Artikel druckenKilometerlange Schlangen bildeten sich vor der Ausstellung. Bis zu acht Stunden waren die Menschen bereit, auf den Eintritt in den Berliner Martin Gropius Bau zu warten. 235.000 Besucher kamen in 14 Wochen, um die Malerei und Zeichnungen von Frida Kahlo zu sehen. Was macht die ungeheure Faszination dieses Werkes aus, das jetzt auch in Wien im Bank Austria Kunstforum eröffnet?
Das Leben der mexikanischen Künstlerin war geprägt von fortwährenden seelischen und körperlichen Leiden, die sich in ihren Bildern widerspiegeln. Dieser hohe emotionale und vor allem erkennbare Gehalt verbunden mit der symbolischen Bildsprache mag das eine Erfolgsgeheimnis dieser Werke sein. Ein anderes ist sicher die Wiedererkennbarkeit dieser Bilder, denn Kahlo malte vor allem sich selbst – immer ernst schauend, mit übertriebenem Damenbart und dickem Augenbrauen-Balken.
Von ihren insgesamt nur 143 Bildern sind 55 Selbstbildnisse, das erste gemalt mit 19 Jahren, ein Jahr nach ihrem schweren Busunglück. Eine Stahlstange hatte sich durch ihr Becken gebohrt. Entgegen allen Prognosen lernte sie zwar wieder laufen, erlitt aber infolge des Unfalls mehrere Fehlgeburten und kämpfte zeitlebens mit Schmerzen. Immer wieder musste sie Korsetts tragen und wurde allein 1950 sechsmal am Rücken operiert. Eine dieser Bandagen steht in der Ausstellung mitten im Raum. Auch die Stillleben kreisen um dieses Thema, wenn etwa aufgeschnittene Früchte vom Leiden erzählen. Diese Serie gehört mit zu den faszinierendsten Werken dieser Retrospektive, denn hier versucht Kahlo mit fröhlichen Farben zu gefallen und entkommt doch nicht ihren Selbstumkreisungen. Ein anderes durchgehendes Bildmotiv ist ihr treuloser Ehemann, der berühmte mexikanische Maler Diego Rivera, den sie zweimal heiratete. Die „traurige Königin der Schmerzen“ wurde sie einmal genannt. „Ich male mich, weil ich so oft allein bin und weil ich mich am besten kenne“, erklärte sie.
Motive der Azteken und Maya
Frida Kahlo ist die bekannteste Künstlerin Mexikos. In Künstlerkreisen wurde ihre Bedeutung früh erkannt, André Breton schrieb 1930: „Die Kunst der Frida Kahlo ist eine Schleife um eine Bombe.“ Er hatte erkannt, dass sie, „um durch und durch verführerisch zu sein, nur allzu gern bereit ist, sich bald im Gewand der vollendeten Reinheit und bald in der Rolle höchster Verderbtheit zu präsentieren.“ Eigentlich sprach Breton hier von Kahlos Kunst, aber dasselbe kann auch von der Künstlerin gesagt werden. Einer ihrer langjährigen Geliebten, der Fotograf Nikolas Muray, hielt ihre verführerische Schönheit in seinen Porträts fest, die jetzt auch in der großen Retrospektive zu sehen sind. Auf nahezu jeder Aufnahme trägt sie eine strenge, hochgebundene Frisur mit Blumen im Haar und traditionelle Kleidung – Ausdruck ihrer ideologischen Überzeugung. Denn Kahlo war überzeugte Marxistin, engagierte sich im Spanischen Bürgerkrieg und kämpfte für indigene Anliegen. Ihr Haar trug sie wie die indigenen Frauen, ihren Schmuck fertigte sie selbst an, und ihre Kleidung war betont folkloristisch.
Auch in ihrer Bildsprache bezieht sie sich oft auf Legenden und Motive der Azteken und Maya, was besonders in den Votivbildern zu fast surrealistischen Bildwelten führt. Diese Bildserie steht am Ende der Ausstellung, denn man wolle Kahlos Wünsche als Hoffnungen präsent halten, erklärt der Text an der Wand. Damit ist die Wiener Ausstellung jener Kritik geschickt ausgewichen, die an der Berliner Präsentation so oft formuliert wurde. Denn in Berlin stand das Leiden der Künstlerin derartig im Mittelpunkt, dass ein offener Blick auf das Werk kaum möglich wurde. In Wien dagegen beginnt die Ausstellung mit Bildnissen ihrer Freunde, führt über ihre Selbstbildnisse und Fotodokumentationen zu den Stillleben bis zu den Wunschbildern: Damit wird eine thematische oder chronologische Einbahnstraße vermieden.
Frida Kahlo – Retrospektive, Bank Austria Kunstforum, WienI, Freyung8, 1.9. bis 5.12.2010, täglich 10–19, Freitag bis 21Uhr.