16.10.2001 12:49:00 MEZ
"Affäre der 100 Mannequins"
Haftentlassene Modeschöpferin Oumou Sy ist Stargast bei Kunsthallen-Diskussion "Die andere Moderne: Über/Leben zwischen Digital Culture, Fashion und Trash Art"

Wien - Die weltbekannte Modeschöpferin Oumou Sy aus dem Senegal ist kommenden Donnerstag (18.10., 19 Uhr) Stargast einer Diskussionsveranstaltung in der Wiener Kunsthalle als Rahmenprogramm zur Ausstellung "Flash Afrique". Die afrikanische Designerin und sozial engagierte Internet-Pionierin, die Ende August mit der "Affäre der 100 Mannequins" für Schlagzeilen gesorgt hatte - sie wurde nach einer Verhaftung unter dem Vorwurf der Zuhälterei erst vergangene Woche wieder auf freien Fuß gesetzt - diskutiert in Wien zum Thema "Die andere Moderne: Über/Leben zwischen Digital Culture, Fashion und Trash Art".

Oumou Sy ist die Galionsfigur der afrikanischen Modeszene. Ihre Kleider erzählen Geschichten. Sie webt nicht nur Gold und Perlen in ihre bunten Kreationen ein, sondern auch Mangokerne oder Fischgräten, afrikanische Saiteninstrumente, ja sogar Computerteilchen und schillernde CDs. Und so verrückt und märchenhaft wie ihre Mode ist auch das Leben der Oumou Sy. Die 49-jährige fünffache Mutter und dreifache Großmutter stammt aus ärmlichen, tief religiösen Verhältnissen, ist zum dritten Mal verheiratet und hat fast die ganze Welt bereist. Sie ist Analphabetin und Autodidaktin, Kostümbildnerin, Regisseurin, Lehrerin und für eine Vielzahl von unter anderem Sozial-Projekten engagiert.

Oumou Sy organisiert allein den Karneval von Dakar und plant ein Museum der Völker, in dem die Besucher in die Rollen und Kleider afrikanischer Völker schlüpfen können. Sie hat eine Stylistenschule gegründet, die internationale Modewoche "Simod" in Dakar und 1996 - gemeinsam mit ihrem dritten Mann, einem französischen Filmproduzenten - "Metissacana", das erste Internetcafe Westafrikas. Und sie hat große Pläne: In 13.500 Dörfern im Senegal, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung Analphabeten sind, will sie Cyber-Bars einrichten. Wofür das gut sein soll und kann, hat sie schon mit einer Reihe von Internet-Projekten vorgeführt. Etwa dem Baby-Wiege-Projekt, das langfristig die Kindersterblichkeit senken soll: Dabei werden 1.250 Kinder aus St. Louis zwei Mal die Woche gewogen und die Ergebnisse per Internet einem Arzt zugespielt, der bei Gewichtsabnahmen Mutter und Kind in die Sprechstunde bestellen kann. Oder dem Wettervorhersage-Projekt für die Fischer von St. Louis, mit dem die Zahl der Ertrunkenen auf die Hälfte reduziert werden konnte.

Mysteriös sind die Umstände, unter denen Sy am 28. August zusammen mit zwei senegalesischen Begleiterinnen und 100 angeblichen Mannequins auf dem Flughafen von Dakar verhaftet wurde. Die 100 jungen Frauen wollten ein Flugzeug Richtung Libyen besteigen, um angeblich an den Feiern des Jahrestages von Muammar Gaddafis Machtergreifung am 1. September teilzunehmen, besaßen jedoch keine libyschen Einreisevisa und waren angeblich auch nie eingeladen worden. Die Polizei vermutete, dass die Frauen der Prostitution zugeführt Sy ließ nach ihrer Verhaftung Klage gegen die beiden Begleiterinnen erheben, in deren Auftrag sie das Casting durchgeführt hatte - im festen Glauben, wie sie versicherte, es handle sich um eine Modenschau. Begleitet von Demonstrationen und Sympathiekundgebungen wurde sie schließlich vergangene Woche wieder frei gelassen. Auch Oumou Sys Pressekonferenz am gestrigen Montag in der österreichischen Botschaft in Dakar stieß auf großes mediales Interesse.

Weitere Teilnehmer der Diskussion in der Kunsthalle sind der Berliner Schriftsteller Diedrich Diederichsen, Günther Stachel (Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium), Raphael N'Diaye (Environment et developpement du tiers-monde, Dakar) und Mumok-Direktor Engelbert Köb (angefragt). Um 22 Uhr steigt dann in der AfroLounge eine Solo Performance von Lukas Ligeti: Electronic Drums.

(APA)


Quelle: © derStandard.at