Quer durch Galerien
Bananen sind trotzdem taubstumm
Von Claudia Aigner
Der Mensch ist ein Säugetier. Lebenslänglich. Ohne
die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung. Manche besonders
säugetierische Exemplare sind Säuglinge bis zum Exitus: die so genannten
"oralen Charaktere". Die können es nicht überwinden, irgendwann abgestillt
worden zu sein, und sind ihr Leben lang auf Mutterbrustentzug. Und auf der
Suche nach einer "Ersatzdroge" begegnen sie zuerst dem Daumen, der diese
"saugstarken" Personen stillen muss. (Nur der Ordnung halber: "Stillen"
ist - seltsamerweise - immer noch nicht gleichbedeutend mit: "knebeln",
obwohl der schalldämmende Effekt so ziemlich der gleiche ist.) Später sind
dann eventuell Zigaretten ihr Methadon. Oder Punschkrapferln, diese
rosigen Dinger mit der vertraut mütterlichen, kandierten Kirsche oben
drauf. Könnte so jemand eine Autobiografie schreiben mit dem
reißerisch oralen Titel "Mein Stillleben" (Untertitel: "Bekenntnisse eines
Säuglings")? Oder passt ein Stillleben doch besser zu einem Stück Obst und
der Untertitel des Buches müsste vielmehr lauten: "Die Geschichte einer
wienerischen Birne, von ihr selbst erzählt"? Freilich: Seit Putzfrauen
"Raumkosmetikerinnen" sind, ist alles möglich. Auch dass "Stillleben"
neuerdings die offizielle Bezeichnung für Ruhestand wäre. Pensionisten
müssten dann Leute in ihrem "Stilllebensabschnitt" sein. Weil alle paar
Jahrzehnte ein Begriff, wenn er sich plötzlich zu naturalistisch anhört,
durch ein völlig unbelastetes, uneingeschränkt optimistisches Wort (eine
Wortidylle) ersetzt werden muss. Stillleben - bald eine tröstliche
Umschreibung für: Koma? Für ein Dasein "in ruhiger Lage", um nicht brutal
naturalistisch zu sagen: in Rückenlage? Die Fotogalerie (Währinger
Straße 59) ist jedenfalls bis 29. September einem möglichen Zusammenhang
zwischen Stillleben und Interieur auf der Spur. Und blickt damit eindeutig
über den Rand der Obstschale hinaus. Stillleben - also doch eine Frage der
Zimmerlautstärke? (Apropos "Stiller wohnen": Könnte bitte jemand meinen
Nachbarn, ein lautstark oraler Charakter, "stillen" wie man ja auch ein
schreiendes Baby mit einem Schnuller oder Fläschchen "abstellt"? Denn: Mit
vollem Mund rappt man nicht.) Aber selbstverständlich sind auch die
Hauptbestandteile eines Früchtestilllebens zimmerlaut und sowieso
taubstumm. Zum Beispiel Bananen (auch wenn diese eine geradezu
kommunikativ anmutende Krümmung aufweisen, soll heißen: Man müsste an
ihrem Design gar nicht viel ändern und sie wären ein Telefonhörer).
Fotogalerie Wien: Vitamine in der
Originalverpackung
Der wahre Narzisst ist halt doch Autist:
selbstgenügsam, sich selbst genug, weil er seine Religion ist. Ein Single
also. Sein Spiegelbild ist ein Andachtsbild, vor dem er ergriffen und
voller Anteilnahme verharrt. In glückseliger Hingabe an die Süßigkeit des
Egos. (Weshalb es ein Akt der Höflichkeit ist, die Sonnenbrille nicht
abzunehmen, wenn man mit einem Narzissten spricht. Damit er sich in den
Gläsern spiegeln kann.) Marko Zink nimmt das Thema "Die Stillleben bei
mir daheim" (wie man's nennen könnte) zum Anlass, überall in seiner
Wohnung sich selbst zu begegnen: in den spiegelnden Oberflächen seines
Hausrats, der voller "Identifikationsobjekte" ist. Deshalb versinkt er
etwa in der Bestecklade wie Ovids Narziss in der Quelle. Und hat ein
Staubsauger nicht eh männliches Identifikationspotenzial? Na gut, sein
Schlauch inhaliert und er bestäubt nicht aus dem Staubsack heraus. So
gesehen, ein Hermaphrodit. Ein empfangendes Wesen mit maskuliner Anatomie
(die die traditionellen Hausfrauen über ihren P-Neid hinwegtrösten
sollte?). Aber der umgekippte Zuckerstreuer ist wirklich männlich. Und der
Mikrowellenherd, dieser "Brutkasten" fürs Essen? Zinks weibliche Seite?
