Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik   Kultur   Wirtschaft   Computer   Wissen   extra   Panorama   Wien   English   2005   MyAbo 
  Oper     Konzert     Musik     Theater     Film     Kunst    Literatur     Medien  

Quer durch Galerien

Ein Terrarium für Staubmilben?

Auf dem Tischtuch gibt sich Herr Wolff statt der Jausenfolklore seinen

Auf dem Tischtuch gibt sich Herr Wolff statt der Jausenfolklore seinen "Fantasien totaler Selbstpräsenz" hin. Manuel Gorkiewicz

Von Claudia Aigner
"Ich würde behaupten, dass das bei den meisten Menschen gleich aussieht." Was genau meint der Alexander Wolff denn? Welche menschliche Universalie? Das Zäpfchen, mit dem der Gaumen wedelt und das sich nicht drum kümmert, ob der Gaumen einem Männchen oder Weibchen gehört, und das ein zu Unrecht unterschätzter Repräsentant der Unisex-Anatomie ist? Nein. Die kleine Gemeinsamkeit der Geschlechter ist vielmehr das, was sie auf der Kehrichtschaufel haben, wenn sie den Besen auf ihren Haushalt hetzen: der Hausstaub.

Wie bitte? Gut, ob die Zäpfchen, die am Ende aller Gaumensegel vor sich hin zucken, auf diesem Planeten alle gleich sind (wegen dem Gleichheitsgrundsatz), das können sowieso nur die Zahnärzte entscheiden. Denn keiner sieht in seinem Leben so viele von diesen rosaroten Dingern wie sie, zumal jeder, der mit den Dentisten zu tun hat, sofort sein Zäpfchen vor ihnen entblößen muss, also den Mund aufreißen und mindestens so lange sperrangelweit offen lassen muss, wie der Zahnarzt braucht, um fünfmal hintereinander die Rachearie der Königin der Nacht im Kariesmund zu dirigieren (mit dem Dirigentenstaberl: dem Bohrer), und wie der Patient braucht, um die dazugehörenden Koloraturen zu singen.

Aber der Kehricht? Na ich weiß nicht. Der ist doch sehr persönlich. An dem kann man praktisch den ganzen Lebenswandel ablesen: die Tischmanieren und die Frühstücksgewohnheiten.

Und der Alexander Wolff, der diese autobiografische Substanz gewissenhaft in Gläsern sammelt, aber nicht einfach seinen Staubsauger ausbeutelt (das Haushaltsgerät mit der professionellen Staublunge), sondern den Staub und den anderen Kleinschmutz noch manuell (mit dem Besen, also "unplugged") vom Boden aufhebt, dürfte Anrainer einer Sandkiste sein, in der wenigstens einmal am Tag ein Sandsturm wütet, oder er lässt die Ballaststoffe aus seinem Essen allesamt zu Boden fallen. Soll heißen: Sein Staub ist bröseliger als meiner.

Und sind seine Staubvorratsbehälter Terrarien, in denen er seine mikroskopischen Haustiere (die Staubmilben) aufbewahrt und wo er dreimal täglich den Deckel aufschraubt und seine Haarschuppen hineinrieseln lässt, um die unauffälligen Hausgenossen zu füttern? Nein, er leimt den Staub selbstverständlich künstlerisch auf die eine oder andere Leinwand. In exakten Formationen. Vielleicht eine Form von Narzissmus (der wiederum eine Form von Absolutismus ist). Nicht einmal seinen Kehricht haut er also weg, in dem er ja auch irgendwie drin ist, in den er ja eventuell ein paar Brotkrümeln aus seinen Mundwinkeln hat einfließen lassen.

Mezzanin: Er würde glatt den Teppich absorbieren

Er hat eben (und er nennt seine Ausstellung im Mezzanin, Karl-Schweighofer-Gasse 12, bis 30. April, sicher nicht rein zufällig so) "Fantasien totaler Selbstpräsenz". Solche Fantasien haben die Hunde womöglich auch, wenn sie nach und nach die ganze Welt signieren. Und solche Fantasien überkommen unsereins regelmäßig am stillen Örtchen, einer Art Selbstbedienungsbeichtstuhl, dem wir unser Innerstes preisgeben und unsere Essenssünden beichten und sie dort gleich abbüßen und runterspülen. In solchen Momenten sind wir total selbstpräsent. Alexander Wolff ist es freilich bereits, wenn er eine klassisch gemusterte Tischdecke (ein Requisit der Jausenfolklore und quasi die Grundierung fürs leibhaftige Essensstillleben) wie eine Leinwand aufspannt und mit noch mehr Volkstümlichkeit bemalt und "bekitscht".

