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Kunstberichte

Schnitzel mit Heiligenschein

Quer durch die Galerien
Direkt aus dem Magen von Mutter Natur geerntet: Kompost, Jahrgang 1977. Ein Affront gegen die Esskultur? Nein, ein Heinz Cibulka (Aktionsrelikte). Heinz Cibulka

Direkt aus dem Magen von Mutter Natur geerntet: Kompost, Jahrgang 1977. Ein Affront gegen die Esskultur? Nein, ein Heinz Cibulka (Aktionsrelikte). Heinz Cibulka

Von Claudia Aigner

In der Kirche zu schmatzen oder gar an Ort und Stelle zuzunehmen (womöglich gleich ein ganzes Kilo), wäre ein arges Sakrileg. Wahrscheinlich die achte oder neunte Todsünde. Ein Gotteshaus ist schließlich kein Wirtshaus.
Deshalb wird es auch nie passieren, dass dort vorne auf dem einzigen brauchbaren Tisch ein Priester (eventuell mit der Haube eines Kochs auf dem Kopf) viele, viele Schnitzel brutzelt und die Ministranten dann wie Kellnerinnen das ordinäre weltliche Essen zu den Gläubigen bringen. Weil man es tunlichst vermeiden soll, bei der Heiligen Kommunion satt zu werden.

Entsagungsvoll soll man speisen und nicht mehr Kalorien zu sich nehmen als mit einem unschuldigen Atemzug. Die vermeintlich fade Hostie hat nämlich einen religiösen Nährwert und keinen magentauglichen. Die labt die Seele und regt nicht den profanen Speichelfluss an wie ein Kartoffelchip, der uns immer wieder zum Chipssackerl treibt und dem wir schon nach dem ersten Knabbern hörig sind (wegen dem süchtig machenden Natriumglutamat).

Galerie Hofstätter: Beim Heurigen

Dass es in der Kirche nicht nach Pfannenfett riecht und das Abendmahl nicht in ein Eucharistiegelage ausartet, daran kann auch der Heinz Cibulka nichts ändern, der doch so gern Wiener Schnitzel macht und die Leute bewirtet und ihren Verdauungsapparat anstachelt. Wie etwa 1976 bei seiner Aktion „Metabolismus“ mit einer von ihm persönlich in Öl herausgebackenen Atzung.

Der Stoffwechsel ist für ihn ohnedies ein Sakrament, das Mysterium der Wandlung, die sich geheimnisvoll im Organismus vollzieht, wenn der Leib das Schnitzel assimiliert oder wieder nach außen abgibt, unkenntlich wie formlose Urmaterie, die aber zu allen Schandtaten bereit ist.

Und sie prosteten sich aus dem Stegreif zu

Einmal hat der Cibulka, der sich zum Heurigen hingezogen fühlt (zum profanen Gegenstück zur Abendmahlsfeier, wo das Essen noch so bodenständig ist, dass es nicht von einem Windhauch verblasen wird), sich gar in Stammersdorf einen ganzen Heurigen ausgeborgt und nach Graz umgesiedelt (zumindest ein paar Holztische und Bänke) und ließ von den Ausstellungsbesuchern quasi das Phänomen „der Heurige“ aus dem Stegreif aufführen. Mit Hilfe von Dopplern und dergleichen. Gewissermaßen um durch Zuprosten und andere Geselligkeitsbezeigungen die stummen Fotos an der Wand zu synchronisieren, auf denen viel gekaut und geschluckt wurde.

(Für die, die’ s nicht wissen: Der Heurige ist jener Ort, wo die Transsubstantiation von Wein in Rausch stattfindet und wo Wienerlieder auf lallenden, störrischen Zungen reiten und Mühe haben, nicht abgeworfen zu werden. Die Wienerische Abart des nordamerikanischen Rodeoritts.)
Wer gar nie wissen wollte, was der Heinz Cibulka in den siebziger Jahren getrieben hat (weil er wie ich der Mär aufgesessen ist, dass der eh immer nur fotografiert und also mit den Augen schaut und nicht so einer ist, der alles angreifen muss wie der Nitsch, dieser Darmgrapscher), der muss unbedingt in die Galerie Hofstätter. Um dem Mr. Hyde vom HC zu begegnen. Der ist nämlich ein Wiener Aktionist. Momenterl. Das sind doch diese Männer in seriösen, dunklen Anzügen, die nicht die geringsten Tischmanieren haben. Ja, aber der HC ist vielleicht der einzige von denen, der damals schon mit Messer und Gabel gegessen hat. Und er ist ein orthodoxer Schnitzelpanierer. Er deckt nicht wie dereinst der Muehl nackerte Hinterteile mit Mehl, Ei und Bröseln zu.

