DIE ZEIT


05/2003

Kunst

Sammler auf Brautschau

Private Kunstschätze wollen gezeigt werden. Aber wohin mit der zeitgenössischen Kunst, wenn die öffentliche Hand leer ist?

Von Petra Kipphoff

Friedrich Christian Flick ist ein sehr wohlhabender Mann. In, wie man so sagt, den besten Jahren. Ein Deutscher mit vielen Wohnsitzen, seit langem vor allem in der Schweiz lebend. Seit 15 Jahren sammelt er Kunst, Tendenz steigend. Das tun andere wohlhabende Männer und Frauen auch: Maja Oeri, Ingvild Goetz, Frieder Burda, Udo Brandhorst zum Beispiel, die Liste ließe sich fortsetzen. Lauter Namen, die eines verbindet: Sie sammeln nicht Nolde oder Liebermann, Impressionisten oder alte Holländer. Sie kaufen die Kunst ihrer Zeit, ihrer Zeitgenossen. Und nur deshalb kennen wir ihre Namen, die durch die Zeitungen gehen. Abb.: Computersimulation/Emanuel Hoffmann-Stiftung / © Herzog & de Meuron

Denn anders als der bleiche Herr Einsiedler, den wir uns gerade imaginieren, der still und konzentriert wie ein Raubvogel das Markt- und Auktionsgeschehen beobachtet und dann, endlich ist es so weit, inkognito bei einer Skizze des heiß geliebten Präraffaeliten Edward Burne Jones zuschlägt, sind die Sammler des Zeitgenössischen sichtbar, wollen es, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, auch sein. Man sieht sie auf der Kasseler Documenta und der Biennale in Venedig – natürlich nicht als normales Publikum, sondern bei den „Preview“ genannten Voreröffnungen und Empfängen –, bei Vernissagen und anderen Kunst-Events, bei denen man übrigens die Kunst vor lauter Kunstfreunden kaum sehen kann

Die Sammler, die übrigens weitgehend dieselben Künstler präferieren und sich nur selten Ausreißer leisten, beliefern aber nicht nur die Klatschspalten des Kunstbetriebs und die Konterfeibedürfnisse der Magazine. Sie sind vor allem auch deshalb Figuren der Öffentlichkeit geworden, weil die Museen, ähnlich wie die Theater und Opernhäuser, bei geschrumpften Etats den Betrieb zwar noch aufrechterhalten können, aber keine Bewegungsfreiheit mehr haben. Und vor allem: keinen Ankaufsetat. Zwei Zahlen beschreiben die Situation: Im letzten Jahr wurde bei Christie’s in London eine Fotoarbeit von Andreas Gursky für knapp 550000 Dollar verkauft. Das sind rund 100000 Euro mehr als den drei Münchner Pinakotheken zusammen als Jahresankaufsetat zur Verfügung steht. Und hier kommt der Sammler, der nach Herzenslust einkaufen kann, ins Gruppenbild. Als Leihgeber, Stifter, Mäzen – die juristisch abgesicherten Varianten zwischen Großmut und Schlaumeierei, Philantropie und Egomanie sind zahlreich und schillernd.

In Berlin, wo man, vor dem historischen Hintergrund einer blühenden und expandierenden Sammlungskultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, mit diesem Thema durch den Umgang mit den Sammlern Berggruen, Marx und Marzona seit einigen Jahren intensive, wenn auch naturgemäß nicht immer ungetrübte Erfahrungen hat, sah dieses Gruppenbild am 9. Januar 2003 so aus: Auf einem Podium im Hamburger Bahnhof, der Dependance für Gegenwartskunst der Neuen Nationalgalerie, saßen der Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, die Staatsministerin für Kultur, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlins Regierender Bürgermeister, der Kurator des Hamburger Bahnhofs und der Sammler Friedrich Christian Flick. Alle waren sichtbar und hörbar glücklich, verkünden zu können, dass die Sammlung von Flick „für zunächst sieben Jahre ihr Domizil in Berlin haben wird“. Das Domizil ist eine ehemalige Speditionshalle mit einer Fläche von 12000 Quadratmetern. Sie liegt gleich neben dem Hamburger Bahnhof und wird auf Kosten von Flick renoviert und für die Kunst tauglich gemacht.

