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28.12.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Galerien in Wien: Zwischen Sichtbarem und Sagbarem
VON MANISHA JOTHADY
Wiens zur Zeit wohl anspruchsvollste Ausstellung dreht sich um die Kluft zwischen Wort und Bild.

"Was man sieht, liegt nie in dem, was man sagt, und umgekehrt" lautete eine der Grundthesen Michel Foucaults. Der französische Denker beschritt damit jene medienphilosophische Dimension, nach der Bilder nicht in Sprache übersetzbar, keine Wahrnehmung ohne Interpretation möglich ist, keine Unschuld des Blicks existiert.

Wie sehen also jene Vorstellungen aus, die sich nur übers Sprechen bilden? Sagen Bilder tatsächlich mehr als tausend Worte? Ein Dilemma, das jeder von uns kennt. Ein Dilemma, das Künstler-Kurator Heinrich Dunst nun für eine der zur Zeit wohl anspruchvollsten in Wien gezeigten Ausstellungen fruchtbar macht. 18 Positionen hat er unter dem Titel "Riss/Lücke/Scharnier A" in der Galerie nächst St. Stephan versammelt. Sie alle markieren jene Leerstellen, die sich zwischen den beiden Polen auftun.

Wie kaum ein anderer widmet sich John Baldessari seit den siebziger Jahren den Wechselbeziehungen zwischen Bild und Sprache. Seine Text- und Fotomontagen zeigen, dass sich Bildbedeutung im Lauf des Dialogischen entwickelt und nicht notwendigerweise à priori dem Werk inhärent ist.

Die Kluft zwischen dem, was wir hören, und dem, was wir sehen, zu überbrücken, ist das Anliegen von Christian Marclay. Sein Wortbild "Echo" (7800 €) gibt eine Vorstellung davon, wie virtuos er es versteht, Akustisches mit Visuellem zu amalgamieren. Die Wortbilder des 2005 verstorbenen Schweizers Rémy Zaugg sind an Klarheit unübertroffenen. Mit seiner Leinwandarbeit "Ein Bild (Ein Wort)" könnte das Anliegen der Schau konkreter nicht umrissen sein. Denn "wie sieht jene Repräsentationsform aus, der es unmöglich ist, weder bei dem Sichtbaren noch dem Sagbaren stehen zu bleiben?", fragt Dunst in seinem Begleittext.

Joelle Tuerlinckx und Willem Oorebeek haben dementsprechend eine ästhetische Sprache der Mehrfachkodierung entwickelt. Ihre Melange aus massenmedialem Foundfootage und grafischen Kürzeln provoziert die Offenheit, unkalkulierbare Überlagerungen verschiedener Zeichensysteme zu deuten. Nikolaus Gansterer sezierte für seine raumgreifende Installation "Mnemocity" (6600 €) Wörterbücher und führt damit direkt ein in ein babylonisches Sprachgewirr.

Versuchte schon Konrad Bayer das Täuschungsmoment der Sprache durch radikale Textcollagen zu zertrümmern, gelingt es Michael S. Riedel in seiner Auslegung von Bayers Fäkalgedicht "scheissen und brunzen" diesen Aspekt nochmals zu toppen. Ein besonderes Verdienst der Schau ist, Experimentalfilme von Marcel Broodhaers und Peter Tscherkassky zu zeigen. Auch sie verdeutlichen das antagonistische Verhältnis, das zwischen dem Sichtbaren und dem Sagbaren existiert. (Weihnachtspause bis 8. 1., dann bis 10. 2., Grünangerg. 6, Wien 1)

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