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10.05.2002 - Ausstellung
Summer in the cities
Wer meint, Sommerzeit heisst Sommerloch, irrt – jedenfalls was die Aktivitäten der österreichischen Ausstellungshäuser betrifft. Und die Zeiten, da die Provinz provinziell war, sind auch längst vorbei – wie unsere Anleitung zum sommerlichen Kunstgenuss z
von Johanna Hofleitner


Sommerzeit ist Reisezeit

Wer ein wahrer Kunstfreund ist, sollte daher schon bald sein Ränzlein schnüren, die Sandalen aus der Versenkung holen und bei der Bahn auch gleich noch Auskünfte einholen über Kilometerbanken oder überregionale Netzkarten, die idealerweise drei Monate gültig sein sollten. Denn mit der an Österreicher-Beteiligungen beschämend mageren documenta 11 sollte Ihr Kunsthunger doch nicht gestillt sein. Kunsttrampen ist angesagt! Heuer geht’s kreuz und quer durch Österreich, wobei der Westen wieder besonders aufzeigt und eine reiche Palette hochkarätiger Ausstellungen bereithält.

Die Qualität zieht sich bis in die kleinsten Winkel. Wer (außer Insidern) hätte bespielsweise gedacht, daß das Tiroler Städtchen Schwaz in seiner Stadtgalerie kontinuierlich eine wohlüberlegte Auswahl der spannendsten Positionen zeitgenössischer Kunst bringt?

Da läßt sich noch im Vorsommer gedeihlich über das Verhältnis Film/Video/Kunst reflektieren – anhand einer Ausstellung des Hamburger Künstlers Christian Jankowski. Für seine Videoarbeit „Rosa“ verschränkte er den – wegen Product-Placement übrigens heftig diskutierten – Kinofilm „Viktor Vogel – Commercial Man“ von Lars Kraume mit zwei Kunstaktionen, wobei er Schauspieler ganz laut und ungeniert über Kunst sinnieren läßt: Götz George etwa, der sich die Frage nach den Grenzen der Darstellbarkeit bildender Kunst griff, oder Johanne Halem, die ihren Begriff von Schönheit in der bildenden Kunst definierte. Ab Mitte Juni folgt dann ein umfangreicher – und bisher unveröffentlichter – Werkblock des preisgekrönten russischen Photographen Boris Mikhailov, der im Westen vor allem mit Photos des Perestroika-Rußlands bekannt wurde. „Ich versuche, in dieser neuen Medienwelt photographische Motive zu finden“, sagt er über seine neue Arbeit „TV-Mania“.

Russische Kunst

(c) Amando Marino

Mikhailov bietet sich gut als Einstieg für eine Recherche zur russischen Gegenwartskunst an. Da arbeitet etwa Ilya Kabakov, zur Zeit wohl prominentester russischer Exilkünstler und beliebter Vortragender an der Salzburger Sommerakademie, zusammen mit seiner Frau Emilia an seiner Biennale-Arbeit „Not everyone will be taken into the future“ fort.

Die Resultate sind an verschiedenen Orten in Österreich zu sehen: und zwar in Form eines Bilder- und Zeichnungsblocks im Salzburger Traklhaus, und als Weiterführung der Venedig-Installation im MAK-Gefechtsturm in Wien – was wiederum eine schöne Ergänzung zur großen Sommerausstellung des MAK ist. Unter dem Titel „Davaj!“ widmet diese sich den allerneuesten Tendenzen und Entwicklungen der russischen Kunstszene, nicht nur in den Metropolen Moskau und Petersburg, sondern ganz besonders auch in den anderen Teilen der Russischen Föderation.
Wem Rußland nicht östlich genug ist, der muß allerdings gen Westen ziehen – nach Innsbruck nämlich, wo der Kunstraum unter dem Titel „Weiche Brüche“ sechs ausgewählte Positionen japanischer Kunst zeigt – und damit einen Japanschwerpunkt einleitet, in den im Herbst auch die Galerie im Taxispalais und die Galerie der Stadt Schwaz einsteigen werden.

Und wem das immer noch zu wenig Welt ist, sollte die Doppelausstellung „Der globale Komplex“, ein Gemeinschaftsprojekt von O.K. Centrum für Gegenwartskunst OÖ und Grazer Kunstverein, nicht versäumen. An beiden Orten, aber mit unterschiedlicher Künstlerbeteiligung, werden „Problemstellungen globaler Strategien aus dem Blickwinkel der Kunst hinterfragt“ (Graz) und „ausschnitthaft einzelne Aspekte einer zeitgemäßen Wahrnehmung von Welt“ (Linz) präsentiert.

Österreichische Positionen

Wozu in die Ferne schweifen, fragen Sie? Nun ja, welthaltig ist auf jeden Fall auch der Fokus auf die österreichische Kunst. Einen interessanten – quasi selbstreflexiven – Ansatz verfolgt hierbei die Innsbrucker Taxispalais-Galerie: Mit „Strukturen/Referenzsystemen/Algorithmen“ spürt sie anhand einer Auswahl österreichischer Künstler verschiedener Generationen der Frage nach, wie sehr die Konzeptkünstler Heinz Gappmayr und Georg Decristel, die beide seit den 60er- Jahren das diskursive Umfeld Tirols mitprägten, jüngere Generationen beeinflußt haben. Ein Tiroler bespielt übrigens auch im Sommer den Salzburger Kunstverein: „Clips of Slips“ nennt Martin Walde seine große Werkserie rund um merkwürdige Ereignisse im öffentlichen Raum.

