Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Westlicht: Nude Visions. 150 Jahre Körperbilder in der Fotografie

Tiefe Blicke in und auf den Tempel der Seele

Stefan 
Moses, Bodypainting, 1967. Foto: Stefan Moses Archiv Münchner 
Stadtmuseum

Stefan Moses, Bodypainting, 1967. Foto: Stefan Moses Archiv Münchner Stadtmuseum

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

"Kunst sollte nicht mehr Sex haben als Mathematik", behauptete 1863 Maxime de Champs, als sich die Aktfotografie aus voyeuristischen wie wissenschaftlichen Anfängen als Kunst emanzipierte. Alfred Stieglitz, Elfriede Reichelt und Hanna Seewald entrückten wie der bekannteste "Pikturalist" Heinrich Kühn auch durch technische Druckverfahren den Körper in geistige Sphären.

In zeitgeistiger Ablehnung des Physischen wurde er als Tempel der Seele integriert in dramatisch dunkle Landschaft. Germaine Krull wandte sich dann um 1920 mit "Dämmerstunden" gegen die männliche Interpretation der Frau als Objekt der Verführung. Unmittelbarkeit, Experiment und Selbstbewusstsein setzte sich in Tendenzen der "Neuen Sachlichkeit" fort.

Einen neuen Weg durch 150 Jahre Fotogeschichte versucht die Ausstellung des Münchner Stadtmuseums mit 250 teils bekannten Hauptwerken und 50 Publikationen nun im Westlicht in Wien zu beschreiten. Neu insofern, als auf die massive Ablehnung des weiblichen Akts als Ware der Konsumgesellschaft im Feminismus um 1970 eine neue, teils sexistischere Welle der Werbefotografie folgte.

Männerakte und Kulturpolitik

Kurator Ulrich Pohlmann hat sensible Nebenwege nicht ausgelassen: So zeigen schon die erotischen Arkadienfantasien Wilhelm von Gloedens in Sizilien eine Emanzipation der homosexuellen Kultur, auch kunstpolitische Aspekte des Männerakts vor und nach 1945 werden angesprochen. So sind körperbezogene Happenings von Friedensreich Hundertwasser (fotografiert 1967 von Stefan Moses) neben Performances von Marina Abramovic zu finden.

Vom akademischen Thema des Aktes im Atelier im 19. Jahrhundert und dem teils exotischen Pendant der Freilichtfotografie über die experimentelle Schiene der Surrealisten mit Mehrfachbelichtung, Solarisation und Collage, bis zu privatem Glamour in der exhibitionistischen Netzkultur, spricht Pohlmann immer beide Seiten an. Der Akt bleibt Gratwanderung zwischen Schaulust und soziologischen Aspekten von Körperkultur und Schönheitskult.

Daguerreotypien in Stereo vermittelten Skulptur wie die nach Michelangelo gestellte Modelle der Akademien, Eadweard Muybridge brachte den Akt in Bewegung, was Marcel Duchamp und Francis Bacon inspirierte. Expressive Lichtspiele bei František Drtikol haben eine abstrakt-konstruktive Note, Licht ist aber auch in der Glamourfotografie vom Wiener Atelier Manassé über Hollywood bis Helmut Newton wesentlich. Überbelichtet erscheint die berühmte letzte Fotositzung Marilyn Monroes bei Bert Stern 1962 wie ein Abschied von der Inszenierung zurück in eine profane Liebesgeschichte zwischen Star und Fotograf.

Der Wandel unserer Sicht auf den Körper ist jedenfalls sichtbar eine anhaltend spannende kulturpolitische Frage.

Aufzählung Ausstellung

Nude Visions
Ulrich Pohlmann (Kurator)
bis 31. Jänner 2011
Westlicht

 

Printausgabe vom Mittwoch, 29. Dezember 2010
Online seit: Dienstag, 28. Dezember 2010 16:59:00

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*
H-DMZN07 Bitte geben sie den Sicherheitscode aus dem grünen Feld hier ein. Der Code besteht aus 6 Zeichen.



* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Feedback-Regeln.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at