Er ist halt wirklich kein Fastenideologe

Kochen wird beim HC zur kultischen Handlung. Eine Speise zu salzen hat ja tatsächlich etwas von einer Taufe. Die Ikonen dafür hat er auch gemacht, mit Küchentechnologie (mit dem Nudelwalker): Tafelbilder mit Beteiligung von ausgewalktem Teig. Leider hat er sie nicht mit Insektenschutzmittel eingeschmiert. HC: „Ein Restaurator hat sich jetzt damit beschäftigt. Dass die Tiere endlich ausziehen aus diesen Bildern.“

Überall der Hauch des Religiösen, die naiv fromme Verehrung des Lebens und Essens vor dem Tod. (Und ich bin davon überzeugt, dass die Schnitzerln einen Heiligenschein hatten.) Die streng mit Natur- und Kultursubstanzen eingerichteten Materialkästen: Andachtsbehälter. Das Tuch, das er unter einen Holunderstrauch gelegt hat und auf dem die herabfallenden Beeren Spuren hinterlassen haben, möchte man „das Grabtuch vom Bisamberg“ nennen. Obst ist ja auch unsterblich. Das geht in den „großen Stoffwechsel“ ein, in dem nichts verloren geht (in die Verdauung der Natur, die bekanntlich einen Saumagen hat).

Zwei Einmachgläser verkünden statt „Kompott“ provokant: „Kompost.“ Jahrgang 1977. Eher Reliquien als bloße Aktionsrelikte. Denn kompostfürchtig ist der HC ebenfalls, der Stadtflüchtling, der Wiener im Weinviertel. Die braune Substanz ist ja eine Sensation für den Asphaltmenschen, der seinen biologischen Abfall verschämt in neutralen Plastiksackerln in die Biotonne wirft und die Apfelbutzen und welken Salatblätter verstößt. Nicht so der HC. Der baut noch heute in zeremonieller Langsamkeit anmutige Komposthaufen vor Publikum („Da muss ma aufpassen, dass es einigermaßen ästhetisch bleibt und nicht nur agrarisch sinnvoll is“).

Der Mr. Hyde vom Cibulka ist also ein Zurückhaltender (und kein Choleriker), aus dessen Sturm-und-Drang-Zeit angenehm beherrschte und sinnvolle (und geradezu sakrale) Dinge übriggeblieben sind.

Galerie Exner: Blicke wie Blumen pflücken

Beim Josef Mikl alles beim Alten. Ungegenständliche Bilder, die so tun, als wären sie gar nicht abstrakt, und die in ihren Pinselgesten unbedingt Andeutungen von Menschlichkeit unterbringen müssen. Man fragt sich natürlich, wieso sich die Gestalten, die doch eh eine bloße Formalität sind, ausgerechnet als Menschen ausgeben müssen.

Ansonsten sind die Bilder schonungslos gelungen. Gefestigt im Aufbau, kein geschwätziger Pinsel und sie haben trotz der Dynamik eine innere Ruhe und Harmonie. Und dann dieses deftige Gelb, das die Blicke aus den Gesichtern pflückt und nicht mehr hergeben will. Also eh alles bestens. Trotzdem hab’ ich eher ein Faible für Mikls vergleichsweise blasse Stillleben, wo sich die Gegenstände zu einem souverän nonchalanten Kritzikratzi verdichten.

Quer durch die Galerien

Galerie Hofstätter
(Bräunerstraße 7)
Heinz Cibulka. Aktionsrelikte und Materialbilder.
Bis 24. Dezember
Di. bis Fr. 12 bis 18 Uhr
Sa. 10 bis 14 Uhr

Galerie Wolfgang Exner
(Rauhensteingasse 12)
Josef Mikl. Neue Arbeiten.
Bis 9. Jänner 2006
Mo. bis Fr. 11 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 17 Uhr

Freitag, 16. Dezember 2005


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