Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte

Der Kuss des Marmeladenbrots

Im KunstHausWien lässt Albert Watson mit seinen perfekten Fotos die Kinnlade herunterklappen

"Red Corset"

(© Watson)

Von Claudia Aigner

Die hat gewiss das Talent der Prinzessin, die den Froschkönig erlöst hat. Eine unscheinbare, nackte Scheibe Brot müsste sie bloß innig abbusseln und es verwandelt sich in köstlichstes Frühstück. Denn die trägt ja fast ein ganzes Glas Erdbeermarmelade auf den Lippen. Oder ist sie so dick geschminkt, weil sie, umgekehrt, von einem Marmeladenbrot leidenschaftlich geküsst worden ist?

Vielleicht heißt sie ja Christl, die androgyne Maid, deren Dornenkrone sich plötzlich in einen schmerzensreichen Rosenkranz verwandelt (aus roten Rosen) und die sich in einer seltsamen ödipalen Situation befindet, nämlich Christus und Mater dolorosa in Personalunion sein dürfte. Und ihr Blut rinnt so appetitlich, als wäre es gesponsert von Darbo und hätte Himbeergeschmack.

Und würde es auch noch von einem Engel aufgefangen mit dem Hl. Gral und wäre das sakrale Gefäß einfach eine handelsübliche Flasche Fruchtsirup, dann wäre das wirklich ein Reklameplakat.

Makellose Fotos

Albert Watson (1942 in Edinburgh geboren), dessen beinhart makellose Fotos schon in Zeitschriften wie "Time", "Rolling Stone", "Vogue" oder "Harper’s Bazaar" erschienen sind, kommt ja aus der Werbung. Und die ist nichts anderes als das Zauberland Oz in Technicolor, aber ohne die böse Hexe des Westens und die böse Hexe des Ostens.

Und ob Watson (derzeit läuft im KunstHaus eine ansehnliche Retrospektive) nun Prominente oder deren markante Körperteile porträtiert (Filmstars, Models, den Stiernacken von Mike Tyson) oder Mick Jagger in eine Raubkatze verwandelt (nach dem Werwolf-Prinzip in einen "Werleoparden"), oder ob er die Weite der amerikanischen Landschaft, durchzogen von endlosen Highways, in geradezu religiöser Verklärung in Andachtsbildern festhält (dieses Land hätte zu Fuß ja keiner erobert), immer lebt er irgendwie in der heilen, antibakteriellen Welt. Wo keiner Schuppen hat, sondern immerwährende Spannkraft im Haar, und wo jedes Wimmerl gleich der Antichrist ist, der vom Erzengel Clearasil vertilgt werden muss. Ach ja: Und schon ein einziger Big Mac deckt den Tagesbedarf an allen lebenswichtigen Vitaminen.

Glanz ohne Kratzer

Jeder Zufall ist ausgemerzt. Watson, der von Geburt an, als wär’s ein ophthalmologisches (d. h. das Auge betreffende) Omen, auf einem Auge blind ist (und Fotografen sind ja alle während der Arbeit Zyklopen, müssen immer ein Auge zukneifen), ist offensichtlich einer jener Perfektionisten, die bis an die Zähne bewaffnet sind. Mit Farbfiltern und dergleichen Wunderwaffen.

Sprich: Die Ergebnisse sind zu schön, um real zu sein. Und so unwiderstehlich, dass man ein Knie beugen oder staunend die Kinnlade herunterklappen möchte. (Natürlich kann Watson so nicht einmal das Schäbige abgefuckt ausschauen lassen. Nichts ist abstoßend oder berührend.)

Vor der unnahbaren Latex-Amazone rutscht man bereits willenlos auf den Knien, die als dominante Hausfrau einen Kühlschrank feierlich wie einen Schrein öffnet, aus dem so mystisches Licht herauskommt, als würde man da drin die Erleuchtung aufbewahren. Oder das Nirwana.

Und obwohl Watson ein gebürtiger Schotte ist, also in den USA ein Zuagraster ist, sind seine Bilder extrem "amerikanisch", durchtränkt von allen Mythen der Neuen Welt.

Die Anbetung des Autos: Die wilden Reifenspuren im Sand – macht euch die Erde untertan – würden sich gut als Altarbild in einer Drive-in-Kirche eignen. Und die Verehrung der andern Heiligen: Wie die Jungfrau Maria bei ihrer Himmelfahrt ihre irdische Kleidung als Trost für die Gläubigen zurückgelassen hat, hat Elvis seinen Goldanzug dagelassen als Stärkung für seine Fans, als er ins himmlische Graceland entrückt wurde (von wo er wiederkehren wird, um die Welt von der Kakophonie zu erlösen. Dann wird er die schlechten Sänger mit seiner Gitarre k. o. schlagen).

Eine Nation in Waffen

Der Affe mit Revolver ist fabelhaft hinterfotzig. Um einen Colt abzufeuern, braucht man also nur 98 Prozent des menschlichen Erbguts. 2 Prozent unsers Genoms sind absolut friedfertig. Rügen muss ich Watson freilich für seine ständige ästhetizistische Verherrlichung des Zigarettenrauchs, den er zelebriert wie harmlosen Weihrauch.

Allein Keith Richards, der aussieht, als wäre er beim Casting für "Gorillas im Nebel", trägt einen Totenkopfring als Memento mori.

Albert Watson: frozen
KunstHausWien
Bis 29. Jänner, täglich von 10 bis 19 Uhr
Makellos wie ein unberührter Lippenstift.

Mittwoch, 21. Dezember 2005


Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at