Alles in allem ein gekonnt selbstverliebtes, allumfassendes Selbstporträt:
Zink und seine Privatsphäre. Auch ziemlich religiös (mysteriös
religiös) und im klassischen Schwarzweiß von Elfriede Mejchar: Feierliche
Fotos vom technischen Brimborium, das sie in imposant barocke Gebäude
eingeschleppt hat, um es um kleine Kunstobjekte herum aufzubauen und diese
für eine Aufnahme ins perfekte Licht zu rücken. Man hat den Eindruck, als
hätte sie nicht Schirme, sondern reines Licht aufgespannt und als hätten
sich die Reflexwände in gleißende Helligkeit aufgelöst. (Welchen
Aggregatzustand hat Licht eigentlich? Gar keinen mehr?) Die Kostbarkeit
des "eigentlichen" Objekts, eines Glases oder Reliefs, das irgendwo aus
dieser Aureole herauslugt, wirkt ins Unermessliche, fast Heilige
gesteigert. "Erweiterte Stillleben" nennt man am besten den Beitrag
von Christoph Premstaller, der einen kargen Raum da und dort mit den Gaben
aus der Obstabteilung "befruchtet" und wie die Stilllebenmaler Vitamine
arrangiert und das Ganze mit dem genauen Gegenteil, mit abstrakter Kunst,
sehr komplex durchmischt. Ein monochrom rotes Bild an der Wand: die Farbe
von zwei Kilo Tomaten? Der Uranfang der Serie: Nichts weiter als die
Vitamine A und C in der Originalverpackung (in einer Kakifrucht),
beiläufig in einer Fensternische. Als minimalistisches Früchtestillleben.
Ein Pars pro toto der exotischen, paradiesisch gesunden Ernährung.
Stillleben und Abstraktion auch bei Frederick Bell, der Stillleben von
Chardin im Louvre abfotografiert und sie einerseits abgekühlt, in kühlem
Schwarzweiß nachgestellt hat (Memento mori: Sei eingedenk der
Vergänglichkeit des Designs - Porzellankannen sind heute Thermosflaschen!)
und andererseits die Nachbarbilder ergänzt hat: als schwarze Umrisslinien
auf der Galeriewand. Die Abstraktion der üppigen Goldrahmen. Eine
konzeptuelle Spielerei.
Galerie V & V: Er mundet uns,
schmeckt uns aber nicht
Dentalkunststoff. Der Stoff, der im
oralsten Sinne des Wortes "mundet" und aus dem die Broschen von Petra
Zimmermann sind. Dramatische Momente aus Zeitungsfotos werden hier im
Glamour (Strass und Blattgold) ertränkt und in beschauliche
Oberflächlichkeit umgepolt. Etwa das Männliche, Allzumännliche: das
verbissene Duell zweier Fußballer um ihre Welt aus Leder. Ein wüstes
Beingemenge. Oder "emotionsgeladene" Motive wie die Saliera von Cellini
(der Wilfried Seipel immer noch nachtrauert, auch wenn das Trauerjahr
mittlerweile vorbei ist) und "offensiv passive" Damen (Pin-ups). Harmlos
dekorativ. Wie Schmuck eben ist. Und technisch raffiniert. Bis 2. Oktober
bei V & V (Bauernmarkt 19).
Galerie Lang: Das Phlegma liegt
im Doppelbett
Menschen ohne Zeitdruck im Wasser, ein
phlegmatisches Doppelbett, dem keine hyperaktiven, aufgeregten Leiber eine
Szene machen, eine Bettszene zum Beispiel: Die Zeit verstreicht langsam
bei Katja Praschak (bis 10. Oktober beim Lang, Seilerstätte 16), die
flüssig und mit reichen farblichen Tiefen malt. Gesichter kriegt sie halt
nicht so ganz hin. Nur gut, dass sie so selten bei ihr vorkommen.
Erschienen am: 17.09.2004 |
. |
![]()
Quer durch Galerien
Kunstsinnig
Große Rubens- Schau in der Albertina
Kunstsimmig
Quer durch Galerien
ICOM erstmals in Österreich
Gleichenfeier für "Rainer- Siedlung"
Quer durch Galerien
![]()
![]()
![](00062754-Dateien/theater.gif)
![]()
![](00062754-Dateien/literatur.gif)
![]()
![]()
![]()
|
. |