Walter Niedermayr richtet die
Kamera auf normierte Reservate: Landschaften, Sportstadien und
Krankenhäuser. Die Kunsthalle Wien widmet ihm eine große
Ausstellung.
Kinder auf einem Skihang, auf der rechten
Seite ein Sessellift, dahinter Mischwald; alles überbelichtet, wie
die Erinnerungsrückblenden in manchen B-Movies. Oder der Wartesaal
vor dem Laserraum eines Spitals, steriles Licht, blasses Grün: die
TV-Serie „Emergency Room“ zum Stillstand gebracht, befreit vom
hektischen Stakkato des Krankenhausalltags.
Warum eigentlich
erinnern die Fotoserien des Künstlers Walter Niedermayr so oft an
Filme? Von Hitchcock, Wim Wenders oder Aki Kaurismäki. Oder an
eigene Erinnerungsfilmfetzen: einen Morgen am Passo di San
Pellegrino vor einer Skitour auf die Cima dell’Uomo. Fröstelndes
Frühstücken vor einer Kapelle. Eine Werbetafel für Sportschuhe,
stillgelegte Aufstiegshilfen, harter Schnee und dahinter die
bleichen Felsen der Dolomiten.
Seit zehn Jahren nimmt Walter
Niedermayr, 51, in Bozen lebend, eine unverwechselbare Position in
der internationalen Fotokunst ein. Es begann mit Landschaftsfotos
aus den Dolomiten, „Reservaten der Sehnsüchte“, wie der Künstler
diese von der Freizeitgesellschaft geprägten Berge nennt. Niedermayr
fotografierte sie mit allen Spuren, die Sport und Tourismus
hinterlassen haben: Skitrassen, Skilifte, Straßen und Wanderwege,
Bergrestaurants und Sonnenterrassen.
Überall
hinschauen
Ohne anzuprangern oder zu kritisieren,
hält der Künstler auch das fest, was die schöne Postkarte
verschweigt: bröckelnden Beton, rutschende Hänge, verwitterte
Reklameschilder. Es sind realistische Bilder, durch die Technik
einer leichten Überbelichtung aber magisch entrückt. Niedermayr
fotografiert in Serien. Die einzelnen Bilder variieren die
Blickrichtung, richten das Auge auf das, was „daneben“ liegt. Der
Blick springt von einer Perspektive zur nächsten und wieder zurück.
Damit zwingen die Bilder zu einem Überallhinschauen, zu einem
Panoramablick, der von der Postkartenperspektive tunlichst vermieden
wird.
Die neuen Serien Walter Niedermayrs, die in einer
großen Einzelausstellung ab Ende Jänner in der Kunsthalle Wien
gezeigt werden, heißen „Alpine Landschaften“, „Raumfolgen“,
„Artefakte“ oder „Rohbauten“, aber letztlich sind die Titel
austauschbar. Die Landschaften sind Artefakte oder Rohbauten,
ständigen Veränderungen ausgesetzt. Neue Sportarten, wie
beispielsweise das Snowboarden und die dafür geschaffenen
Aufstiegshilfen (Sesselbahnen statt Schlepplifte), verändern
Landschaften grundlegend. Umgekehrt sind für Niedermayr auch Bauten,
ganz wie Landschaften, Räume, in denen menschliches Geschehen vor
sich geht. Krankenhäuser, seit einiger Zeit ein wichtiges Thema für
den Künstler, sind Raumfolgen, in denen sich Lebensstationen von der
Geburt bis zum Tod vollziehen. Alle diese Räume sind Reservate, in
denen, wie in der Landschaft, der Mensch einer
entindividualisierenden Norm unterworfen ist, aktiv oder passiv,
handelnd oder behandelt.
Globale
Normen
Diese Norm gilt weltweit: Skihänge und die sich
darauf tummelnden Menschen ähneln einander, ob in Japan oder den
Alpen, ob unter freiem Himmel oder in den riesigen Stadien, die
neuerdings die künstlichen Skianlagen in Großstädten überdachen. Und
auch die Krankenhäuser mit ihren Einrichtungen für die
High-Tech-Medizin sind überall gleich strukturiert. Diese
Globalisierung menschlicher Existenz ist vielleicht das
Faszinierendste an Walter Niedermayrs bleichen Bilderserien:
unheimlich und tröstlich zugleich.