Immergrüner Artaud. Die Kunst-Rezeption kann nicht von
ihm lassen, die Bühnen schon gar nicht - in diesen Zeiten, da sich das
Schlagwort vom "Theater der Grausamkeit" infolge schierer Überreizung und
Überstrapazierung verbraucht hat. Dafür verspricht der Name Artaud noch
immer Zulauf.
Das Burgtheater spielt im Kasino sein Stück "Die
Nervenwaage". Bei den Festwochen spannte die subversive US-Frohnatur Peter
Sellars Artaud ein für die Demonstration der absurden Seiten der
amerikanischen Militärmaschinerie: "For an End to the Judgement of God"
war ebenfalls im Burgtheater-Kasino zu sehen. Und das Berliner Ensemble
bietet den wunderbaren Nerven-Schauspieler Martin Wuttke auf für eine
fiktive Begegnung Artauds mit Adolf Hitler.
Cathrin Pichler, Kuratorin großer Erkundungen der Moderne
in Ausstellungen wie "Wunderblock" oder "Crossings", holt Artaud nun
dorthin zurück, wo er, zugegeben absurderweise, hingehört: Ins Museum.
Heute, Freitag, wird die "Hommage à Antonin Artaud" - ursprünglich für den
Steirischen Herbst 2001 geplant - im Museum moderner Kunst eröffnet:
passend eingebettet in dessen Erforschung des Wiener Aktionismus.
Artaud (1896-1948): Ein Gesamtkünstler, lebenslang
belastet von den Folgen einer Meningitis-Erkrankung im Kindesalter,
drogenabhängig, starb im Sanatorium. Seine schreckliche Lebensgeschichte
ist ein Kapitel für sich. Seine Faszination aber reicht über die Suche
einer müden Moderne nach ihren wilden Wurzeln hinaus. Das Zwingende liegt
in der überquellenden Phantasie und Phantastik Artauds, im Schönen wie im
Schrecklichen, in der Analyse wie in der Groteske. Verbunden mit einer
Aura, die Vision und Leben untrennbar zusammen zu schweißen scheint - und
so von einer ewigen Sehnsucht des Menschen und des Künstlers erzählt:
Einheit von Kunst, Utopie, Geist, mit dem Leben, der Realität.
Die diskret inszenierte Schau im sechsten Stock des Mumok
verfolgt den Menschen wie den Künstler in vorsichtigen, strengen,
chronologischen Schritten und Schnitten. Cathrin Pichler, die das Projekt
seit 1995 vorbereitete, und ihr Kollege, der Schweizer Hans Peter
Litscher, haben viel unbekanntes Material zutage gefördert.
Im Entrée ist ein Video zu sehen. Den Übergang zur Schau
bildet eine Photo-Collage, großteils Aufnahmen des bereits von seiner
Krankheit gezeichneten Künstlers. Hauptteil der Ausstellung sind
Schriften, Bücher, Zeitungen, Photos, Plakate, Zeichnungen. Erstmals
werden die "Cahiers" gezeigt, Notizhefte, die Zusammenhänge zwischen
bildnerischem und schriftlichem Werk herstellen. Zu sehen ist der kleine
Antonin mit seiner Familie, die der wohlhabenden Marseiller Bourgeoisie
angehörte. Ausführlich sind Artauds Annäherungen an den Surrealismus
dokumentiert - und sein zorniger Bruch mit ihm.
Die deutlichste Kontur gewinnt der Künstler naturgemäß in
seinen Texten, Zeichnungen: einer geschundenen Ophelia, Porträts, die an
Van Gogh erinnern oder der Darstellung vom Formen-Irrsinn des
babylonischen Turms. (Siehe Photo).
"Die Sprache durchbrechen, um das Leben zu ergreifen, das
heißt, Theater machen, neu machen . . ." - "Es geht darum,
der Vorstellung auf der Bühne den Aspekt eines verzehrenden Feuers zu
verleihen . . ." - "Mögen die Kotfresser mir zuhören, die
Aphasiker und allgemein alle, die durch die Worte und die Sprache in
Verruf gerieten . . ." - "Was mich von den Surrealisten
trennt, ist daß sie das Leben so sehr lieben, wie ich es verachte".
Artaud war weder ein Art-Brut-Vertreter noch eine
multiple Persönlichkeit, das wollten die Ausstellungsmacher dokumentieren.
Freilich: Daran hat vermutlich kaum keiner gezweifelt. Artaud dem Theater
zurückgeben mit einer Ausstellung im Rahmen eines Festivals, eben des
Steirischen Herbsts - das war ein weiteres Ziel. Die Aktualität hat die
Idee überholt und die Theater-Versuche überzeugen nur bedingt.
Was bleibt? In der Rückschau, aus der Entfernung der
Blick auf eine Ikone, die Suche nach einer verlorenen Zeit, sehr viel
Papier, noch mehr Information, aber wohl kaum eine Wiederauferstehung für
den Feuerkopf Artaud über seine historische Bedeutung hinaus.
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