Wann wird eine Ansammlung von Kunstwerken zu einer Sammlung? Der Sammler Frieder Burda, er spricht aus Erfahrung, beschreibt es kurz und einleuchtend: „Eine Sammlung beginnt dann, wenn sie nicht mehr ins Haus passt.“ Die Zahl der Kunstwerke, die zur Sammlung Flick gehören (der Name Flick Collection birgt die schöne Gefahr, bei undeutlicher Aussprache mit der klassischen New Yorker Frick Collection verwechselt zu werden), liegt irgendwo zwischen 2000 und 2500, je nachdem, ob man nun bei grafischen Serien oder mehrteiligen Werken jedes Blatt, jedes Stück zählt. Warum so ausschweifend? Die Kunst, sagt Flick, sei ihm zur Obsession geworden, mit seinen Ankäufen habe er „den Rubikon überschritten“. Diese Überschreitung fing wohl zu dem Zeitpunkt an, als er, der in den siebziger Jahren mit den Holländern des 17. Jahrhunderts und ähnlichem für die Ausschmückung der privaten Wohnungen und Häuser begonnen hatte, Mitte der achtziger Jahre die Kunst der Gegenwart entdeckte. Und mit zunehmender Beschleunigung und in immer größeren Quantitäten kaufte.

„Die bildende Kunst wurde mir nicht an die Wiege gelegt“, erklärt Flick, in dessen Familie eher auf Literatur, den Sonntagsspaziergang und insgesamt auf Disziplin geachtet wurde. Und sitzt froh auf einem dünnen Sofa von Franz West, das er früher wohl eher als Sperrmüll eingeschätzt hätte. Es steht in seinem Büro, dem Sitz der Flick Collection, die in einem Fabrikgebäude des ehemaligen Escher-Wyss-Industrieareals von Zürich ihre Räume hat. Auch der Couchtisch, der wie ein großer Schuhkarton aussieht, und der amöbenförmige Schreibtisch, der, auf dem ästhetischen Umweg über ein Bild von Gerhard Richter, an einen Slip erinnern soll, stammen von Franz West. Spätestens hier wird klar, für welche Brüche und Neuanfänge Friedrich Christian Flick steht, dessen Großvater zwar kein bekennender Nazi war, aber das Hitler-Regime im wahrsten Sinne des Wortes munitionierte, dieses aber wahrscheinlich eher von furnierter Eiche aus. Dass er nicht Schuld erben könne, wohl aber Verantwortung übernehmen müsse und wolle, sagte Flick, als im Zusammenhang mit seinem ursprünglichen Plan, in Zürich von Rem Koolhaas ein Privatmuseum für seine Sammlung bauen zu lassen, eine Debatte über die Provenienz seines Vermögens losgetreten wurde. Die schließlich die für alle Beteiligten unerwartete, erfreuliche Folge hatte, dass die Sammlung nach Berlin kommen wird. Im Frühjahr 2004 soll dort die erste Tranche gezeigt werden, nach sieben Jahren wird man einen wohl kompletten Überblick haben. Und was wird dann mit der Sammlung geschehen? Das ist natürlich alles offen und schließlich in das Belieben der Partner gestellt. Aber, so sagt Flick, „eine Verlobungszeit ist dazu da, um sich kennen zu lernen.“ Übrigens verlobt man sich heute auch sonst wieder gern.

Friedrich Christian Flick, Dr. jur., der sich mit 31 Jahren aus dem familiären Firmenverbund gelöst und, außer Geld zu erben, auch selber welches verdient hat, ist gewiss nicht naiv. Aber er ist, wenn es um die Kunst geht, offen, neugierig, lernbegierig und überwältigend begeisterungsfähig. In dem von West möblierten Raum stehen, bestimmt nicht zufällig und zweifellos eine ideale Rücklage für eine Aufbruchsstimmung, Duchamps Roue de Bicyclette, eine halb hohe Bronze von Giacometti, Marcel Broodthaers Arzttasche mit Eiern gefüllt; in der Ferne des nächsten Raumes sieht man durch die Glaswand einen Picabia und ein Bild des immer noch unterschätzten Amerikaners Philip Guston. Im großen Konferenzraum, der seinen Nutzen ebenso karikiert wie der Schreibtisch, stehen Paul Mc Carthys matt goldiger Michael Jackson and Bubbles, eine freundschaftliche Persiflage auf Jeff Koons’ Porzellanskulptur gleichen Namens, Thomas Schüttes Konferenzköpfe und zwei seiner Großen Geister. Wie verträgt sich Schüttes aufgeblasener Humor im Silberlook und teuren Großformat mit dem zarten poetischen Irrwitz von Broodthaers oder der Entmaterialisierung der Figuren von Giacometti? Oder mit heiter-kritischen Zeitgenossen wie Pipilotti Rist und Fischli/Weiss, die auch zur Sammlung gehören? Das weiß nur der Zeitgeist. Und der Galerist.