Apropos Salzburg: Die Stadt steht natürlich auch diesmal ganz im Zeichen der Festspiele. Sogar die Wiener Galerien verlegen deshalb ihren Standort schon seit Jahren zumindest für einen Monat in die Mozartstadt. Selbstredend, daß sich auch das Rupertinum als Landesmuseum von seiner Schokoladenseite zeigt: Die Hauptausstellung ist dem französischen Avantgardekünstler Fernand Léger gewidmet. Mindestens ebenso spannend versprechen schon im Vorfeld die Präsentationen des Photoklassikers August Sanders (1876–1964) und des Dadaisten und Magischen Realisten Christian Schad (1894–1982) zu werden.

Madame Yevonde | (c) Kunsthalle

Und dann ist die Frage: Was nun? Bregenz oder Wien? Wir empfehlen beides. In Bregenz hat das KUB eine Personale der immer wieder wunderbaren Louise Bourgeois angekündigt. Und in Wien findet mit der Wiedereröffnung des MUMOK eine unendliche Geschichte ihr (hoffentlich) gutes Ende: Zum Einstand lenkt Direktor Edelbert Köb den „Fokus 1“ auf gesellschafts- und realitätsbezogene sowie performative Kunst der 60er und 70er-Jahre aus den Beständen. Diesen Überblick ergänzen ganz wunderbar zwei zeitgleich in Wien stattfindende Personalen: einmal die Retrospektive „Seit 1965“ der amerikanischen Konzeptkünstlerin Adrian Piper. Und zum zweiten „Bank Job“, eine ironische Intervention des kalifornischen Künstlers Richard Jackson, dessen vorrangiges Interesse seit jeher, wie auch bei Künstlern wie Bruce Nauman oder Richard Tuttle, dem Entstehungsprozeß des Kunstwerkes und nicht seinem Objektcharakter gilt.

Österreich

Architekturzentrum Wien: Walter Pichler, „Das Haus neben der Schmiede“, 16. 5.–29. 7.
Bawag Foundation Wien: Richard Jackson, „Bank Job“, bis 30. 6.
Galerie der Stadt Schwaz: Christian Jankowski, „Rosa“, 18. 5.–8. 6.; Boris Mikhailov, „TV-Mania“, 15. 6.–27. 7.
Galerie im Taxispalais, Innsbruck: „Variable Stücke. Strukturen, Referenzen, Algorithmen“, 5. 6.–11. 8., „The Baltic Times“, bis 25. Mai
Galerie im Traklhaus, Salzburg: Ingeborg Lüscher, „Fusion“; 23. 7.–17. 8.; „8 di Segno“; 5. 7.–3. 8.; Ilya und Emilia Kabakov; 8. 8.–14. 9.
Generali Foundation, Wien: Adrian Piper, „Seit 1965“, 17. 5.–18. 8.
Grazer Kunstverein, Graz: „Continental drift“,  5. 6.–7. 7.
Gut Gasteil: Christian Ludwig Attersee, 6. 7.–1. 9.; Peter Bischof und Lore Heuermann,
„In Bewegung“, bis 30. 6. (=Jahresthema 2002: „So oder so ist das Leben“)
KUB, Kunsthaus Bregenz: Louise Bourgeois; 6. 7.–8. 9.
Kunsthalle Wien: „Tableaux Vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video“, 24.5.–25.8.; „Kapital  & Karma“, bis 9.6.
KunstHausWien: David LaChapelle, „Photographs“, 6. 6.–22. 9
Kunsthaus Mürz, Mürzzuschlag: : „Mega: Manifeste der Anmaßung. Syndrom Babylon und die moderne Architektur“, bis 4. 8.
Kunstraum Innsbruck: Weiche Brüche. Japan ab 29. 6.
MAK, Wien: „Davaj! Aus dem Laboratorium der freien Künste in Rußland“; 19. 6.–22. 9., Richard Artschwager, „The Hydraulic Door Check. Skulptur, Malerei, Zeichnung“, bis 16. 6.
Mumok, Wien: „Fokus 1. Rebellion. Aufbruch in der Kunst der 60er Jahre. Wiener Aktionismus – Fluxus – Nouveau Réalisme – Pop Art“, 20. 6.–Juni 2003
Neue Galerie der Stadt Linz: Christian Skrein, „Die Wiener Kunstszene in den 60er Jahren. Fotografien“, und Richard Peter Schmid, „Linzer Klangwolke. Gemälde“, 16. 5.–16. 6.
Offenes Kulturhaus, Linz: : „Der globale Komplex“,  29. 5.–14. 7.
Porschehof, Salzburg: Anna Jermolaewa, bis Ende Juni
Rupertinum, Salzburg: : Christian Schad, „Die Magie des Realen. Bilder, Zeichnungen, Aquarelle, Graphik und Schadographien“, 9. 5.–7. 7., August Sander, „Menschen des 20. Jahrhunderts“, 26. 5.–21. 7.; Joannis Avramidis, „Zum 80. Geburtstag“, 6. 7.–29. 9.; Fernand Léger, „L’Esprit Moderne“, 27. 7.–20. 10.
Salzburger Kunstverein: Martin Walde, „Clips of Slips“, 13. 6.–28. 7.
Secession, Wien: Rirkrit Tiravanija, Ines Doujak, beide 4. 7.–1. 9.; Ayse Erkmen; Trina Robbins, „She Draws Comics“; beide bis 23. 6.
Soho in Ottakring, Wien: „Flüchtig Daheim“; 25. 5.–8. 6.
Technisches Museum, Wien: Margherita Spiluttini, „Nach der Natur. Konstruktionen der Landschaft. Fotografien“, bis 22. 9.
Wiener Festwochen: „Galerierundgang“, 8. 6.



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