Den Dingen gegenüber, die in seiner Reichweite herumliegen, ist er halt sehr aufgeschlossen. Wenn man ihn zu Besuch erwartet, muss man deshalb aufpassen: Er wäre imstande und absorbiert den Teppichboden. Weil er gern alles aus seiner Umgebung aufnimmt und verarbeitet (andere sagen dazu: Verdauung). So etwas wie ein Stoffwechselvorgang. So hat er Jeff Bridges zwar nicht das Hemd vom Leib, aber immerhin das Muster vom Hemd gerissen, es nämlich abgezeichnet, aber nur das Muster, ohne Jeff, von jenem Hemd, das dieser im Film "The Last Picture Show" getragen hat. Das Bild heißt jetzt "Welt ohne Zentrum" und das texanische Kleinstadtleben und der Koreakrieg ist dem banalen Hemdmuster wurscht.

Und das Parkettbodendesign der Galerie zitiert der Wolff "natürlich" auch. Titel: "Jargon der Eigentlichkeit". Das passt ja zur pathetischen Bodenständigkeit eines Holzbodens, oder? Und hat das nicht eigentlich der Adorno über das Idiom vom Heidegger gesagt? Mein Verstand hat wegen der hochtrabend nebulosen, ambitioniert niveauvollen Bildtitel viele Purzelbäume schlagen müssen und mein Hirn, das einfach nicht für so viel Philosophie gebaut ist, hat jetzt einen Hexenschuss und einen Muskelkater.

Aus Selbstschutz (denn irgendwann hab’ ich dann sogar den Adorno bei mir daheim in meinem Holzboden gesucht wie einen Holzwurm, aber nur den Heidegger gefunden, der irgendetwas zu mir sagte, irgendwas Eigentliches, und schließlich hat mir auch noch mein herzerlgemustertes Geschirr erklärt, es hätte ein "Trauma der Signifikation", weshalb es mir ab sofort nicht mehr als Essensunterlage zur Verfügung stünde) komme ich zu dem Schluss, dass zwischen den strengen abstrakten Bildern und den intellektuellen Titeln nicht der geringste Zusammenhang besteht. Ach, ist das die so genannte Ironie, und bei den gebildeten Leuten zieht nun die linke Gehirnhälfte, die die einzige ist, die sich zerkugelt, bloß den rechten Mundwinkel hoch, zumal sie für die rechte Körperhälfte zuständig ist? Und wer hier mit beiden Mundwinkeln lächelt, outet sich als unwissender Mitläufer? Warum aber der Wolff überall diesen wilden, gestischen Bodenbelag verlegt hat (aus Brettern, Fetzen und Kartonstücken, die er im Hinterhof vom Mezzanin gefunden hat), das zu ergründen, bin ich wirklich zu erschöpft.

Artefakt: Abstrakt bis zur suggestiven Kenntlichkeit

Viktoria Popova ist eine Malerin, die mit der Buntheit umzugehen weiß. Diese Popova ist leider nicht im Artefakt (Strauchgasse 2, bis 24. April) anwesend. Die schaut höchstens mit ihrem Farbgefühl schüchtern aus den abstrakten Farbfotos heraus. Die Digitalkamera hat sie dabei auf unspektakuläre Details aus ihrem Alltag gerichtet (ihr zerknautschtes Bett, die aufgehängte Wäsche, ein verwelkendes Blatt), aber unscharf gestellt bis zur suggestiven Unkenntlichkeit, die sie dann daneben in einer Zeichnung wieder in den Realismus rückübersetzt hat. Von der Idee her hätte es ein spannender Dialog werden können. Und als Kommentar zu den Fotos sind die Zeichnungen ja in Ordnung. Aber sie haben einfach keine wirkliche Persönlichkeit, lassen sich keine rechte Lust an der Linie anmerken, wirken geradezu verklemmt. Schade eigentlich.

Freitag, 15. April 2005

Aktuelle Berichte:

"Glücklicher Start gelungen"
Positive Bilanz nach erster "viennAfair"-Kunstmesse
Ausstellungen vom 23. bis 29. April
Das schwarze Stimmband
Kunstsinnig
Wildert eure Pelzmäntel aus!
Quer durch Galerien
Mit Blick nach Südosteuropa
Die neue Kunstmesse viennAfair bis 24. April
Dreigeteilte Auszeichnung
Steirischer Architekturpreis nach Wien, Graz, London
Agonie im Callcenter
Kunstsinnig
Kein Geld für Ausbau-Gelüste
Freud-Museum stellt Pläne für Freud-Jahr 2006 vor
Ein Terrarium für Staubmilben?
Quer durch Galerien
Der Farbglanz des Bedeutungslosen
Albertina/Säulenhalle: "Los Alamos", von William Eggleston, bis 24. April

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum