Die hat gewiss das Talent der Prinzessin, die den
Froschkönig erlöst hat. Eine unscheinbare, nackte Scheibe Brot müsste sie
bloß innig abbusseln und es verwandelt sich in köstlichstes Frühstück.
Denn die trägt ja fast ein ganzes Glas Erdbeermarmelade auf den Lippen.
Oder ist sie so dick geschminkt, weil sie, umgekehrt, von einem
Marmeladenbrot leidenschaftlich geküsst worden ist?
Vielleicht heißt sie ja Christl, die androgyne Maid, deren Dornenkrone
sich plötzlich in einen schmerzensreichen Rosenkranz verwandelt (aus roten
Rosen) und die sich in einer seltsamen ödipalen Situation befindet,
nämlich Christus und Mater dolorosa in Personalunion sein dürfte. Und ihr
Blut rinnt so appetitlich, als wäre es gesponsert von Darbo und hätte
Himbeergeschmack.
Und würde es auch noch von einem Engel aufgefangen mit dem Hl. Gral und
wäre das sakrale Gefäß einfach eine handelsübliche Flasche Fruchtsirup,
dann wäre das wirklich ein Reklameplakat.
Makellose Fotos
Albert Watson (1942 in Edinburgh geboren), dessen beinhart makellose
Fotos schon in Zeitschriften wie "Time", "Rolling Stone", "Vogue" oder
"Harper’s Bazaar" erschienen sind, kommt ja aus der Werbung. Und
die ist nichts anderes als das Zauberland Oz in Technicolor, aber ohne die
böse Hexe des Westens und die böse Hexe des Ostens.
Und ob Watson (derzeit läuft im KunstHaus eine ansehnliche
Retrospektive) nun Prominente oder deren markante Körperteile porträtiert
(Filmstars, Models, den Stiernacken von Mike Tyson) oder Mick Jagger in
eine Raubkatze verwandelt (nach dem Werwolf-Prinzip in einen
"Werleoparden"), oder ob er die Weite der amerikanischen Landschaft,
durchzogen von endlosen Highways, in geradezu religiöser Verklärung in
Andachtsbildern festhält (dieses Land hätte zu Fuß ja keiner erobert),
immer lebt er irgendwie in der heilen, antibakteriellen Welt. Wo keiner
Schuppen hat, sondern immerwährende Spannkraft im Haar, und wo jedes
Wimmerl gleich der Antichrist ist, der vom Erzengel Clearasil vertilgt
werden muss. Ach ja: Und schon ein einziger Big Mac deckt den Tagesbedarf
an allen lebenswichtigen Vitaminen.
Glanz ohne Kratzer
Jeder Zufall ist ausgemerzt. Watson, der von Geburt an, als wär’s ein
ophthalmologisches (d. h. das Auge betreffende) Omen, auf einem Auge blind
ist (und Fotografen sind ja alle während der Arbeit Zyklopen, müssen immer
ein Auge zukneifen), ist offensichtlich einer jener Perfektionisten, die
bis an die Zähne bewaffnet sind. Mit Farbfiltern und dergleichen
Wunderwaffen.
Sprich: Die Ergebnisse sind zu schön, um real zu sein. Und so
unwiderstehlich, dass man ein Knie beugen oder staunend die Kinnlade
herunterklappen möchte. (Natürlich kann Watson so nicht einmal das
Schäbige abgefuckt ausschauen lassen. Nichts ist abstoßend oder
berührend.)
Vor der unnahbaren Latex-Amazone rutscht man bereits willenlos auf den
Knien, die als dominante Hausfrau einen Kühlschrank feierlich wie einen
Schrein öffnet, aus dem so mystisches Licht herauskommt, als würde man da
drin die Erleuchtung aufbewahren. Oder das Nirwana.
Und obwohl Watson ein gebürtiger Schotte ist, also in den USA ein
Zuagraster ist, sind seine Bilder extrem "amerikanisch", durchtränkt von
allen Mythen der Neuen Welt.
Die Anbetung des Autos: Die wilden Reifenspuren im Sand – macht euch
die Erde untertan – würden sich gut als Altarbild in einer Drive-in-Kirche
eignen. Und die Verehrung der andern Heiligen: Wie die Jungfrau Maria bei
ihrer Himmelfahrt ihre irdische Kleidung als Trost für die Gläubigen
zurückgelassen hat, hat Elvis seinen Goldanzug dagelassen als Stärkung für
seine Fans, als er ins himmlische Graceland entrückt wurde (von wo er
wiederkehren wird, um die Welt von der Kakophonie zu erlösen. Dann wird er
die schlechten Sänger mit seiner Gitarre k. o. schlagen).
Eine Nation in Waffen
Der Affe mit Revolver ist fabelhaft hinterfotzig. Um einen Colt
abzufeuern, braucht man also nur 98 Prozent des menschlichen Erbguts. 2
Prozent unsers Genoms sind absolut friedfertig. Rügen muss ich Watson
freilich für seine ständige ästhetizistische Verherrlichung des
Zigarettenrauchs, den er zelebriert wie harmlosen Weihrauch.
Allein Keith Richards, der aussieht, als wäre er beim Casting für
"Gorillas im Nebel", trägt einen Totenkopfring als Memento mori.
Albert Watson: frozen
KunstHausWien
Bis 29. Jänner,
täglich von 10 bis 19 Uhr
Makellos wie ein unberührter Lippenstift.
Mittwoch, 21. Dezember
2005