Quer durch Galerien
Ein Terrarium für Staubmilben?
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Auf
dem Tischtuch gibt sich Herr Wolff statt der
Jausenfolklore seinen "Fantasien totaler Selbstpräsenz"
hin. Manuel Gorkiewicz
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Von Claudia
Aigner
"Ich würde behaupten, dass das bei den
meisten Menschen gleich aussieht." Was genau meint der
Alexander Wolff denn? Welche menschliche Universalie? Das
Zäpfchen, mit dem der Gaumen wedelt und das sich nicht drum
kümmert, ob der Gaumen einem Männchen oder Weibchen gehört,
und das ein zu Unrecht unterschätzter Repräsentant der
Unisex-Anatomie ist? Nein. Die kleine Gemeinsamkeit der
Geschlechter ist vielmehr das, was sie auf der
Kehrichtschaufel haben, wenn sie den Besen auf ihren Haushalt
hetzen: der Hausstaub.
Wie bitte? Gut, ob die Zäpfchen, die am Ende aller
Gaumensegel vor sich hin zucken, auf diesem Planeten alle
gleich sind (wegen dem Gleichheitsgrundsatz), das können
sowieso nur die Zahnärzte entscheiden. Denn keiner sieht in
seinem Leben so viele von diesen rosaroten Dingern wie sie,
zumal jeder, der mit den Dentisten zu tun hat, sofort sein
Zäpfchen vor ihnen entblößen muss, also den Mund aufreißen und
mindestens so lange sperrangelweit offen lassen muss, wie der
Zahnarzt braucht, um fünfmal hintereinander die Rachearie der
Königin der Nacht im Kariesmund zu dirigieren (mit dem
Dirigentenstaberl: dem Bohrer), und wie der Patient braucht,
um die dazugehörenden Koloraturen zu singen.
Aber der Kehricht? Na ich weiß nicht. Der ist doch sehr
persönlich. An dem kann man praktisch den ganzen Lebenswandel
ablesen: die Tischmanieren und die Frühstücksgewohnheiten.
Und der Alexander Wolff, der diese autobiografische
Substanz gewissenhaft in Gläsern sammelt, aber nicht einfach
seinen Staubsauger ausbeutelt (das Haushaltsgerät mit der
professionellen Staublunge), sondern den Staub und den anderen
Kleinschmutz noch manuell (mit dem Besen, also "unplugged")
vom Boden aufhebt, dürfte Anrainer einer Sandkiste sein, in
der wenigstens einmal am Tag ein Sandsturm wütet, oder er
lässt die Ballaststoffe aus seinem Essen allesamt zu Boden
fallen. Soll heißen: Sein Staub ist bröseliger als meiner.
Und sind seine Staubvorratsbehälter Terrarien, in denen er
seine mikroskopischen Haustiere (die Staubmilben) aufbewahrt
und wo er dreimal täglich den Deckel aufschraubt und seine
Haarschuppen hineinrieseln lässt, um die unauffälligen
Hausgenossen zu füttern? Nein, er leimt den Staub
selbstverständlich künstlerisch auf die eine oder andere
Leinwand. In exakten Formationen. Vielleicht eine Form von
Narzissmus (der wiederum eine Form von Absolutismus ist).
Nicht einmal seinen Kehricht haut er also weg, in dem er ja
auch irgendwie drin ist, in den er ja eventuell ein paar
Brotkrümeln aus seinen Mundwinkeln hat einfließen lassen.
Mezzanin: Er würde glatt den Teppich absorbieren
Er hat eben (und er nennt seine Ausstellung im Mezzanin,
Karl-Schweighofer-Gasse 12, bis 30. April, sicher nicht rein
zufällig so) "Fantasien totaler Selbstpräsenz". Solche
Fantasien haben die Hunde womöglich auch, wenn sie nach und
nach die ganze Welt signieren. Und solche Fantasien überkommen
unsereins regelmäßig am stillen Örtchen, einer Art
Selbstbedienungsbeichtstuhl, dem wir unser Innerstes
preisgeben und unsere Essenssünden beichten und sie dort
gleich abbüßen und runterspülen. In solchen Momenten sind wir
total selbstpräsent. Alexander Wolff ist es freilich bereits,
wenn er eine klassisch gemusterte Tischdecke (ein Requisit der
Jausenfolklore und quasi die Grundierung fürs leibhaftige
Essensstillleben) wie eine Leinwand aufspannt und mit noch
mehr Volkstümlichkeit bemalt und "bekitscht".
