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Leopold Kessler: Prinzip Tarnung

08.06.2010 | 17:31 | von Johanna Hofleitner, Porträt: Julia Stix (Die Presse - Schaufenster)

Der Künstler Leopold Kessler verschiebt mit seinen Arbeiten unsere Sicht auf die Welt – manchmal sogar im Verborgenen.

insel, Leinwände, Staffelei – wer in einem Atelier solch klassisches Inventar sucht, wird in der Werkstatt von Leopold Kessler nicht fündig werden. Stattdessen spielen bei ihm viel mehr Schreibtisch, Laptop und Kaffeemaschine und dazu jede Menge Spezialwerkzeuge eine Hauptrolle. So fallen ­etwa gleich beim Betreten des straßenseitigen Ateliers, das Kessler zusammen mit zwei anderen Künstlerkollegen im 16. Bezirk teilt, eine Komposition aus Sägen, eine ­Wasserwaage, Kombizange, Beißzange, Gripzange auf. Im merkwürdigen Kontrast zu den ansonsten fast leeren Räumlichkeiten wirkt das stumme Arrangement wie ein konzeptuelles Stillleben.

Womit eigentlich das Kessler’sche Prinzip schon gegriffen hat – mehr zufällig denn infolge von Planung. Denn der 34-jährige gebürtige Münchener, der seit seinem
22. Lebensjahr in Wien lebt, verschiebt mit seiner Kunst unsere Sicht auf die Welt, die Kultur, die Gesellschaft und deren Regeln – bis hin zur Verunsicherung. Durch in den Alltag eingeschleuste oder dem Alltag nachgestellte Aktionen und winzige, kaum merkliche, doch umso überraschendere Interventionen bringt er Sachverhalte zum Schwanken, die bislang per Gewohnheit gesichert schienen – etwa indem sich etwa Türen plötzlich nicht mehr in die gewohnte Richtung öffnen, was er kürzlich in seiner Wiener Stammgalerie Andreas Huber durch Veränderung des Schließmechanismus einer „bistabil“ gewordenen Tür zum Thema machte. Mit solch minimalistischen Interventionen hebelt Leopold Kessler ebendiese Gewohnheiten aus, stellt Routinen und Regeln infrage, überspitzt vermeintliche Nebensächlichkeiten, ohne doch jemals den Holzhammer zu schwingen. 

Eher schon krallt er sich andere, auf ihre Weise unscheinbarere Instrumente – beispielsweise eine selbstgebaute Zange, um mit dieser während der frühen Morgenstunden, getarnt durch ein orange leuchtendes Gilet, wie es Straßenarbeiter tragen, durch Wiens Straßen zu ziehen und in unbeobachteten Momenten diverse Straßenschilder zu zinken. Die so entstandenen Löcher erinnerten mit ihren Verformungen an Einschusslöcher, wie sie in Wildwest-Filmen, Kriegsgebieten oder Kulturen, in denen die Hand loser am Colt sitzt als in „zivilisierten“ Teilen der Welt, zum „normalen“ Erscheinungsbild der Stadt gehören. „Perforation Kal. 10 mm“ hat ­Leopold Kessler diese Aktion genannt, an der er die Kunstwelt wie so oft einzig in Form eines präzise geschnittenen Videos teilnehmen lässt. Darauf, wie diese sie nun wahrnahm – ob als künstlerisches Happening, politischen oder gesellschaftskritischen Kommentar –, nahm er bewusst keinen Einfluss.

In Kunstfallen tappen. Generell hat Kessler die Tarnung als eine ideale Strategie ausgearbeitet, die es ihm ermöglicht, aus dem Hintergrund als klar definiertem Standpunkt künstlerisch zu intervenieren. Die Verortung dieses Standpunkts im Off oder im Verborgenen zieht sich wie ein roter Faden durch sein Schaffen. So verband er für sein Diplom an der Akademie der bildenden Künste das Atelier in der Akademie mittels eines 1200 Meter langen, hoch über den Köpfen der Passanten an Masten und Bäumen verlegten Kabels mit seiner Wohnung. Ein andermal verunsicherte er das Publikum im Rahmen einer Wohnungsperformance, indem er in einer darüberliegenden Nachbarwohnung Störgeräusche produzierte.

