Salzburger Nachrichten am 19. Februar 2003 - Bereich: kultur
Der Schock der Verwandlungen

In der Berliner Akademie der Künste ist die erste große Werkretrospektive von Valie Export zu sehen

Anagramme: Das sind diese Geschichten, wo tief schürfende Geister feststellen, dass (durch Buchstabentausch) "Natur" und "Unart" irgendwie zusammen gehören und in jeder "Ästhetik" auch irgendwelcher "Käse" steckt. "Mediale Anagramme" sind dann also: Sinn- und Bedeutungsverschiebungen, Irritationen und Spekulationen durch die Medien und "ihre" Gesellschaft.

"Mediale Anagramme" heißt Valie Exports große Werkretrospektive. Ausrichter ist die Berliner Neue Gesellschaft für bildende Kunst; die Akademie der Künste hat ihr gesamtes Hauptgeschoss zur Verfü-gung gestellt, was verhindert, dass sich die einzelnen Objekte und Installationen gegenseitig die Luft nehmen.

Es sind rund gerechnet 100 Werke verschiedener Dimensionen, die gezeigt werden - manchmal als Einzelobjekte, öfter in der für Export charakteristischen Simultaneität verschiedener Vermittlungsformen. Da wird etwa das "Tapp- und Tastkino", mit dem sich die Künstlerin im wilden Jahr 1968 zwecks handgreiflicher Begutachtung ihrer Oberweite in eine Fuß-gängerzone begab, dreifach abgerufen: als Vorab-Projektbeschreibung und dann mit fotografierten Standbildern sowie einem Kurzfilm der Performance selbst. Dabei sind die einzelnen Arbeiten nicht chronologisch, sondern nach Themenkreisen geordnet.

Immer lassen die großräumigen Zusammenstellungen erfahren, mit welcher Konsequenz Valie Export über drei Jahrzehnte hinweg, sehr oft ihren eigenen Körper als Medium einsetzend, Grundfragen des heutigen Kommunizierens, seiner Sinngebung und -übertragung, durch surreale Verfremdungen zuspitzt.

Sei es, dass sie eine zusammen sitzende Familie mit dem Fernsehbildschirm so rückkoppelt, dass diese sich selbst und ihre Reaktionen beobachten kann ("Facing a Family"); sei es in ihrer "Schrei"-Installation, wo durch das Gegenschneiden verschiedener Ebenen (Frequenzkurven, hieroglyphische Zeichen, Einblicke in ihren eigenen Kehlkopf) ein Panorama der Sprachverhinderung entsteht; sei es in den immer wieder aufgegriffenen assoziativgeometrischen Entsprechungen zwischen Körper, Landschaft oder Stadtraum. Gerade beim Austesten und Ausbalancieren der Raumgefüge zwischen dem eigenen Körper und seiner Umgebung findet die Künstlerin oft auch harmonische, geradezu musikalische Lösungen.

Außerdem hat sich die leichthändige Aufmüpfigkeit der frühen Jahre in den jüngeren Arbeiten gewandelt. Wenn sie sich in "Violation - Schnitte" (1995/2000) mit menschenverachtenden weiblichen Beschneidungsriten auseinandersetzt, ist aus den manchmal schwer erträglichen Bild- und Schriftkompositionen alles Spielerische verschwunden; und unter dem Titel "Bilder der Berührungen" geht es nicht um Zärtlichkeiten, sondern um grausam zugerichtete Stromschlag-Leichen. Valie Exports Bildsprache ist härter, ihr Vokabular geradliniger geworden; geblieben ist die Fähigkeit, uns durch Verwandlungen zu schockieren oder mindestens zum Staunen zu bringen.

GERALD FELBER

Bis 9. März in der Akademie der Künste Berlin, täglich außer Mo. 11-20 Uhr. Katalog 24 Euro.