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  64  Graz, Lüneburg: Hans-Peter Feldmann Hans-Christian Dany  
   
   


Die künstlerische Biografie von Hans-Peter Feldmann wirkt durchzogen von einem Wechselspiel aus Brüchen und Kontinuität. 1968 gab der seit seiner Geburt in Düsseldorf lebende Künstler die Malerei auf - wie er selbst sagt, um den Transport der Bilder zu vereinfachen. Die sich anschließende, eher konzeptuelle Auseinandersetzung mit fotografischen Bildern ist geprägt von einem malerischen Blick. Anfang der achtziger Jahre verabschiedete sich der 1941 Geborene aus der Kunstöffentlichkeit und machte einen Spielzeugladen auf. Seit einigen Jahren tritt Feldmann nun wieder im Kunstbetrieb auf: als Herausgeber des bis auf einen Index textlosen Magazins »Ohio«; als »Feldmann Verlag«, in dem jüngst das Buch »1000 Frauen - die Sammlung Hansen« erschien; mit Künstlerbüchern wie dem viel beachteten Band »Die Toten«; in Gruppenausstellungen wie zuletzt »Stadtluft« im Kunstverein Hamburg oder »Moving Images« in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst. Schließlich zeigte der Kunstverein Graz heuer eine Retrospektive von Feldmanns Arbeiten aus den siebziger Jahren, und der Kunstraum der Universität Lüneburg lud ihn zu einem umfangreichen Projekt ein.
Was macht den auf den ersten Eindruck fast spröden, deutlich in den siebziger Jahren wurzelnden Arbeitsansatz so aktuell? Im Mittelpunkt der Grazer Ausstellung stehen die für Feldmanns Arbeit signifikanten »Hefte« (1968-74), die in einfach gedruckten Auflagen um 500 Stück vertrieben wurden. Jedes der 34 Hefte steht unter einem Begriff - »Hecken«, »Mantel« oder »Flugzeuge« -, dem jeweils eine bis 152 teils gefundene, teils eigens dafür aufgenommene Fotografien zugeordnet sind. Der Umfang der Serie bestimmt sich danach, wie viele Fotos Feldmann für notwendig erachtete, um den »Durchschnitt« des jeweiligen Begriffs oder Sujets zu ermitteln. Die Hefte bilden damit ein Fragment gebliebenes Bildlexikon der Dinge dieser Welt, vor allem zeichnet sich in ihnen eine Art Grammatik der in den Fotografien festgehaltenen Blicke ab. Sichtbar werden Sehnsüchte, Abweisung und Phantasmen. Dabei gelingt ihm - im Gegensatz zu vielen ZeitgenossInnen mit ähnlichen Ansätzen - ein überzeugendes Wechselspiel aus Nähe und Distanz. Nie setzt er die kleinbürgerlichen Bildwelten dem Gelächter aus, wie Anna und Bernhard Blume dies tun, nie legt er Foto-AmateurInnen unaufgefordert ein Emanzipationsbedürfnis in den Mund wie Dieter Hacker oder verkunstet das Triviale wie Gerhard Richter. Klarheit und Stringenz, das macht die Grazer Ausstellung deutlich, werden bei Feldmann immer wieder gebrochen. Mal koloriert er Kopien mit quietschenden Aquarellfarben oder bemalt ein Spielzeugauto und erzählt damit, dass es geregnet hat. Er nimmt die Identität eines gewissen Gerhard Amberger an, der Briefe an einen fiktiven Empfänger schickt. Ohne die vertrauten Produktionsmodelle zu bedienen, erhält sich Feldmann dadurch ein breites Spektrum künstlerischer Möglichkeiten. Vielleicht ist es dieser Entwurf eines poetischen Konzeptualisten, der sich an Rändern und in Zwischenräumen bewegt, der ihn gerade jetzt interessant macht. Zudem trifft seine kontinuierliche Arbeit über das Verhältnis von Objekt und Phantasma mitten ins Zentrum der anhaltenden Diskussion um das Virtuelle. Feldmann gelingt es nicht nur, Ordnungsprinzipien durch einfache Strukturierung transparent zu machen, sondern auch die Verschränkung von subjektiven und institutionellen beziehungsweise technologischen Faktoren produktiv zu machen. Dies dürfte auch der Grund für die Einladung nach Lüneburg gewesen sein. Ausgangspunkt des in Zusammenarbeit mit Feldmann erarbeiteten Ausstellungprojektes »Inter-Archiv« ist das Archiv von Hans-Ulrich Obrist. Der Initiator des Projektes lagert hier in bisher rund 1000 Schubern das Fundament seiner Arbeit - eine für Dritte aufgrund mangelnder Ordnungsparameter schwer zugängliche Wissensarchitektur aus Katalogen, Büchern, Zeitschriften, Briefen oder Videos. Feldmann sichtete mit Obrist, einer StudentInnengruppe und deren ProfessorInnen das Material. Die Rolle des Kurators, der sich Einblick in das Archiv des Künstlers verschafft und eine Auswahl daraus veröffentlicht, wurde damit umgekehrt. In der Ausstellung auf einem der Dachböden der Universität bleibt das reale Archiv im Nebenraum unzugänglich. Zu sehen ist ein Tableau davon. An den Wänden sind dicht an dicht Sperrholzplatten aufgestellt, auf die Repro-Fotografien von Katalogcovern einzelner KünstlerInnen gepinnt sind. Im Raum finden sich auch verschiedene Sichtungsgeräte, und Bananenkartons verweisen auf den provisorischen Charakter der Sammlung.
Die Freude über den spannenden Ansatz der Ausstellung wird aber bald überschattet. Die aus Lüneburg vertrauten Arbeitstechniken werden hier mechanisch wiederholt: Wie üblich gibt es Fotos der StudentInnen aus der Vorbereitungsphase, die auf der Karte gleichberechtigt genannt sind; sie bleiben in der Ausstellung aber blass. Die unvermeidlichen Statistiken sind trotz neuem Farbdrucker immer noch kaum lesbar. Die ausliegenden Texte verharren in einem formalisierten Sprachduktus. Am ärgerlichsten ist, dass die Ansätze zur Kategorisierung bei der Sortierung nach Eigennamen der KünstlerInnen stehen bleiben. Weitergeschrieben wird neben den Verwertungsmechanismen des Kunstmarktes vor allem die Konvention. Dass innerhalb des Materials »Links« gelegt wurden, teilt sich vor allem als Allgemeinplatz mit. Das ganze wirkt weniger an dem Potential als an der Oberfläche des Materials interessiert. Nur in einem Detail eröffnen sich Perspektiven. Es handelt sich um ein von Obrist mit genauso liebevoller wie präziser Hingabe aufgenommenes Video-Interview mit Gilbert & George. Ein aufgeregter, chaotischer Sammler, der nur zweimal kurz im Spiegel zu sehen ist, beobachtet durch die Handycam fasziniert zwei genauso zwanghaft penible wie entspannte Archivare des eigenen Lebens. In dem Video wird sowohl Obrist als Suchender erkennbar als auch das künstlerische Potential des Archivs von Gilbert & George, die sich durch Ordnung einen Freiraum herstellen. Wie durch die Hintertür taucht mit dem Video Feldmanns in der beflissenen Ausstellung ansonsten unscharf bleibender Arbeitsansatz auf. Die Dinge führen sich selbst vor, anstatt »zum Sprechen« gebracht zu werden. Das Tableau des Archivs wird an dieser Stelle zur Erzählung von menschlichen Sehnsüchten, psychischen Befindlichkeiten und Umgangsformen mit Wirklichkeit.

 
     

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