Die Kunst habe ihn verändert, sein „Leben sinnvoll gemacht“, sagt Flick. Und zwar die Kunst, „in deren Mittelpunkt die menschliche Existenz steht, auch mit ihrem Elend, ihrer Zerrissenheit, ihren Ängsten und Trieben“. So hat er Gerhard Richter gekauft und Baselitz, Polke und Kippenberger. „Ich muss eine Energie spüren“, fügt er hinzu. Und hat auch die spröde, amerikanische Concept Art und Minimal Art gesammelt, hat sich von der frühen Bauhaus-Fotografie über Video und Installationen einmal durch das rasant veränderte mediale Angebot des Jahrhunderts bewegt. 150 Namen soll die Sammlung umfassen, in Zürich waren zur Zeit der Museumspläne vier junge Kunsthistoriker beschäftigt mit Katalogisierung, Verwaltung, Ausleihe und dem, was sonst noch so dazugehört. Aber auch Flick macht, wie er sagt, seine „Hausaufgaben und den eigenen Research“. Wobei es ihm nicht nur um die Namen und die Kunstwerke geht. Ihm ist der Kontakt mit dem Künstler, die Freundschaft wichtig, ein Privileg, wie er sagt. Warum? „Vor allem Künstler haben mir den Weg zur Kunst gezeigt.“ Und, noch wichtiger, „sie sind dem Schöpfungsprozess näher.“ Es ist die „Welle der Beweglichkeit“, von der Tasso in Goethes Musterdrama zum Thema Mensch und Mäzen spricht. Am Renaissancehof brach sie sich allerdings noch am „Fels“ des Herrschers.

Warum sammelt man en gros, Häuser und alle Kunstunterkünfte sprengend? Bei Flick ist da zum einen der eher irdische und männliche Instinkt, der Jagd- und Besitztrieb. Nicht einige wenige Werke eines Künstlers reichen aus, sondern so viel wie möglich möchte er haben. Man nennt das gern „Werkgruppen“, Flick spricht davon, dass er ein Werk in seinen Verästelungen besitzen und erfahren möchte. Und so stolz wie ein Junge früher wohl nach dem Freischwimmerzeugnis war, ist Flick heute darauf, einmal ein Viertel einer Ausstellung gekauft zu haben. Ein seltsames Qualitätskriterium, aber ein Erfolgserlebnis, vor allem für den Galeristenfreund Iwan Hauser. Auf der anderen Seite aber ist da, ganz im Sinne der frühen Sammlungstypologie von Julius von Schlosser, die heilsbringende Wirkung der Kunst, grade in unheiligen Zeiten. Ein Lebensgefühl wird hier getroffen, das in der Kunst nicht den direkten Trost sucht oder Sublimierung findet, wohl aber Metaphern und Widerspiegelungen persönlicher wie auch gesellschaftlicher Irritationen und Depressionen.

Bruce Nauman ist der Künstler, der die alteuropäische Feststellung, dass die Welt aus den Fugen sei, mit einer von der amerikanischen Westküste geprägten Wahrnehmung und neuen künstlerischen Mitteln modifiziert, trocken und pathetisch zugleich, im Showdown zwischen Kopf und Körper, gern in der gnadenlosen Endlosschleife der Videoskulptur. Fast alle sammeln Bruce Nauman, den, so scheint es, rechtmäßigen Erben von Joseph Beuys. Ähnlich wie Ed Kienholz oder Richard Serra, hat Nauman in Deutschland sehr viel mehr Aficionados als in den USA. Für Friedrich Christian Flick aber ist er das Herzstück, das Zentrum seiner Sammelpassion. Er besitzt die gesamten grafischen Editionen, zahlreiche Zeichnungen, 29 skulpturale Arbeiten, acht frühe Videos und elf Rauminstallationen. Jetzt ist er auf der Jagd nach der Skulptur South American Circle. Und träumt davon, einmal mit Arbeiten von Nauman etwas Ähnliches einrichten zu können wie die Rothko Chapel, die zur Sammlung de Menil in Houston gehört, wahrhaft ein Tempel der reinen Malerei, und ein bevorzugter Aufenthalt für Sinnsuchende aller meditierenden Fakultäten.