Den Dingen gegenüber, die in seiner Reichweite herumliegen,
ist er halt sehr aufgeschlossen. Wenn man ihn zu Besuch
erwartet, muss man deshalb aufpassen: Er wäre imstande und
absorbiert den Teppichboden. Weil er gern alles aus seiner
Umgebung aufnimmt und verarbeitet (andere sagen dazu:
Verdauung). So etwas wie ein Stoffwechselvorgang. So hat er
Jeff Bridges zwar nicht das Hemd vom Leib, aber immerhin das
Muster vom Hemd gerissen, es nämlich abgezeichnet, aber nur
das Muster, ohne Jeff, von jenem Hemd, das dieser im Film "The
Last Picture Show" getragen hat. Das Bild heißt jetzt "Welt
ohne Zentrum" und das texanische Kleinstadtleben und der
Koreakrieg ist dem banalen Hemdmuster wurscht.
Und das Parkettbodendesign der Galerie zitiert der Wolff
"natürlich" auch. Titel: "Jargon der Eigentlichkeit". Das
passt ja zur pathetischen Bodenständigkeit eines Holzbodens,
oder? Und hat das nicht eigentlich der Adorno über das Idiom
vom Heidegger gesagt? Mein Verstand hat wegen der hochtrabend
nebulosen, ambitioniert niveauvollen Bildtitel viele
Purzelbäume schlagen müssen und mein Hirn, das einfach nicht
für so viel Philosophie gebaut ist, hat jetzt einen
Hexenschuss und einen Muskelkater.
Aus Selbstschutz (denn irgendwann hab’ ich dann sogar den
Adorno bei mir daheim in meinem Holzboden gesucht wie einen
Holzwurm, aber nur den Heidegger gefunden, der irgendetwas zu
mir sagte, irgendwas Eigentliches, und schließlich hat mir
auch noch mein herzerlgemustertes Geschirr erklärt, es hätte
ein "Trauma der Signifikation", weshalb es mir ab sofort nicht
mehr als Essensunterlage zur Verfügung stünde) komme ich zu
dem Schluss, dass zwischen den strengen abstrakten Bildern und
den intellektuellen Titeln nicht der geringste Zusammenhang
besteht. Ach, ist das die so genannte Ironie, und bei den
gebildeten Leuten zieht nun die linke Gehirnhälfte, die die
einzige ist, die sich zerkugelt, bloß den rechten Mundwinkel
hoch, zumal sie für die rechte Körperhälfte zuständig ist? Und
wer hier mit beiden Mundwinkeln lächelt, outet sich als
unwissender Mitläufer? Warum aber der Wolff überall diesen
wilden, gestischen Bodenbelag verlegt hat (aus Brettern,
Fetzen und Kartonstücken, die er im Hinterhof vom Mezzanin
gefunden hat), das zu ergründen, bin ich wirklich zu
erschöpft.
Artefakt: Abstrakt bis zur suggestiven Kenntlichkeit
Viktoria Popova ist eine Malerin, die mit der Buntheit
umzugehen weiß. Diese Popova ist leider nicht im Artefakt
(Strauchgasse 2, bis 24. April) anwesend. Die schaut höchstens
mit ihrem Farbgefühl schüchtern aus den abstrakten Farbfotos
heraus. Die Digitalkamera hat sie dabei auf unspektakuläre
Details aus ihrem Alltag gerichtet (ihr zerknautschtes Bett,
die aufgehängte Wäsche, ein verwelkendes Blatt), aber unscharf
gestellt bis zur suggestiven Unkenntlichkeit, die sie dann
daneben in einer Zeichnung wieder in den Realismus
rückübersetzt hat. Von der Idee her hätte es ein spannender
Dialog werden können. Und als Kommentar zu den Fotos sind die
Zeichnungen ja in Ordnung. Aber sie haben einfach keine
wirkliche Persönlichkeit, lassen sich keine rechte Lust an der
Linie anmerken, wirken geradezu verklemmt. Schade
eigentlich.
Freitag, 15. April
2005