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15.12.2006 - Kultur&Medien / Kultur News
Kunstlicht: Kunst muss nicht mehr ewig halten
ALMUTH SPIEGLER

Wie direkt darf sie denn sein, die Kunst heute? So direkt, wie Carsten Höller sie betreibt, wenn er die Leute auf Riesenrutschen durch die Turbinenhalle der Tate Modern in London jagt? So direkt, wie Erwin Wurms Haus, das er auf das Dach des Museums moderner Kunst krachen ließ? Regelrechte Menschenmassen stürmen jetzt diese Ausstellung mit ihren Mega-Erdäpfeln und fetten Autos. Und um in London durch die Röhren zu flutschen, muss man sich lange anstellen.

Wenn Sie jetzt ein elitäres Naserümpfen juckt - lassen Sie's. Der Ton macht die Musik. Das Umfeld heute die Kunst. Seit 1914 könnten wir das akzeptiert haben - seit Marcel Duchamp einen Flaschentrockner kaufte und ihn signiert ins Museum stellte. Dementsprechend absurd wirken natürlich auch manche Installationen, wenn sie anderswo auftauchen. So kann man sich etwa schwer zwischen Lachen und Weinen entscheiden, entdeckt man die einst so effektvolle Schatten-Skulptur wieder, die Markus Wilfling 2003 dem Grazer Uhrturm verpasst hat. Sie steht vor der Shopping City Seiersberg.

Ein ähnliches Schicksal erfährt jetzt ein anderes Kulturhauptstadt-Relikt: Richard Kriesches gläserner Lift, der Pantoffel-Himmelsstürmer seit drei Jahren auf Augenhöhe der Marienstatue vor dem Eisernen Tor hievt. Gestern wurde er an die Stadtwerke Hartberg verkauft. Neuer Standort: der örtliche Ökopark. Verständlich, dass der Künstler sich da kränkt.

Andererseits - was soll's? Die Aktion ist gut dokumentiert, der Reiz hat sich erschöpft. Weg damit. Was fordert der deutsche Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich so schön frech? "Tiefer hängen!" Kunst ist heute kein absolutes Heiligtum mehr und muss nicht ewig währen. Das erschließt neue Möglichkeiten. Und ist irgendwie auch ziemlich erleichternd.

almuth.spiegler@diepresse.com

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