Salzburger Nachrichten am 25. September 2006 - Bereich:
Kultur
Macht braucht Kontrolle Macht, Wracks, Rock 'n'
Roll: Uraufführung von Fritz Katers Stück "Tanzen!" im "steirischen
herbst". Eine Soap Opera über den Kampf in der New-Economy-Welt.
MARTIN BEHR GRAZ (SN). Überwachungskameras, aus Pappe gebastelt, kontrollieren die
Schaltzentrale einer global agierenden Bio-Tech-Firma. Dies ist ebenso
ungewöhnlich wie der Catwalk im Büro, auf dem gebrüllt, geschwitzt,
erbrochen und geblutet wird. Der ganz normale Überlebenskampf im
neoliberalen Business-Krieg, niedergeschrieben von Fritz Kater im Stück
"Tanzen!", wird von Katers Alter Ego, dem Regisseur Armin Petras, durch
Improvisation und Ironie lustvoll gebrochen. Die "Industrial Soap Opera"
der deutschen Theaterhoffnung Kater/Petras wurde Freitagabend im
"steirischen herbst" uraufgeführt. "Tanzen!" betritt weder sprachlich noch thematisch Neuland, und die
Aufführung im Grazer Theater im Palais ist kein magischer Theaterabend.
Aber die Koproduktion mit dem Berliner Maxim Gorki Theater, dem Petras als
Intendant vorsteht, ist eine intensiv wahrnehmbare Begegnung mit neuer
deutscher Dramatik, die Gesellschaftskritik, Skurrilität, Witz und Rock
'n' Roll geschickt vereint. Fritz Kater verbindet in ebenso schnellen wie pointierten Dialogen die
Lebensfäden von "Sandra, 26, fit", "Inga, 35, und die sieht man" sowie
"Bernie, 44, Buster Keaton mit Brille". Das männliche,
schrullig-verklemmte Seelenwrack steht zwischen der raffinierten Körper-
und Gesinnungsverbiegerin Sandra und dem bedauernswerten
Rationalisierungsopfer Inga, die tief im Sumpf der Midlife-Crisis
steckt. Zwischen VIP-Lounge und dem hermetisch überwachten Office nähert sich
das emotionale Betriebsklima dem Gefrierpunkt, zwischen den ohnehin
actionreichen Szenen wühlen - via Lautsprecher - dröhnende Gitarren auf.
Regisseur Armin Petras plündert den extrovertierten Stilmittel-Fundus der
vergangenen Jahrzehnte und vertreibt die Langeweile mit einer blutreichen
Entmannung, Luftgitarren-Einlangen, Zeitlupengymnastik, einer süffisanten
Dia-Show oder melancholischen Duschszenen. Macht braucht Kontrolle: Die drei Figuren zappeln in dem aus
Effizienzdiktat, Dynamikzwang und Jugendwahn gesponnenen Netz, die anonyme
Obrigkeit ist über Verbote präsent. Beachtliches leisten die Akteure Yvon
Jansen, Nicolette Krebitz und Peter Moltzen. Das Trio beherrscht den
beklemmenden Sarkasmus, die laute Geste und das tragikomische Elend. |