Natürlich ist Bruce Nauman auch mit einem großen Werkkomplex in der Sammlung von Maja Oeri vertreten, das heißt, in der Emanuel Hoffmann-Stiftung, deren Präsidentin sie seit 1995 ist. Maja Oeri ist eine sehr wohlhabende junge Frau. Selbstbewusst, aber öffentlichkeitsscheu. Zur Sammlerin musste sie nicht werden, da sie, Baslerin in der Kunststadt Basel, in eine Familie von Kunstsammlern und Mäzenen hineingeboren wurde. Kunst ist für sie eine freudige Pflicht, ein Erbe, eine selbstverständliche Aufgabe. Und dass sie, wenn man so will, die wohl größte Sammlung der zeitgenössischen Moderne in der Schweiz besitzt, wird erfolgreich kaschiert hinter dem Wort Stiftung. Ihre Großmutter Maja Hoffmann gründete 1933 zum Andenken an ihren bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Mann die Emanuel Hoffmann-Stiftung. Mit ihm, dem älteren Sohn des Gründers des weltweit operierenden Pharmakonzerns Hoffmann-La Roche, hatte sie während ihrer kurzen Ehe die Kunst entdeckt, sich dafür begeistert, nicht nur als passive Kunst-Konsumentin.

Die Stiftung, so heißt es in den Statuten, solle „Werke von Künstlern sammeln, die sich neuer, in die Zukunft weisender, von der jeweiligen Gegenwart noch nicht allgemein verstandener Ausdrucksmittel bedienen“. Und, damals dachte man allerdings noch im Wandbildformat, „die Ankäufe der Stiftung sollen durch dauernde Ausstellung sichtbar gemacht werden“. Durch die Stiftung von Maja Hoffmann, die in zweiter Ehe mit dem Musiker und Mäzen Paul Sacher verheiratet war, gelangten Werke von Ensor bis Dalí, Permeke bis Rothko, Giacometti bis Calder als Depositum ins Basler Kunstmuseum. Ihrer Initiative verdankt sich auch das Museum für Gegenwartskunst, das 1980 eröffnet wurde, ein Geschenk von Maja Sacher, der Familie und der Emanuel Hoffmann-Stiftung an die Stadt. Die Dependance des Kunstmuseums wurde auf dem Gelände eines alten Mühlenbetriebs gebaut und liegt direkt am Rhein.

Im Jahr 1965 kaufte Maja Sacher die Filz-Holz-Skulptur Schneefall von Joseph Beuys, die erste Arbeit von Nauman kaufte sie 1973. Den Vorschlag, den ganzen Beuys-Bestand der in Auflösung befindlichen Sammlung Ströher zu kaufen, lehnte sie mit der Begründung ab, dass es ihr nicht richtig erscheine, von „einem lebenden Künstler eine fertige Gesamtansicht en bloc an einem Ort zusammenzutragen“. Die Leidenschaft der Enkelin Maja Oeri macht sich, auch wenn man im protestantischen Basel von Leidenschaften kaum spricht, wohl in erster Linie am Werk von Dieter Roth fest, den sie lange kannte, großzügig unterstützte und von dem eine große Installation auch in ihre privaten Räume Einzug gehalten hat. Ihm wird auch die erste Ausstellung gewidmet, die Maja Oeri im Mai in quasi eigenen neuen Räumen eröffnet, einer Schaulager genannten Institution, für die es keinen Prototyp gibt.

Wohin mit der Kunst? Auch die Emanuel Hofmann-Stiftung mit ihrer im Vergleich zu anderen, neuen Sammlungen eher moderaten Stückzahl von circa 500, hat mehr, als sie zeigen kann oder ausleihen mag. Die in den Statuten geforderte Sichtbarkeit ist nicht mehr gegeben, 80 bis 90 Prozent der Bestände sind im Depot. Wahrscheinlich hätte man sich auch noch ein neues Museum leisten können, aber „ein neues Museum zu bauen, ist sinnlos“, sagt Maja Oeri. Und erfand das Schaulager, in dem die Teile der Sammlung, die nicht ausgestellt sind, unter konservatorisch optimalen Bedingungen gelagert werden, unverpackt, also sichtbar – dieses allerdings nicht für die Öffentlichkeit, sondern für Kunsthistoriker, Studenten, Kuratoren und andere berufsmäßig Interessierte. Alles ist hier aufgebaut, nichts ausgestellt. Besuch nach Voranmeldung.

