Salzburger Nachrichten am 22. November 2002 - Bereich: kultur
Bilder aus der Ferne

AUSSTELLUNGEN

GRAZ (SN-m.b.). Der steirische herbst geht zu Ende, seine Ausstellungen dauern aber noch ein Weilchen. Erkundung einer Heimat auf Zeit: im Projekt "The Hotel Room" von Gülsün Karamustafa nähern sich eine Frau und ihr Kind behutsam dem Lebensraum zwischen Abreise und Ziel an; Fotos dokumentieren diesen ungewöhnlichen und inszenierten Umgang mit einem Doppelzimmer. Zuhause in der Fremde? Dies ist eine der Fragen, die die Ausstellung "Routes - Imaging travel and migration" im Grazer Kunstverein stellt. Kurator Christian Kravagna zeigt künstlerische Positionen zu den Themen Reise und Migration. Lisl Ponger setzt ihr Selbstportät als Wüstenkriegerin in den Kontext des Ethno-Hollywood-Kinos, Vivan Sundaram erzählt via alter Fotos und neuer Technik eine ironische Familiensaga, Dorit Magreiter demaskiert in einem Video sexistische Exotismus-Klischees: kritische Bildermacher unterwegs. (Bis 22. 12.)

Aufwühlende, spannende Kost präsentieren die "Minoriten Galerien": im Priesterseminar balanciert Mark Wallinger zielsicher zwischen den Polen politische Kunst und christliches Bildgedächtnis, im Video "Threshold to the Kingdom" wird der Ausgang des Londoner Flughafens zur Himmeltür. In einem anderen Video blinzelt das Auge Gottes im Operationssaal, in der Installation "Spirit" betreibt der Brite ein subtiles Spiel mit Doppeldeutigkeiten.

Zeugnisse menschlicher Tristesse zeigt Boris Mikhailov im Kulturzentrum bei den Minoriten: menschliche Wracks aus Charkov, Ukraine, als Symbole für das Scheitern eines Systems. Der schonungslose Voyeurismus erinnert an Filmfiguren von Ulrich Seidl, die Aufladung durch christliche Ikonografie macht die dunkelgraue Sozialstudie zur Kunst. (Bis 24. 11.)