25.11.2002 18:47
Geborgen in Untiefen
Das
Kunsthistorische Museum zeigt Paul Floras Zeichnungen im Palais Harrach
Wien - Er ist ungemein beliebt, Ehrenbürger nicht nur beider
Hälften des geteilten heiligen Landes Tirol, Norditaliens und des
Diogenes-Verlags (seinem Erstling Floras Fauna folgten über 30 weitere Bücher,
u. a. Trauerflora, Die verwurzelten Tiroler und ihre bösen Feinde, Der blasse
Busenfreund, Nocturnos, Die Welke Pracht). Wäre heute Wahl, die Mehrheit würde
Flora wählen. Er erfüllt alle Wünsche der österreichischen Seele an Künstler.
Während die Staatskünstler kommen und gehen, bleibt er Souverän. Das
Schwarz-Weiß des Präsidenten enthält das volle Spektrum. In allen
Schattierungen.
Zunächst gilt er als "eigenbrötlerisch". Er kann
zeichnen, das beweist schon allein der Wiedererkennungswert dessen und derer,
die er zeichnet. Er kann mit einem Fuß in Innsbruck und mit dem anderen in Wien
stehen, also lustig und schwermütig zugleich sein, und dabei niemandem auf die
Füße treten. Er gibt staatsmännisch mild wieder, wovon man weiß, dass er es
vorher scharf beobachtet hat. Was dafür spricht, dass Mensch wie Humor fein
sind.
Paul Flora, das ist, als würde der brave Soldat Schwejk sagen:
"Komm großer schwarzer Vogel!" Und mit dem dann nach Venedig fahren, den
Karneval im Nebel anzuschauen. Seit Jahrzehnten schon markiert er derart die
Untiefen des Abgrundes. Und schon allein das ist die Liebe zu ihm wert. Ein
echter Staatsschreiber ist er, einer, der sich ganz bewusst über Dialektgrenzen
hinwegsetzt. Ein Künstler, der noch mit der Hand schreibt, und zwar so schön,
dass jeder es lesen kann. Wie kaum ein anderer erfüllt er das Kriterium der
Unmittelbarkeit. Für jeden! Derart leicht verständlich bieten seine Zeichnungen
dem Beschauer dann auch noch genügend Zeit, eine weitere Tugend des so
aufmerksam gebliebenen 80-jährigen zu bewundern: seinen Fleiß, die Geduld. Wenn
der einen Witz über die Chinesen macht, dann zeichnet er tatsächlich Tausende
davon. Auf engstem Raum. Jeder einzelne mit Mimik. Alle traurig.
Köstlich!
Oder die Dichter: Wer, wenn nicht Flora, hat je so anschaulich
gemacht, wie viele Buchstaben denen im Kopf herumschwirren, gleichsam alles
vernebeln. Oder, auch das zeigt wahre Größe: Sind wir nicht alle einmal
Vogelscheuchen, hinterlässt das Leben nicht an uns allen oft pittoreske Spuren,
nagt nicht an jedem die Zeit, zerzaust nicht alle der Wind, überfüllt sich nicht
jedem der Leib? Und wer nimmt uns dann die Würde nicht weg: Der Paul Flora.
Nachzulesen bis 12. 1. im Palais Harrach. (DER STANDARD, Printausgabe,
26.11.2002)