellt sind, unter
konservatorisch optimalen Bedingungen gelagert werden, unverpackt, also sichtbar
– dieses allerdings nicht für die Öffentlichkeit, sondern für Kunsthistoriker,
Studenten, Kuratoren und andere berufsmäßig Interessierte. Alles ist hier
aufgebaut, nichts ausgestellt. Besuch nach Voranmeldung. Dem Vorbild ihrer Großmutter folgend, hat Maja Oeri eine Stiftung gegründet,
die Laurenz-Stiftung, die Besitzerin des Schaulager-Baus ist und zugleich auch
der Universität Basel eine Juniorprofessur für Zeitgenössische Kunst gestiftet
hat. Herzog & de Meuron, verantwortlich für die Tate Modern in London, sind
die Architekten des Baus, der in Münchenstein liegt, einem Vorort von Basel, auf
einem ehemaligen Lagerhausgelände. Nebenan ist ein Migros Markt. Der
monolithische Bau, für dessen Fassade das Geröll des Aushubs genutzt
wurde, ist von einem wellenförmigen Riss durchzogen, hinter dem Fenster liegen.
Wie ein abgestelltes Objekt oder Kinderspielzeug wirkt ein spitzgiebeliges
Schilderhäuschen an der eingedrückten Frontseite, das als Durchgang zum Eingang
dient. Von fünf Stockwerken, insgesamt eine Fläche von knapp 20000 Quadratmater,
werden drei für das Schaulager genutzt. Jedes Kunstwerk hat seinen Raum, der
durch eine eiserne Schiebetür gesichert ist. Ein Hauch von Bewahranstalt weht
durch die langen, breiten Flure. Im Erdgeschoss, wo im lockeren Jahresrhythmus
der Öffentlichkeit zugängliche Ausstellungen stattfinden werden, sind (und diese
sollen dort dauerhaft bleiben) Katharina Fritschs Rattenkönig sowie
eine raumgreifend monumentale Arbeit von Robert Gober installiert, für die, da
Wasser im Kunstspiel ist, im Keller eine Brunnenanlage gebaut wurde. Mit dem
kompakten Maschinenpark im Keller, der die richtige Temperatur und
Luftfeuchtigkeit für den Erhalt von Fett und Filz, Styropor und Neon, Papier und
Wachs, Schokolade und Zelluloid garantiert, könnte man wahrscheinlich auch einen
Ozeandampfer betreiben. Ist das Schaulager, ein Zwitter von Museum und Depot,
die Zukunft für den Überfluss der Kunst? Das Schaulager, sagt Maja Oeri, „ist
ein Arbeitsort und auch eine Reaktion auf die Event-Kultur.“ In ihrem Selbstverständnis als Sammler zeitgenössischer Kunst spiegelt sich
in Friedrich Christian Flick und Maja Oeri jenseits ihrer unterschiedlichen
Temperamente auch die Differenz ihrer Geschichte wieder. Beide stammen aus
wohlhabenden Industriellenfamilien. Aber während Flicks Biografie geprägt war
und ist vom Dritten Reich des Adolf Hitler und seinen Folgen, agiert Maja Oeri
aus der unerschütterten Kontinuität des kultivierten Basler Bürgertums. In ihrem
Schaulager werden keine ästhetischen Debatten geführt, hier wird die
Kunstproduktion unserer Tage selbst vor jenem Verfall bewahrt, der doch oft auch
Programm war. Friedrich Christian Flick und seine zukünftig sichtbare Sammlung
sind für Berlin und damit für das Land, als dessen Bürger er sich identifiziert,
ein Gewinn und ein Anstoß in die richtige Richtung. Das Ergebnis dieser
Zusammenarbeit hängt nicht zuletzt von den integrativen Kräften des staatlichen
Berliner Hausherren ab. Bei dem sich gerade auch wieder der Fotograf Helmut
Newton, ergrauter Spezialist des seichten Sex, gemeldet hat. Gern hätte er ein
Eigenheim für seine Fotos. Aber vieles, was umsonst ist, ist wirklich umsonst.
Im reichen deutschen Sammlerland, und auch dieses ist eine Folge vom Krieg
und zerstörten Traditionen, Wirtschaftswunder und dem Wunsch nach Neuanfang, ist
die Spezies Sammler in vielen Varianten präsent. In München hat die frühere
Galeristin und Sammlerin Ingvild Goetz sich 1992 ein kleines Museumshaus von
Herzog & de Meuron bauen lassen, von dem viele Aktivitäten ausgehen. Der
Hamburger Sammler Harald Falkenberg hat, in einer ehemaligen Fabrikationshalle
der Harburger Reifenfabrik Phoenix und auf der Basis einer schlauen
Kulturstiftung, im Jahr 2000 Räume für seine Sammlung gefunden. Frieder Burda
ist dabei, sich von Richard Meier ein Privatmuseum in Baden-Baden bauen zu
lassen – mit Brückenschlag zur Staatlichen Kunsthalle nebenan. Dem Sammler Udo
Brandhorst aber wird der Freistaat Bayern ein eigenes Museum für seinen
Kunstbesitz erbauen, neben der soeben eröffneten Pinakothek der Moderne. Genau
das wollte Maja Oeri nicht. Und Flick braucht dieses Erlebnis auch nicht
mehr.