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(31.05.10)

Bauen ohne Starallüren

Johann Georg Gsteu, geboren 1927, ist vielleicht einer der am wenigsten beachteten Künstler unter den österreichischen Architekturgroßmeistern der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine eben im Anton Pustet-Verlag erschienene Monographie könnte dies ändern.

Der Zug zur Architektur war Gsteu nicht in die Wiege gelegt. Im Gegenteil, will der in Hall geborene Tiroler doch vorerst Bildhauer werden und besucht ab1941 die Bildhauerfachschule in Hallstatt. Aus „Mangel an Selbstvertrauen“ in das eigene künstlerische Potential verlässt Gsteu 1944 die Ausbildungsstätte, um an der Wiener Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Clemens Holzmeister Architektur zu studieren. Nach erfolgreichem Abschluss in einer Klasse gemeinsam mit Friedrich Achleitner, Wilhelm Holzbauer und Friedrich Kurrent arbeitet er zwischen 1953 und 1958 in einer Bürogemeinschaft mit Friedrich Achleitner zusammen. In der Zeit unmittelbar danach entstehen Gsteus Hauptwerke, u.a. die Kirche in Oberbaumgarten, Wien (1963–1965). Auf Lehraufträge an der Akademie der Bildenden Künste folgt 1983 der Ruf an die Gesamthochschule Kassel, wo Gsteu die Professur für Architektur und Design übernimmt. Zahlreiche Preise pflastern seinen Weg, nennenswert vor allem der im Jahr 1968 verliehene Österreichische Staatspreis für Architektur.

Das quantitativ überschaubare Oeuvre darf nicht über Gsteus beständiges Tätigsein hinwegtäuschen. So widmet sich auch die vorliegende Publikation zu einem großen Teil den nicht gebauten, jedoch zumeist bis ins Detail ausgeführten Projekten, wie etwa der Joseph-Beuys-Brücke in Kassel (1987) oder dem Möbius-Band-Hause (1968). „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass konkrete Aufträge den Anforderungen nicht immer standhalten. Dies ist der Grund, warum ich verhältnismäßig wenige Projekte gebaut habe“, meint der Architekt selbst über seine Arbeitsweise.

Gsteus hoher theoretischer Anspruch an sich und seine Bauten zeigt sich in einer Auffassung, die Architektur als „dienend“ erlebt; Form und Konstruktion dürfen nie überbetont werden. „Alles Selbstzweckhafte lehne ich ab“, heißt das lebenslange Motto des Künstlers. Wer die individuelle Handschrift deshalb zuweilen vermisst, wird diese vielleicht genau darin finden: in der individuellen und sensiblen Abstimmung der Architektur auf den jeweiligen Nutzen eines Bauwerks. So begann Gsteu zwischen 1990 und 1995 für den Bau an seinem späten Hauptwerk, den Wiener U-Bahnstationen der U6 Süd (zwischen Tscherttegasse und Siebenhirten) nach einer eigenen Technologie zur Formung des verwendeten Aluminiums zu suchen. Die so entstehenden Trapezbleche zählen bis heute zu Gsteus bekanntesten Architekturdetails.

Gerade die Details sind es, die Gsteu-Architekturen so unverkennbar machen. „Meine Bauten entstehen vom Materiellen aus“, sagt Gsteu. So macht sich der Architekt gleich einem Archäologen auf die Suche nach dem dem Material inhärenten Ausdruck, um ihm in seiner Sprachkräftigkeit zum Durchbruch zu verhelfen „Das, was angelegt ist, soll in eine Gestalt gebracht werden.“ In diesen und ähnlichen Ansätzen wird der ehemalige Bildhauer Gsteu spürbar, dessen Einfluss ein Leben lang latent vorhanden bleibt.

Das 21 x 21 cm große „Büchlein“ wie Gsteu es selber nennt, erhebt nicht den Anspruch eine wissenschaftliche Publikation zu sein, dementsprechend wird der Leser auch Fußnoten im Fließtext vermissen. Dies spiegelt den Wunsch des Künstlers wider sein Werk in einer Form publiziert zu wissen, die allen – das heißt nicht nur einem Fachpublikum – zugänglich ist. Und tatsächlich liest sich der Text der Kunsthistorikerin Claudia Enengl, die als Vorarbeit für die Publikation zwei Jahre lang Gsteus gesamtes Planmaterial sondiert, archiviert und inventarisiert hat, angenehm flüssig und unprätentiös. Auch das außergewöhnliche Quadratformat will Gsteus Lebenswerk spürbar nach außen tragen. So steht dieses in direktem proportionalem Bezug zum Lichtkreuz am Dach der Kirche von Oberbaumgarten in Wien.

Wer dennoch gerne mehr „Wissenschaft“ im Text hätte, kommt dank der ausführlichen Bibliographie ebenso auf seine Kosten. Weiters positiv anzuführen ist das kommentierte Werkverzeichnis am Ende der Publikation, das die immerwährende Problematik des Einfangens von Architektur im zweidimensionalen Format auf geschickte Art und Weise löst. Enengl nimmt den Leser quasi an der Hand und führt ihn in detaillierten Beschreibungen um und in Gsteus Gebäude. Dabei werden auch weniger bekannte Werke, die noch nicht in die Literatur Einzug gefunden haben thematisiert, wie etwa der Fahrradweg Staatsbrücke in Salzburg (1986–1987) oder das Müllzentrum Meidlinger Markt in Wien (2004–2006) .

Inhaltlich sticht die große Bandbreite der Stimmen zu Gsteus Architektur ins Auge. Renommierte Berufskollegen wie Hans Hollein oder Gustav Peichl kommen ebenso zu Wort wie Liesbeth Waechter-Böhm. „Es ist die Wahrhaftigkeit architektonischer Konzepte, die heute nicht selten fehlt. Das weist Gsteu einen Weg in die Zukunft“, lässt sie den Leser im Vorwort ihre Meinung wissen. Eine unmissverständliche Position am Beginn eines sehr lesenswerten Buches.

Claudia Enengl: Johann Georg Gsteu. Architektur sichtbar und spürbar machen (Anton Pustet) 2010, 132 Seiten, ca. 110 farbige Abb., ISBN 978-3-7025-0616-2,, EUR 24,00

Dagmar Weidinger



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