Ausstellung "Medium Religion": Das ZKM in Karlsruhe beleuchtet die medialen Aspekte des Glaubens
Noch mehr Opium für das Volk
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Christliche Ikonografie, verknüpft mit Markenwahn: Alexander Kosolapovs Arbeit "This is my blood". Foto: ZKM
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Von Andreas Rauschal
![Aufzählung Aufzählung](00083491-Dateien/wzfeld.gif)
Zwei Kernaussagen bestimmen die Ausstellung "Medium Religion" im
Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Erstens:
Religionen bedienen sich heute verstärkt der Massenmedien, um ihre
Botschaft zu verkünden. Fernsehen und zunehmend auch das Internet als
global gestalt- und abrufbare Plattform sind an die Stelle von Schrift
und Buch getreten – schneller und einfacher gestalten sich etwa
Herstellung, Reproduktion, Verbreitung und Speicherung von Videos.
Dabei drängt der vormals im Privaten verhaftete Glauben über neue
technische Kanäle offensiver in die Öffentlichkeit – und er schiebt
sich solchermaßen zurück in das kollektive Bewusstsein.
Zweitens:
Religionen stellen an sich eine Art Medium dar. Die Wiederholbarkeit
des religiösen Rituals findet ihre gegenwärtige Entsprechung in der
Reproduktion, die vom technischen Fortschritt ermöglicht wurde und den
Massenmedien zugleich als Grundlage dient.
Neue Sinnzusammenhänge
Die Schau – kuratiert von ZKM-Vorstand Peter Weibel und dem
Philosophen Boris Groys – präsentiert 72 Exponate teils künstlerischen,
teils dokumentarischen Charakters.
Quer durch die Weltreligionen und über einen Abstecher in
sektiererische Gefilde – gezeigt wird Hollywood-Star Tom Cruise, wie er
in einem internen Schulungsvideo der Church Of Scientology heiße Luft
absondert – operieren nicht wenige Werke mit der Auflösung und
Neuanordnung von Sinnzusammenhängen.
Peter Bogers legt in seiner Videoinstallation "The Secrets of the
Most High" gesungene Korantexte über die Bildspur eines amerikanischen
TV-Predigers. Wael Shawky lotet das Verhältnis von Religion und
Kapitalismus mit einem Video aus, das ihn in der Ästhetik einer
TV-Reportage beim Durchqueren eines Supermarktes begleitet. Allerdings:
Anstelle eines Moderationstextes trägt der Künstler eine Sure des Koran
vor.
Auch blasphemische Kommentare kommen nicht zu kurz. Sang-Kyoon Noh
verweist mit seinen übergroßen "Twin Jesus Christs" im Glitzerkostüm
auf den Tod des Originals im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit.
Auf ein McDonald’s-Plakat setzt Alexander Kosolapov ebenso das
Abbild Jesu Christi wie den Schriftzug "This is my body". "This is my
blood" steht auf dem Coca-Cola-Plakat nebenan. Verknüpft wird die
Ikonografie des Christentums mit dem Markenwahn der kapitalistischen
"Wertewelt" zu einer humorvoll konsumkritischen Arbeit.
Ungleich provokanter agiert Michael Schuster, auf dessen Kruzifixen
nicht Jesus, sondern Pattex-Dosen mit der Aufschrift "No More Nails"
hängen.
Die Monster, die religiöser Fundamentalismus gebiert, führen
dokumentarische Arbeiten vor Augen: Gezeigt werden Videobotschaften
palästinensischer Selbstmordattentäter, aufgenommen kurz vor ihrem
ersten und letzten Einsatz, ebenso wie eine Kindersendung im TV-Kanal
der Hamas, die schon den Jüngsten nur eines beibringt: den Hass auf
Israel.
Spannungsgeladene Inhalte
Wie spannungsgeladen die Verhandlung religiöser Inhalte mit den
Mitteln der Kunst sein kann, zeigt die dokumentarische Nachbetrachtung
von Gregor Schneiders Projekt "Cube": Der schwarze Kubus, der an das
islamische Zentralheiligtum Kaaba erinnert, durfte nicht auf der
Biennale 2005 gezeigt werden. Eine vor dem Hintergrund des
"Karikaturenstreits" 2006 in Salzburg nicht realisierte Arbeit
präsentiert nun "Medium Religion". Christoph Büchel legt 1000 Exemplare
der arabischen (!) Übersetzung von Hitlers "Mein Kampf" aus. Das Buch
ist in den arabischen Ländern seit Jahren ein Bestseller.
Ausstellung
Medium Religion
Boris Groys, Peter Weibel (Kur.) (Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe bis 19. April 2009
Printausgabe vom Donnerstag, 18. Dezember 2008
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