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28.12.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Wegen Schneemangels geschlossen
VON MICHAELA SCHLÖGL
Ausstellung in zürich. "In den Alpen" erzählt die Kunstgeschichte einer Zerstörung.

Ha, ha, ha - der Schnee ist noch nicht da!" Könnten die Alpen sprechen oder gar singen, es wäre ihr Reim auf den von Tourismusindustrie und Schigeilen herbeigesehnten Saisonstart Anfang Dezember. Der findet aber wegen Schneemangels (noch) nicht statt. Jeder Tag "Schi-Management" weniger ist ein Verlust für die Alpinindustrie - und gleichzeitig ein Gewinn für die Alpen.

Nicht ökonomisch, aber künstlerisch-philosophisch wird dieser Beweis just im Alpinland Schweiz erbracht: Das Kunsthaus Zürich thematisiert Topografie, Naturgewalten, Romantik, Kunstinspiration, aber auch brutale technische Eingriffe sowie Kitsch- und Tourismuswahn "In den Alpen".

Beginnend mit Werken des 17. und 18. Jahrhunderts, als sich exzentrische Engländer zu den Gletschern führen ließen und vazierende Maler die Gigantomanie der Berge auf Leinwand bannten, führen Votivtafeln und Volkskunst in die Epoche der technischen Eroberung des Berglandes. Bis zur Werbegrafik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schämte man sich nicht der technischen Errungenschaften. Die "Alpen in der Kunst" sind durch Bergwiesen, Kühe und Edelweißsujets, aber auch durch Bedrohliches wie Lawinen, Felsstürze präsent.

Ungeschminkt geben Künstler auch menschliche Eingriffe in die Natur preis: Voluminöse Brückenkonstruktionen, Seilbahnen, Verkehrserrungenschaften werden bis in die 1960er Jahre stolz präsentiert: Das Plakat "Für schöne Autofahrten die Schweiz" (1935) zeigt unschuldig weiße Schneefelder, durch die eine Serpentinenstraße ihre Spur zieht, ohne eine Feinstaubspur zu hinterlassen. In "Opération Béton" ist die filmische Sichtweise kritischer, Regisseur Jean-Luc Godard setzt das Megaunternehmen Wasserkraftwerk, das nach dem Zweiten Weltkrieg den Energiehunger befriedigen sollte, in Szenen.

Spätestens im 21. Jahrhundert ist die Öko-Balance schwerst gefährdet. Das ökologisch hoch empfindliche Reservoir, aus dessen Quellen sich die großen Wasserstraßen Europas entwickeln, wurde vom Natur- zum Kultur- und schließlich zum Nutz- und Happyland. Die Alpen werden zwecks Vermarktung heute fotografiert.

Gestern wurden sie, nicht nur von Hobbymalern wie Winston Churchill, gemalt. Zürich zeigt alpine Kunst von Alberto Giacometti, dem vielleicht berühmtesten in den Alpen geborenen Künstler, von Max Klinger, Giovanni Segantini oder Ferdinand Hodler. Am eindrucksvollsten veranschaulicht kein Gemälde, sondern das Dia-Diptychon des Österreichers Lois Hechenblaikner die Wandlung des alpinen Kulturraumes Tirol in eine Musikantenstadl-Kulisse. Der im Alpbachtal geborene Fotograf stellt zwischen 1936 und 1976 entstandene Schwarz-weiß-Fotografien "formal oder inhaltlich gefundenen Analogien gegenwärtiger Situationen" gegenüber.

Zynismus, aber vor allem Melancholie und Resignation über ein verlorenes Paradies sprechen aus den einfühlsam gefundenen Bildpaaren. "Nur die Tiefe nebelt, nicht der Berg", Jean Pauls Kulturoptimismus war ja schließlich nicht als Hüttenzauberspruch gedacht!

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