DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Bawag Contemporary: Seit 1993 jeden Tag ein Bild

21.12.2010 | 18:30 | Von Sabine B. Vogel (Die Presse)

Der Niederländer Marcel van Eeden führt ein künstlerisches Tagebuch - und damit den Betrachter in die Irre. Van Eedens 148 Blätter umfassende Zeichnungsserie ist bis 30. Jänner in Bawag Contemporary ausgestellt.

Ein Psychiater rät ihr, ins Sanatorium zu gehen. Aber bald tritt sie einem christlichen Orden bei, um anschließend als Krankenschwester in „Kinkanja“ zu arbeiten – bis sie von Aufständischen grausam getötet wird. Die Rede ist von Celia Copplestone, einer Nebenfigur aus T.S. Eliots Drama „Die Cocktail Party“. „Celia“ ist auch der Titel von Marcel van Eedens 148 Blätter umfassenden Zeichnungsserie, die jetzt in Bawag Contemporary ausgestellt ist. In immer gleicher Größe von 19x28cm reiht sich Bild an Bild, Straßenansichten, Koteletts, Boxkämpfe, Pralinen, immer wieder Ansichten aus Museen. Nichts davon hat mit Celia zu tun. Fast nichts. Denn auf allen Blättern sind Textfragmente zu lesen, einige davon von Eliot.

All diese Sätze beginnen irgendwo und enden genauso haltlos. Nicht nur Eliot, auch Robert Walser und Stellen aus der Biografie des Hochstaplers Jack Bilbo mischen sich dazu, die Sprache wechselt zwischen Deutsch, Englisch und Niederländisch. So willkürlich die Bildmotive gewählt sind, so willkürlich sind die Textfragmente den Zeichnungen zugeordnet. Als krimigeschulte Betrachter vermuten wir bald eine düstere Geschichte hinter den Bildern, ahnen Gefahr, oder zumindest wähnen wir jedes Motiv als bedeutsam. Fast zwanghaft unserer Sehnsucht nach Kausalität folgend, versuchen wir, Zusammenhänge zwischen Bild und Text zu konstruieren. Manchmal gelingt es sogar. Aber das ist reiner Zufall.

Denn darum geht es gar nicht. Seit 1993 zeichne er jeden Tag ein Bild, erklärt der 1965 in Den Haag geborene Künstler. Es sei eine Art Tagebuch. Aber tatsächlich erfahren wir darin nichts über den Künstler, nicht einmal über unsere Zeit. Sämtliche Bildmotive stammen aus Zeitschriften oder Büchern, sämtliche Texte aus der Literatur – und zwar alles aus den Jahren vor seiner Geburt. Das sei doch eine reizvolle Vorstellung, findet van Eeden, dass er eine Verbindung schaffe zu der Welt vor seinem Leben.

 

Große Erzählung ohne Anfang und Ende

Ohne den konzeptuellen Rahmen wäre die Methode, gefundene Fotografien abzumalen und mit Texten zu kombinieren, fad. So aber fasst van Eeden alles Gefundene zu einer großen Erzählung ohne Anfang und ohne Ende, ohne Handlung und ohne Charaktere zusammen. Darum kann van Eeden auch in großen und kleinen Serien und selbst mit Einzelbildern arbeiten. Den größten Erfolg erzielte er mit seiner Bildfolge zu Karl McKay Wiegand auf der Berlin Biennale 2006. Ohne Rücksicht auf das tatsächliche Leben des Botanikers macht van Eeden die Person zum General, zum Boxer, Architekten oder Taucher – was die Bilder halt so bereithalten.

Dieses Konzept geht visuell deshalb so überzeugend auf, weil van Eeden alle Bilder in seinem merkwürdig antiquierten Stil vereinheitlicht. Dazu dient ihm das Schwarz-Weiß des Negrostifts – einer speziellen Kreide – und die strengen, wenig detailreichen Bildkompositionen. „Die Vergangenheit ist für mich wie eine große Box mit Bausteinen, die ich raushole und zu einem neuen Bild zusammenbauen kann.“ Es sind aber keine „neuen Bilder“, die wir hier sehen. Es sind eher „offene“ Bilder, die unsere Erinnerung herausfordern und uns bald vor der Suche nach einem übergeordneten Ganzen kapitulieren lassen. Zu viele Geschichten mischen sich da hinein und es bleibt letztendlich nur die eine übrig – und die handelt von der Faszination der Bilder, die sich gegen jeden Text durchsetzen und keinem linearen Lesen unterordnen lassen.

Marcel van Eeden, Celia, Bawag Contemporary, bis 30. Jänner 2011, WienI, Franz-Josefs-Kai3, täglich 14 bis 20 Uhr, Eintritt frei


© DiePresse.com