Dem Vorbild ihrer Großmutter folgend, hat Maja Oeri eine Stiftung gegründet, die Laurenz-Stiftung, die Besitzerin des Schaulager-Baus ist und zugleich auch der Universität Basel eine Juniorprofessur für Zeitgenössische Kunst gestiftet hat. Herzog & de Meuron, verantwortlich für die Tate Modern in London, sind die Architekten des Baus, der in Münchenstein liegt, einem Vorort von Basel, auf einem ehemaligen Lagerhausgelände. Nebenan ist ein Migros Markt. Der monolithische Bau, für dessen Fassade das Geröll des Aushubs genutzt wurde, ist von einem wellenförmigen Riss durchzogen, hinter dem Fenster liegen. Wie ein abgestelltes Objekt oder Kinderspielzeug wirkt ein spitzgiebeliges Schilderhäuschen an der eingedrückten Frontseite, das als Durchgang zum Eingang dient. Von fünf Stockwerken, insgesamt eine Fläche von knapp 20000 Quadratmater, werden drei für das Schaulager genutzt. Jedes Kunstwerk hat seinen Raum, der durch eine eiserne Schiebetür gesichert ist. Ein Hauch von Bewahranstalt weht durch die langen, breiten Flure. Im Erdgeschoss, wo im lockeren Jahresrhythmus der Öffentlichkeit zugängliche Ausstellungen stattfinden werden, sind (und diese sollen dort dauerhaft bleiben) Katharina Fritschs Rattenkönig sowie eine raumgreifend monumentale Arbeit von Robert Gober installiert, für die, da Wasser im Kunstspiel ist, im Keller eine Brunnenanlage gebaut wurde. Mit dem kompakten Maschinenpark im Keller, der die richtige Temperatur und Luftfeuchtigkeit für den Erhalt von Fett und Filz, Styropor und Neon, Papier und Wachs, Schokolade und Zelluloid garantiert, könnte man wahrscheinlich auch einen Ozeandampfer betreiben. Ist das Schaulager, ein Zwitter von Museum und Depot, die Zukunft für den Überfluss der Kunst? Das Schaulager, sagt Maja Oeri, „ist ein Arbeitsort und auch eine Reaktion auf die Event-Kultur.“

In ihrem Selbstverständnis als Sammler zeitgenössischer Kunst spiegelt sich in Friedrich Christian Flick und Maja Oeri jenseits ihrer unterschiedlichen Temperamente auch die Differenz ihrer Geschichte wieder. Beide stammen aus wohlhabenden Industriellenfamilien. Aber während Flicks Biografie geprägt war und ist vom Dritten Reich des Adolf Hitler und seinen Folgen, agiert Maja Oeri aus der unerschütterten Kontinuität des kultivierten Basler Bürgertums. In ihrem Schaulager werden keine ästhetischen Debatten geführt, hier wird die Kunstproduktion unserer Tage selbst vor jenem Verfall bewahrt, der doch oft auch Programm war. Friedrich Christian Flick und seine zukünftig sichtbare Sammlung sind für Berlin und damit für das Land, als dessen Bürger er sich identifiziert, ein Gewinn und ein Anstoß in die richtige Richtung. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit hängt nicht zuletzt von den integrativen Kräften des staatlichen Berliner Hausherren ab. Bei dem sich gerade auch wieder der Fotograf Helmut Newton, ergrauter Spezialist des seichten Sex, gemeldet hat. Gern hätte er ein Eigenheim für seine Fotos. Aber vieles, was umsonst ist, ist wirklich umsonst.

Im reichen deutschen Sammlerland, und auch dieses ist eine Folge vom Krieg und zerstörten Traditionen, Wirtschaftswunder und dem Wunsch nach Neuanfang, ist die Spezies Sammler in vielen Varianten präsent. In München hat die frühere Galeristin und Sammlerin Ingvild Goetz sich 1992 ein kleines Museumshaus von Herzog & de Meuron bauen lassen, von dem viele Aktivitäten ausgehen. Der Hamburger Sammler Harald Falkenberg hat, in einer ehemaligen Fabrikationshalle der Harburger Reifenfabrik Phoenix und auf der Basis einer schlauen Kulturstiftung, im Jahr 2000 Räume für seine Sammlung gefunden. Frieder Burda ist dabei, sich von Richard Meier ein Privatmuseum in Baden-Baden bauen zu lassen – mit Brückenschlag zur Staatlichen Kunsthalle nebenan. Dem Sammler Udo Brandhorst aber wird der Freistaat Bayern ein eigenes Museum für seinen Kunstbesitz erbauen, neben der soeben eröffneten Pinakothek der Moderne. Genau das wollte Maja Oeri nicht. Und Flick braucht dieses Erlebnis auch nicht mehr.