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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
06. Oktober 2008
17:58 MESZ

Beide bis 11. Jänner

 

Ernesto Neto stellt fragile Schutzräume zur Verfügung: Funktionale Häute sind das, um der feindlichen Umgebung zwischendurch zu entfliehen.


Graz: Vom dauernden Ausufern
Beispiele biomorpher Formen in der Skulptur im Kunsthaus - Ausufernd Elke Krystufeks gemalte und gedichtete Gedanken zum Leben iin der Camera Austria

Graz - Das "Biomorphe", trifft man es in der Kunstwelt an, löst ja meist Schaudern aus. Da denkt man gleich einmal an die Surrealisten unter besonderer Berücksichtigung des späten Salvador Dalí, und: ganz grauslich! Und bei grauslich mit besonderer Berücksichtigung von "ganz" fällt einem auch gleich der Designer Luigi Colani ein, und also gilt es formlose Autos, völlig abgenudelte Kameras und sonstiges aller Ecken und Kanten beraubte Zeug auch gleich wieder aus dem Bildspeicher zu vertreiben.

Und weiter mag man dann schon gar nicht mehr denken. Aber gut, das Kunsthaus Graz ist ja auch ein in der Hauptsache amorphes Gebäude, das einer seltsamen Utopie aus dem vergangenen Jahrhundert entsprungen ist. Und also darf es nicht weiter verwundern, dass der Ort eine ihm zur ausufernden Figur passende Ausstellung angezogen hat. Und die nennt sich Leben? Biomorphe Formen in der Skulptur und ist, allem durch Künstlerhand angedeuteten Ausufern zum Trotz, weder besonders groß noch besonders komplex ausgefallen. Sie versammelt ganz einfach, was an zeitgenössischem Material zum Thema naheliegt: von noch Verpupptem in Stoff von Louise Bourgeois, der Grande Dame aus New York, über bedeutungsschwanger Gebündeltes ihrer jungen deutschen Kollegin eva helene stern*** bis hin zu bekannt geplatzt Blunzenförmigem am Stiel von Franz West. Als Schockfaktor sind wieder einmal gefakte anatomische Fabelwesen-Präparate des Pekinger Künstlers Xiao Yu ins dramatische Licht an den Rand der Kunsthaushöhle gesetzt. Alles andere wird diesmal passend durch die Neonspiralen in den Dachnoppen beleuchtet.

Für Ironie sorgt einmal mehr der Kölner Georg Herold: Er hat um die Mitte der 1980er-Jahre einen Eingriff in die Erbmasse bei Fr. Herold vorgenommen. Die Doppelhelix der DNAseiner Mutter wird jeweils zu bedeutenden Ereignissen, etwa dem Kriegsende 1945, mit Holzlatten manipuliert. Offen bleibt, was davon als Genom an Sohn Georg weitergegeben wurde.

Das Material, sich dem uferlosen Raumgreifen der Natur formal zu nähern, scheint egal zu sein: Da wird Holz rund geschliffen, da werden Strukturen aus Silikon gezogen, da reicht bisweilen Draht, da kommt aber auch Fell zum Einsatz - Hauptsache, alles gibt sich wandelbar, bloß für die gegenwärtige Schau in seinem Werden und Vergehen gestoppt.

Ernesto Netos aufgespannte Zellen aus Nylon und Lycra erscheinen weniger als selbstständige Wesen denn als Geborgenheit, Schutz und Nahrung anbietende Hautsäcke, Gebärmütter für eine Auszeit zwischendurch. Dort sollte ausgeblendet sein, was ringsum passiert, dort sollte man auch geschützt sein: vor Liz Larners Versuchen, das Fremde auch gleich zu zähmen, bzw. vor den aggressiven Fraktalen der Agnieszka Kalinowska.

Ausufernd und stets an der Grenze der Form ist auch das, was Elke Krystufek, Venedig-Biennale-Vertreterin 2009, in der Camera Austria im selben Haus aufgebaut und als Text zu einem Buch versammelt hat: Aufsatz- oder auch gedichtartige Wortausbrüche hat sie zum Büchlein Nein gebunden, dem sie voranstellt: "Zitieren verboten. Machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken."

Um diesen Prozess einzuleiten, kann man an beliebiger Stelle im Buch einsteigen und vom Fleck weg beginnen, Fragen zu beantworten, wie sie auch die Schau zum Biomorphen in der Kunst stellt: Hat das Leben eine Grenze? Wo fängt es an, wie wird es weitergehen? Kann Kunst helfen, irgendwessen Natur zu verstehen? Bringen Bilder, egal ob Flachware oder solche in 3-D, uns irgendwie weiter? Essen Texte womöglich die Bilder auf? (Markus Mittringer, DER STANDARD/Printausgabe, 07.10.2008)

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