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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Nitsch-Museum Niederösterreich 
01. Juni 2007
14:22 MESZ
"Das Mystische und die Mysterien sind subversiv"
Auszüge eines Textes von Wolfgang Denk, Direktor des Museumszentrums Mistelbach, über das Werk von Hermann Nitsch

Der Wiener Aktionismus ist als einzige Kunstströmung aus dem Österreich nach 1945 in die internationalen Museen eingegangen. Nitsch war der eigentliche Hauptprotagonist. Der unerwartete und radikale Aufbruch in der jungen, österreichischen Kunst der Sechzigerjahre traf vor allem wegen seines radikalen Protestes gegen die vom Kalten Krieg geförderten neuerlichen gesellschaftlichen Verkrustungen auf wütende und hasserfüllte Ablehnung.

Dabei blieben die österreichischen Revolutionäre strikt in den Bereichen der Kunst, sieht man von einigen Experimenten der Mühlkommune ab, während vergleichbare Bewegungen in Deutschland stärker politisch motiviert waren. In Österreich sorgten die Behörden dafür, dass Nitsch für seine Kunst eingesperrt wurde, und er musste emigrieren.

Erst die wesentlichen Liberalisierungen in den Siebzigerjahren brachten Hermann Nitsch auch in Österreich öffentliche Anerkennung, die nicht zuletzt in der Verleihung von zahlreichen Ehrungen, aber auch in anhaltenden Beschimpfungen, wie bei kaum einem anderen lebenden Künstler, ihren Ausdruck fand. (...)

Hermann Nitsch experimentierte mit sich selbst auf dem Weg einer extremen, öffentlichen Selbsterfahrung, was ihn als Künstler in die großen Zentren der Weltkunst und kurzzeitig auch in die Kotter der gutbürgerlichen Heuchelei brachte. Auf der Suche nach einem Fundament fand er das Weinviertel an der Grenze zum Niemandsland der kalten Krieger und erwarb das Schloss Prinzendorf. (...)

Die Pläne des Orgien Mysterien Theaters für Prinzendorf waren suggestiv, mystisch und voller Drang zur Verwirklichung. Erkenntnisse durch Hermann Nitschs Werk zu sammeln wurde für mich eine damals merkwürdige innere Verpflichtung. Beurteilungen anderer interessierten mich nicht, und so durchquerte ich das Weinviertel in Richtung des Eisernen Vorhanges, um im Schloss die 50. Aktion (1974) zu erleben.

Das unrenovierte Schloss und die wuchtige Aktion von Hermann Nitsch hatten auf mich als jungen Künstler eine zutiefst zwiespältige Wirkung, transylvanisch, fremdartig, komponiert aus allen Zutaten, die ich selbst von frühester Kindheit an im Schoße monumentaler Vierkanthöfe in der sogenannten Russenzone erlebt hatte. (...)

Zwanzig Jahre danach war Nitsch bei seiner neunzigsten Aktion angelangt und war, fast selbstverständlich, auch auf der größten politisch-kulturellen Demonstration in der wahren Monsterschau der Kunst des Westens, der "Westkunst", 1981 in Köln vertreten.

Zu zwei der größten und für die Rezeption des Werkes von Hermann Nitsch richtungsweisenden Ausstellungen konnte ich Hermann Nitsch später 1993 und 1994 einladen, und beide hatten große Bezugsrahmen zu jeweils anderen Ereignissen: der weltpolitische, am Prager Platz der Republik, wo 1989 an der Zeitenwende Europas die Ausstellung "aus dem Zusammenhang" stattfand, und 1993 die bisher umfassendste Präsentation des O.M. Theaters und der Malerei von Hermann Nitsch "rány a mystéria" - Verwundungen und Mysterien in der Tschechischen Nationalgalerie auf dem Prager Hradschin, die als Sensation gefeiert worden war.

Viele österreichische und deutsche Künstler, Sammler und Freunde nahmen an den Eröffnungsfeiern teil, mehr als fünfunddreißigtausend Besucher kamen in wenigen Wochen. Es gab die erwarteten Skandale, aber noch mehr Freunde, Freude und Akklamationen. Präsident Havel bezog sich auf ein Nitsch-Samistat-Buch, als er von uns befragt wurde. Vom Fernseher schwarz-weiß rauschend abphotografiert, die Texte hektografiert, in einer Dreierauflage, war dieses "Buch" unter den Charta 77 Exponenten zirkuliert. Der Ausspruch Václav Havels über die Nitsch-Ausstellung in Prag "... jetzt wissen wir wirklich, dass wir frei sind", ist zwar so gefallen, aber nicht historisch dokumentiert. (...)

Das Mythische und die Mysterien sind subversiv. Mythos ist der Lebensnerv des Orgien Mysterien Theaters. "Die wichtigste, die entscheidende Funktion einer Mythologie" ist nach Joseph Campell, "die ganzheitliche Gründung und Entfaltung des Einzelnen zu fördern, in Einklang mit sich selbst, mit seiner Kultur, mit dem Weltall und mit dem ehrfurchtgebietenden letzten Geheimnis, das sowohl jenseits von als auch in ihm und allen Dingen ist." So religiös meint es Nitsch nicht, er ist ja Maler, Künstler und nimmt es sehr ernst mit den offenen Räumen, die Kunst bietet und die auch er noch hinzugewonnen hat.

Das große Werk von Hermann Nitsch ist aber ernst, von einer ergreifenden Allgemeingültigkeit. Er nimmt das religiös-mystische Ritual wieder ernst, und indem er den Bezug zum ländlichen Leben, mit dessen Lebenskraft, Schönheit und Drama ernst nimmt, ist auch das Weinviertel Teil des Rituals. (Wolfgang Denk / SPEZIAL/ DER STANDARD, Printausgabe, 01.06.2007)


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