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Restitution als Gespräch über die Vergangenheit

22.12.2010 | 18:26 | MICHAEL FLEISCHHACKER (Die Presse)

Diethard Leopold, der Sohn des heuer verstorbenen Sammlers, spricht über Chancen und Schwierigkeiten in den aktuellen Restitutionsfällen und über das Schicksal der vielfältigen zweiten Sammlung seines Vaters.

Die Presse: Das Beratungsgremium der Ministerin hat die fünf Schiele-Blätter aus der Sammlung Mayländer, die sich in Ihrem Haus befinden, zur Restitution empfohlen. Begründet wird das im Wesentlichen damit, dass man eine feste, eheähnliche Beziehung zwischen Mayländer und der Erbin Etelka Hofmann nicht als erwiesen ansieht. Sie selbst hatten Briefe des Schriftstellers Rudolf Brunngraber an Karl Mayländer gefunden, die eine solche Beziehung belegen. Diese wurden in der Empfehlung des Gremiums erwähnt, haben aber an der Entscheidung nichts geändert.

Diethard Leopold: Ich gestehe offen, ich kann diese Entscheidung nicht verstehen. Und es macht mich betroffen, dass aus meiner Sicht der Wille und Wunsch des jüdischen Sammlers, der seiner Lebensgefährtin oder zumindest Geliebten diese Kunstwerke geschenkt hat, von dem Gremium nicht respektiert wurde. Es gibt keinen Beweis dafür, dass er ihr seine Kunstwerke ohne den Druck der Zeit nicht gegeben hätte, aus Liebe und um sie zu versorgen. Man darf nicht vergessen, was das für eine Zeit war: Nach den gültigen Rassegesetzen hatte sich Etelka Hofmann dadurch, dass sie die Beziehung zu dem Juden Karl Mayländer aufrechterhielt, der Blutschande schuldig gemacht. Sie hat sich also durch die Aufrechterhaltung ihrer Beziehung zu Mayländer, der 1941 deportiert wurde, durchaus Gefahren ausgesetzt. Brunngrabers Briefe aus den Jahren 1936 und 1937 zeigen, dass es sich doch um eine mehrjährige Lebensgemeinschaft gehandelt haben muss. Und das deckt sich mit den Aussagen, die mein Vater von Etelka Hofmann hatte. Und wenn sich diese Aussagen auf eine solche Weise decken, ergibt das doch eine große Plausibilität.

Trotzdem empfiehlt die Michalek-Kommission eine Rückgabe. Allerdings ist die Leopold-Privatstiftung an diese Empfehlung nicht gebunden, weil sie nicht dem Kunstrückgabegesetz unterliegt. Wie wird sich die Stiftung jetzt verhalten?

Leopold: Ich möchte das Thema zunächst nicht so sehr von einem juristischen, sondern von einem allgemein-menschlichen Standpunkt aus betrachten. Erstens würde ich sagen, dass es Restitution in diesem Fall gar nicht geben kann. Restitution heißt Rückgabe, an wen sollen denn diese Blätter zurückgegeben werden? Ein Neffe Mayländers, der Sohn seiner Schwester, mit der er nach Shanghai emigrieren wollte, konnte nach Amerika flüchten. Er hat nach dem Krieg das Erbe seiner Mutter beansprucht, das Erbe nach seinem Onkel jedoch nicht. Es scheint also klar gewesen zu sein, dass Etelka Hofmann die rechtmäßige Eigentümerin war, sie hat die Herkunft der Blätter ja auch nach dem Krieg nie verheimlicht.


An wen müsste denn restituiert werden?

Leopold: Eine angeheiratete Nichte des Neffen von Karl Mayländer, die heute 90-jährig in New York lebt. Wir respektieren den Vorgang, aber man kann schon auch aus rein menschlicher Sicht fragen, ob der Terminus Rückgabe hier einen Sinn ergibt. Ich persönlich glaube, dass er wenig Sinn ergibt, aber wir stehen nicht an, auch hier eine substanzielle Geste zu setzen.

Wenn also Rückgabe nicht infrage kommt, denken Sie an eine finanzielle Entschädigung?

Leopold: Es gibt verschiedenste Formen. Ein großer Restitutionsexperte hat einmal gesagt: Restitution ist nicht primär eine Verschiebung von Besitz, sondern ein Gespräch über die Vergangenheit. Es geht darum, mit dieser Vergangenheit, so weit das möglich ist, ins Reine zu kommen. Und das kann verschiedene Formen haben. Eine Möglichkeit wäre ein finanzieller Ausgleich. Eine sehr gute Möglichkeit ist auch das Angebot, diese Kunstwerke auszustellen und mit einer würdigenden Information zu ihrer Geschichte zu versehen.


Die Entscheidung darüber trifft der Stiftungsvorstand. Wann wird er das tun?

Leopold: Wir haben der Erbin bereits geschrieben, wir treten in ein Gespräch mit ihr ein. Ich denke wirklich, dass das ein Fall ist, an dem man sehr gut erörtern kann, was man unter dem Titel „Restitution“ für sinnvoll hält und was für weniger sinnvoll, und was nachhaltige Lösungen sein können. Man muss einfach sehen, warum Restitution so ein problematischer Begriff ist: Weder die Person, der es genommen wurde, noch der Schuldige ist da, und auch das Objekt ist nicht mehr dasselbe. Dinge, die nach heutigem Wert wenige tausend Euro gekostet haben, sind heute Millionen wert. Ich halte es daher durchaus moralisch für gut, wenn wir Vergleiche anbieten.


