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01.07.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Anita Berber wie von Klimt gemalt
VON JOHANNA HOFLEITNER
Albertina-Ausstellung. "Portrait im Aufbruch", Fotos. Von der Pose zur Haltung.

Der Kunstmäzen Harry Graf Kessler raucht anders als der Politiker und Historiker Hubertus von Löwen stein. Das mag mit der Pose zu tun haben: In Frack, weißem Wams und Fliege beugt Kessler sich leicht vornüber, in seiner Hand bestimmt die Zigarette die Gestikulation mit. Löwenstein hingegen blickt, in Anzug und mit Schlips, die Haare buschig hochgebürstet, nachdenklich in die Welt. Das hat aber auch mit Haltungen zu tun.

Zwei Bilder. Zwei Epochen. Die Ausstellung der Albertina "Portrait im Aufbruch" zeichnet diese Zeiten nach. Zwischen den Momentaufnahmen der beiden Raucher liegen 24 Jahre. Das Bildnis Kesslers wurde 1908 von Hugo Erfurth aufgenommen. Erfurth (1874-1948) galt zu seiner Zeit als einer der berühmtesten Porträtfotografen Deutschlands, sein Markenzeichen war der Ölpigmentdruck - ein weichzeichnendes Druckverfahren, das die Kunstfotografen der Jahrhundertwende bevorzugten. Dem Kessler-Porträt verleiht es bei aller ausgestrahlten Würde und Selbstsicherheit auch Melancholie. Untergangsstimmung eben, wie sie in diesen Jahren in der Luft lag.

Löwensteins Porträt hingegen signalisiert Modernität. Aufgenommen wurde es 1930 von dem jungen Fritz Eschen, der zwei Jahre vorher seinen Job als erfolgreicher Manager an den Nagel gehängt hatte, um sich einer Karriere als Fotoreporter und Porträtfotograf zu widmen. Eschen sprang auf den Boom auf, den die Entwicklung der Fotografie mit sich gebracht hatte.

Gerade waren die ersten "leichten" Kleinfilmkameras auf den Markt gekommen. Zwar waren sie nach heutigem Maßstab immer noch schwer, im Unterschied zu den mannshohen Studio-Apparaten, die bis dahin in Verwendung waren, eröffneten sie jedoch ungeahnte fotografische Möglichkeiten. Nahsicht, Schrägaufnahmen, Untersichten waren jetzt machbar, denn die Kameras konnten vom Stativ genommen werden. Aufgrund der Ablösung der Platten- durch Rollfilme waren die Fotografen auch nicht mehr an die Dunkelkammer gebunden. "You press the button, we do the rest", machte Kodak breite Werbung für das Medium. Und auch für die bildenden Künstler der Zeit gehörte eine Kamera ab sofort zur Grundausstattung, in der Ausstellung legen zahlreiche Bildbeispiele von Bauhaus-Künstlern davon Zeugnis ab.

"Portrait im Aufbruch" versammelt 200 Bildnisse von 50 deutschen und österreichischen Fotografen und zeichnet am Beispiel eines zentralen fotografischen Genres das faszinierende Verhältnis von Zeitgeist, Ästhetik und technischen Voraussetzungen nach. Die Chronologie spielt dabei ebenso eine untergeordnete Rolle wie die Nationalität der Fotografen. Stattdessen haben die Kuratoren Monika Faber und Janos Frecot das Bildmaterial inhaltlich gruppiert. Den Anfang machen naturgemäß die stark von der Kunstfotografie und -tradition inspirierten Inszenierungen des Fin de Siècle. Wenn etwa Dora Kallmus die in einen gemusterten Kimono gewandete Tänzerin Anita Berber mit offener Brust und zurückgeworfenem Haupt fotografiert, dann spielt da sehr wohl auch die Ästhetik eines Gustav Klimt hinein. Die Zäsur des Weltkriegs bringt dann das Ende des Kunstbildnisses. Die Bildsprache ändert sich in den neuen Porträts und Selbstporträts radikal, Modernität, Emanzipation, individueller Ausdruck spielen eine viel größere Rolle. Oder es werden Stilmittel des Films angewandt. So montiert Josef Albers etwa ganze Serien von Fotos wie Filmkader nebeneinander. Helmar Lerski wiederum leuchtet für seine Nahsichten das stets steinern wirkende Gesicht seiner Models mit Hilfe von Spiegeln aus.

Nachgerade eine Hommage an das Menschenbild des 20. Jahrhunderts sind schließlich die "Antlitze" des August Sander (1876-1964), von denen die Ausstellung ein ganzes Dutzend zeigt. Viele Tausende hat Sander im Lauf seines Lebens aufgenommen. Sein Großprojekt "Menschen des 20. Jahrhunderts" wurde erst nach seinem Tod als mehrteiliges Mappenwerk publiziert.

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