Für eine seiner frühesten Arbeiten – „Uncovered“ aus dem Jahr 2002 – stieg Kessler am Praterstern alle paar Monate auf eine Leiter, um jenes Richtungsschild, das den Weg nach Budapest und zum Flughafen weisen sollte, von seinem Wildwuchs zu befreien. Da er dabei einen Blaumann trug, verlief die Aktion fast unbemerkt. Das Arbeitskleid verlieh seinem Tun den Anspruch einer professionellen Dienstleistung, manch ein ortsunkundiger Autofahrer war ihm vielleicht sogar dankbar dafür. Zum eigentlichen Kunstwerk wurde die Aktion allerdings erst durch die Verschiebung in den Kunstkontext per Video, die Fragen nach dem Umgang mit dem Fremden – und insbesondere mit dem Osten – aufs Tapet brachte. In dem Sinn, dass die ­eigentliche Rezeption erst im Kunstkontext stattfindet, sieht sich Leopold Kessler auch nicht als Performer im eigentlichen Sinn, wenngleich den Aktionen an sich ein performatives, bisweilen sogar theatralisches Element eignet – ganz egal, ob er selbst in Erscheinung tritt oder andere in seine Kunstfallen tappen lässt.

Unfreiwillige Akteure. So werden die Touristen, die 2008 an einer mitten in einem Pariser Park aufgestellten, acht Meter langen „Volks-Schuhputzmaschine“ ihre Schuhe polierten, ebenso unfreiwillig zu Akteuren wie die Passanten, die sich 2009 in Frankfurt auf den Stühlen seiner „Ghost Terrace“ niederließen – einer Großskulptur mitten im Stadtraum, die mittels Sonnenschirmen, Tischen, Bestuhlung, karierter Tischtücher sowie angeschraubter Salz- und Pfefferstreuer und Pflanztrögen einen Schanigarten nachbildete. Oder auch die Hunde, die sich vor Kurzem im Rahmen eines Festwochenprojekts auf dem Wiener Naschmarkt rund um einen überdimensionierten, mit 600 kg Hundefutter gefüllten Fressnapf zum „Ersten Hundepicknick“ einstellten, das Kessler auch als sein erstes „Happening“ bezeichnet. Was angesichts des aus tierpsychologischer Sicht experimentellen Charakters der Veranstaltung hingegen kontrolliert im Off entschwindet, ist der Kunstcharakter der Veranstaltung.

Umso mehr wird der Blick auf den öffentlichen Raum gelenkt. Wo fängt er an, wo hört er auf? Wann beginnt das Öffentliche mit dem Privaten zu kollidieren? Welche Ökonomien bringt diese Kollision hervor? Die mit versteckter Kamera in New York entstandene Zwei-Kanal-Video-Installation „Service Aktiv/Passiv“ lenkt die Aufmerksamkeit darauf, indem sie mit dem (mittlerweile offi­ziell verbotenen) „Squeegee-Man“, dem Windschutzscheibenwäscher, und dem „Restroom Attendant“ zwei Jobs gegenüberstellt, die miteinander formal durch ähnliche Gestiken verbunden sind: das Spritzen und das Waschen. Der Dollar, der auf der Straße im Konflikt mit dem Gesetz hart verdient wurde, wird in der überspitzten Ökonomie des Videos postwendend für eine vergleichsweise verzichtbare Dienstleistung wie das Reichen eines Handtuchs oder Duftwassers ausgegeben, was wiederum die Entlohnung eines Squeegees ermöglicht. Der amerikanische Traum tritt offensichtlich auf der Stelle und scheint ins Stocken geraten, ohne jedoch seines ­utopischen Gehalts verlustig zu gehen.


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