Der „prominenteste“ Restitutionsfall des Leopold-Museums dreht sich um „Häuser am Meer“. Was ist der Stand der Dinge in diesem Fall?

Leopold: Die Dinge sind im Fluss, und natürlich gibt es in der jetzigen Phase das Interesse, nicht öffentlich zu agieren. Es ist eine sehr komplexe Angelegenheit, aber ich denke, dass wir sie zu einem für die Rechtsnachfolger akzeptablen Ende bringen können.


Komplex ist die Sache nicht zuletzt deshalb, weil sie die alte Auseinandersetzung zwischen der israelitischen Kultusgemeinde und dem Haus Leopold auf den aktuellen Punkt bringt...

Leopold: Ich bedaure sehr, dass das so personalisiert wurde. Ich persönlich habe nichts gegen die Kultusgemeinde, im Gegenteil. Auf der anderen Seite muss man sagen: Dass Ariel Muzicant und Erika Jakubovits von der Kultusgemeinde an den Verhandlungen teilnehmen, macht die Sache nicht leichter, weil sie in den Gesprächen – noch dazu höchst emotionell – die Position einer Partei einnehmen. Dadurch, dass die Kultusgemeinde an dem Ergebnis wirtschaftlich beteiligt ist, geht es bei ihr auch um relativ viel Geld, und so wird eben die Kultusgemeinde zur Partei, obwohl sie eigentlich vermitteln sollte. Es ist immer so: Verhandlungen mit direkten Erben sind verhältnismäßig leicht zu führen, schwieriger ist es mit Institutionen. Da wird dann oft an Gewinnmaximierung gearbeitet und Restitution nur als Verschiebung von materiellen Dingen betrachtet.


Man hat den Eindruck, dass Sie in der Restitutionsfrage eine andere Position als Ihr Vater einnehmen. Wenn ja, warum?

Leopold: Das ist zum Teil richtig, zum Teil tut man meinem Vater damit Unrecht. Inhaltlich war ich in den meisten Dingen einer Meinung mit ihm, aber er wusste natürlich, unter welchen Anstrengungen er manche der Dinge erworben hat. Mein Vater hat sehr unter den persönlichen Angriffen gelitten, und er hat wohl auch gedacht, dass er, gerade wenn er leicht nachgegeben hätte, erst recht als Person dagestanden wäre, die etwas Kriminelles getan hat. Dabei hat er alles nach dem Krieg rechtmäßig erworben und erst dadurch, dass er seine Sammlung in die Stiftung eingebracht hat, sah er sich mit Restitutionsansprüchen konfrontiert, während alle Zwischenbesitzer nicht behelligt wurden. Dabei war er es, der in der Wally-Sache zunächst einen Vergleich anpeilte, aber im Vorstand wurde dann auch mit seiner Stimme beschlossen, in die Auseinandersetzung zu gehen.


Die Öffentlichkeit wartet mit Spannung auf die „Sammlung Leopold II“. Was passiert damit?

Leopold: Die Sammlung II ist faszinierend, weil sie so vielfältig ist. Ich denke, dass wir, meine Mutter und meine Geschwister, gemeinsam so etwas wie das Konzentrat dieser Sammlung herausfiltern werden. Das heißt nicht, dass wir alles andere verkaufen werden, hier geht es um so etwas wie einen ideellen Kern. Dieser soll und wird einige hundert Arbeiten umfassen. Etliches davon wird wohl im Leopold-Museum zu sehen sein, aber wie viel und in welcher Form, wird wohl auch davon abhängen, wie sich das Museum und die Eingebundenheit der Familie in Zukunft entwickeln. Derzeit ist das Museum ja in einer prekären finanziellen Situation, da die Basissubvention seit Jahren nicht angehoben, ja nicht einmal über den Verbraucherpreisindex werterhalten wurde, und es ist derzeit noch gar nicht so klar, ob der Museumsbetrieb in der bisherigen Form aufrechterhalten werden kann, wenn sich da nichts ändert.

Im Klartext: Sie machen die Bereitschaft der Familie, die Sammlung II für das Museum nutzbar zu machen, von der Zahlungsbereitschaft des Bundes abhängig.

Leopold: Das ist sicher eine wesentliche Komponente, ja, denn im Moment bekommt das Museum jährlich immer weniger. Zugleich macht es ein tolles Programm. Und nach zehn Jahren gibt es eben auch Infrastruktur zu erneuern und auszubessern. Derzeit fehlen für den laufenden Betrieb an die 500.000 Euro im Jahr.


Hat Sie die museologische Leitung des Museums wirklich nie interessiert?

Leopold: Das dürfen Sie einen Psychologen nicht fragen, denn unbewusst hat eine solche Aussicht natürlich etwas höchst Verlockendes – nein, ich sehe meine Aufgabe darin, in dieser heiklen Übergangsperiode nach dem Tod meines Vaters im Vorstand eine Rolle zu spielen, das tue ich gern. Aber ich kann und will mich nicht mein ganzes Leben an das Projekt meines Vaters binden.


Das große Projekt Ihres Vaters war das Sammeln. Sammeln Sie auch?

Leopold: Nein, ich sammle nicht. Ich habe immer wieder Kunstwerke von befreundeten Künstlerinnen und Künstlern gekauft. Ich lebe auch zu Hause mit Kunst, aber ich habe keine Sammlungsidee.


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