Artikel aus profil Nr. 05/2003
Bleiche Bilder

Walter Niedermayr richtet die Kamera auf normierte Reservate: Landschaften, Sportstadien und Krankenhäuser. Die Kunsthalle Wien widmet ihm eine große Ausstellung.
Kinder auf einem Skihang, auf der rechten Seite ein Sessellift, dahinter Mischwald; alles überbelichtet, wie die Erinnerungsrückblenden in manchen B-Movies. Oder der Wartesaal vor dem Laserraum eines Spitals, steriles Licht, blasses Grün: die TV-Serie „Emergency Room“ zum Stillstand gebracht, befreit vom hektischen Stakkato des Krankenhausalltags.

Warum eigentlich erinnern die Fotoserien des Künstlers Walter Niedermayr so oft an Filme? Von Hitchcock, Wim Wenders oder Aki Kaurismäki. Oder an eigene Erinnerungsfilmfetzen: einen Morgen am Passo di San Pellegrino vor einer Skitour auf die Cima dell’Uomo. Fröstelndes Frühstücken vor einer Kapelle. Eine Werbetafel für Sportschuhe, stillgelegte Aufstiegshilfen, harter Schnee und dahinter die bleichen Felsen der Dolomiten.

Seit zehn Jahren nimmt Walter Niedermayr, 51, in Bozen lebend, eine unverwechselbare Position in der internationalen Fotokunst ein. Es begann mit Landschaftsfotos aus den Dolomiten, „Reservaten der Sehnsüchte“, wie der Künstler diese von der Freizeitgesellschaft geprägten Berge nennt. Niedermayr fotografierte sie mit allen Spuren, die Sport und Tourismus hinterlassen haben: Skitrassen, Skilifte, Straßen und Wanderwege, Bergrestaurants und Sonnenterrassen.

Überall hinschauen

Ohne anzuprangern oder zu kritisieren, hält der Künstler auch das fest, was die schöne Postkarte verschweigt: bröckelnden Beton, rutschende Hänge, verwitterte Reklameschilder. Es sind realistische Bilder, durch die Technik einer leichten Überbelichtung aber magisch entrückt. Niedermayr fotografiert in Serien. Die einzelnen Bilder variieren die Blickrichtung, richten das Auge auf das, was „daneben“ liegt. Der Blick springt von einer Perspektive zur nächsten und wieder zurück. Damit zwingen die Bilder zu einem Überallhinschauen, zu einem Panoramablick, der von der Postkartenperspektive tunlichst vermieden wird.

Die neuen Serien Walter Niedermayrs, die in einer großen Einzelausstellung ab Ende Jänner in der Kunsthalle Wien gezeigt werden, heißen „Alpine Landschaften“, „Raumfolgen“, „Artefakte“ oder „Rohbauten“, aber letztlich sind die Titel austauschbar. Die Landschaften sind Artefakte oder Rohbauten, ständigen Veränderungen ausgesetzt. Neue Sportarten, wie beispielsweise das Snowboarden und die dafür geschaffenen Aufstiegshilfen (Sesselbahnen statt Schlepplifte), verändern Landschaften grundlegend. Umgekehrt sind für Niedermayr auch Bauten, ganz wie Landschaften, Räume, in denen menschliches Geschehen vor sich geht. Krankenhäuser, seit einiger Zeit ein wichtiges Thema für den Künstler, sind Raumfolgen, in denen sich Lebensstationen von der Geburt bis zum Tod vollziehen. Alle diese Räume sind Reservate, in denen, wie in der Landschaft, der Mensch einer entindividualisierenden Norm unterworfen ist, aktiv oder passiv, handelnd oder behandelt.

Globale Normen

Diese Norm gilt weltweit: Skihänge und die sich darauf tummelnden Menschen ähneln einander, ob in Japan oder den Alpen, ob unter freiem Himmel oder in den riesigen Stadien, die neuerdings die künstlichen Skianlagen in Großstädten überdachen. Und auch die Krankenhäuser mit ihren Einrichtungen für die High-Tech-Medizin sind überall gleich strukturiert. Diese Globalisierung menschlicher Existenz ist vielleicht das Faszinierendste an Walter Niedermayrs bleichen Bilderserien: unheimlich und tröstlich zugleich.

Autor: Horst Christoph


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