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Kunstberichte
Belvedere Orangerie zeigt den Paradebildhauer des 20. Jahrhunderts: "Auguste Rodin und Wien"

Der Psyche Ausdruck verleihen

Ausgehend 
von acht Werken im Besitz des Belvederes ist die Ausstellung Auguste 
Rodin und seinen Beziehungen zu Wien gewidmet. Foto: Belvedere

Ausgehend von acht Werken im Besitz des Belvederes ist die Ausstellung Auguste Rodin und seinen Beziehungen zu Wien gewidmet. Foto: Belvedere

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Das Belvedere besitzt acht Werke des Jahrhundert-Bildhauers Auguste Rodin, die seine Werkphasen gut abdecken. Die Secessionisten machten Auguste Rodin schon 1898 zum korrespondierenden Mitglied, ab 1899 stellte er in deren Haus immer wieder aus, 1903 bekam er eine Personale und 1908 organisierte Rainer Maria Rilke im Wiener Kunstsalon Heller eine Verkaufsausstellung. Der Dichter verehrte den Bildhauer derart, dass er ihm vorübergehend als Sekretär diente.

Die Secession schenkte nach Rodins Personale der damals in Gründung befindlichen "Neuen Galerie" die Porträtbüste von Henri Rochefort, einem politischen Freidenker und Freund Victor Hugos. Diese vielen Querbezüge von Paris zur österreichischen Kunstszene sind Anlass mit der Ausstellung "Rodin und Wien" einmal mehr diese Achse in den Mittelpunkt zu rücken.

Drei Werke Rodins sind weltberühmt, "Die Bürger von Calais", "Das Höllentor" mit dem Denker sowie dem ersten Menschenpaar, und das Denkmal für Victor Hugo für das Pariser Pantheon. Von allen sind Vorstudien in Terrakotta und Gips, aber auch Bronzen in Wien. Die lebensgroße Eva diente auch als nächtliche Gestalt mit ihrer Schamgeste einer antiken Venus für Umsetzungen in Keramik, Max Klinger adaptierte sie für das Relief auf der Rückenlehne seines Throns für Beethoven.

Revolutionierend war der Aspekt des Bildhauers, den menschlichen Körper zum Torso zu reduzieren, hier als besonderer Auftakt durch einen Abguss des "Schreitenden" aus dem Musée Rodin zu sehen. Rodin und sein Gießer stellten schon damals viele Variationen und Größen der Figuren her, austauschbare Gipsglieder erlaubten ihm diverse Versuche mit Einzelteilen, zusätzlich nutzte er das neue Medium der Fotografie, um sein Werk mit Stimmungsaufnahmen des zeitgleichen Piktoralismus eines Edward Steichen besonders in Szene zu setzen. Dabei übernimmt sein Schatten die Pose des Denkers.

Rodin schaffte den Sockel zur Skulptur weitgehend ab – er wollte die Betrachter mit seinen Figuren auf Augenhöhe sehen, um die seelische Komponente der vibrierenden Oberfläche direkt zu übertragen. Mit der Stadt Calais geriet er dadurch in Konflikt, die Schau kommt seinem Wunsch bei den lebensgroßen Bronzen aber damit nach. Seine epochemachenden Neuerungen haben nicht nur Wiener Künstler nachhaltig fasziniert – neben den Bildhauern Anton Hanak und dessen Schüler Fritz Wotruba, der das Motiv des Schreitenden auf abstrakte Formen übertrug, auch den bereits genannten Klinger, der wie Rodin mit seinem Beethoven-Monument in der Secession 1902 der aktuellen Idee des Gesamtkunstwerks huldigte. Selbst für Avantgardisten wie Wilhelm Lehmbruck, Alberto Giacometti und Joseph Beuys wirkte Rodin mit seiner rohen Gestaltung weiter.

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Auguste Rodins Bleistiftzeichnung "Psyche". Foto: Musée Rodin/J. de Calan

Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka haben den neuen Ausdruck in ihre nervösen Bannstudien übertragen. Letzterer war wie Klimt von Rodins oft skandalisierten erotischen Zeichnungen fasziniert. Rodin regte die Maler sogar zu kurzen plastischen Versuchen an, Schieles Selbstbildnis hat dabei die gleiche Kopfhaltung wie Rodins Büste von Gustav Mahler.

Gustav Klimt imitierte Rodins Stilisierung

Im bekannten Gemälde "Umarmung" entdeckte Kurator Stephan Koja das Vorbild einer Plastik des Meisters aus Paris. Damit ist auch klar, warum dieses Bild vom sonstigen Konzept Schieles weit entfernt ist. Klimt imitierte selbst Rodins Stilisierung zum Priesterkünstler und Märtyrer am unverständigen Publikum – eine von vielen geschickten Verkaufsstrategien, die beiden in der Rezeption der Moderne bis heute ihren Extraplatz beschert.

Klimts Plastiken sind leider nur mehr in Fotografien überliefert, wendeten sich aber, darauf gut sichtbar, Rodins Neigung zum teils unvollendeten Belassen des rohen Blocks zu. Drei Stadien von Gustav Mahlers Porträt verraten die langsame Vorgangsweise im Porträt, den Wechsel der Materialien als mitwirkendes Experiment zeitgemäß die psychische Verfassung des Gegenübers einzufangen.

Neben Mahler, Hugo und Rochefort reihen sich Bildnisse von Georges Clemeceau und Honoré de Balzac. Deren wichtige Dokumentation durch Fotografie wird durch frühe Kataloge, Ausstellungseinsichten und Texte erweitert, die verraten, dass der moderne Kunstmanager nichts – auch nicht die kleinste Postkarte – dem Zufall überließ. Einzig und allein Rodins Auffassung von der alles bestimmenden Kraft des Eros in seinen speziellen Zeichnungen kommt in dieser von den Plastiken her interessanten Schau vielleicht etwas zu kurz.

Aufzählung Ausstellung

Rodin und Wien
Stephan Koja (Kurator)
Orangerie des Belvedere
bis 6. Februar 2011



Printausgabe vom Freitag, 01. Oktober 2010
Online seit: Donnerstag, 30. September 2010 19:05:00

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